Wer wenig verdient, kann sich die Nahverkehrstickets in der Region nur selten leisten. Linke und Grüne wollen das ändern – jedoch auf unterschiedlichen Wegen. Die Kreisverwaltung ist dagegen. Doch selbst in der CDU gibt es Befürworter

Region Stuttgart - Genau 25,14 Euro: so viel bekommt ein Hartz-IV-Empfänger pro Monat über seinen Regelsatz für den öffentlichen Nahverkehr. Das Geld reicht für ein VVS-Wochenticket von Asperg nach Ludwigsburg (21 Euro). Aber es ist schon zu wenig für ein Wochenticket von Erligheim nach Bietigheim (27 Euro). Eine Einzelfahrt von Vaihingen/Enz nach Stuttgart und zurück (15 Euro) wäre nur einmal monatlich drin. An diesem Problem setzen die Grünen und die Linken in Kreis und Region – manchmal unterstützt von der SPD – an.

 

„Sozialticket“ heißt das Zauberwort, das eine „einkommensunabhängige Mobilität“ gewährleisten soll. Doch welcher Weg zu diesem Ziel ist der richtige? Jüngst haben die Linken in der Region einen neuen Vorschlag präsentiert. Der Verkehrsverbund VVS solle ein Sozialticket verkaufen, das genau 25,14 Euro kosten soll. Finanziert werden soll das Ganze über zusätzliche Einnahmen, die man allein dadurch bekommen soll, dass mehr Menschen in die Züge gelockt werden. „Viele sozial schwache Menschen sind kaum im VVS unterwegs“, sagt Peter Schimke von den Linken im Ludwigsburger Kreistag. Zwei Millionen Euro soll das Modell nach einer Schätzung der Linken kosten – für das gesamte VVS-Gebiet.

Die Maximalversion kostet neun Millionen Euro

Im Kreistag steht im Mai eine Abstimmung über das Sozialticket an – allerdings nach Lesart der Grünen. Diese wollen nach dem Vorbild Stuttgarts VVS-Tickets durch die öffentliche Hand subventionieren. Dort erhalten Bedürftige seit Jahresbeginn einen 50-Prozent-Zuschuss. Aus Sicht der Landkreisverwaltung sind beide Vorschläge teuer. Bis zu neun Millionen Euro pro Jahr könne so ein Sozialticket kosten – für die Maximalversion: wenn die Förderquote bei 50 Prozent liegt und der Zuschuss auch von allen Berechtigten (etwa 15 000) in Anspruch genommen wird. Wenn man Hartz-IV-Bezieher, Senioren mit Grundsicherung und Wohngeldempfänger als Grundlage nehme, sei der Kreis der Betroffenen immer noch deutlich kleiner als in Stuttgart.

„Wir sind immer noch dagegen“, sagt der Landrat Rainer Haas. Das Grundproblem sei: „Wir sind keine Stadt wie Stuttgart, wo es nur zwei Tarifzonen gibt.“ Man müsse von mindestens vier bezuschussten Zonen ausgehen, um eine vernünftige Mobilität zu gewährleisten. Es sei mit erheblichen Personalkosten zu rechnen, weil der Landkreis – anders als Stuttgart über seine Tochter SSB – keine Vertriebsstrukturen für Tickets habe. Haas gibt unumwunden zu, dass seine Vorlage den Sozialausschuss des Kreistags davon überzeugen soll, dass ein Sozialticket zu teuer sei.

Kornwestheim als Vorreiter

Peter-Michael Valet, der Fraktionschef der Grünen, hält das für „eine sehr schwache Argumentation“. Seine Fraktion wolle „prüfen lassen, was möglich ist – und nicht, was nicht möglich ist“. Man könne die Förderquote und die Zahl der Zonen reduzieren. Außerdem sei es unwahrscheinlich, dass mehr als die Hälfte der Berechtigten die Förderung auch in Anspruch nehmen würden – „wahrscheinlich sogar nur 30 Prozent“, schätzt er.

Derweil haben Grüne und Linke sogar einen Befürworter aus dem bürgerlichen Lager auf ihrer Seite. Dietmar Allgaier, CDU-Kreisrat und Finanzbürgermeister in Kornwestheim, sieht den Kreis in der Pflicht, „um auch zwischen den Kommunen eine einheitliche Lösung anzustreben“. In Kornwestheim gibt es seit Februar 2014 einen 50-Prozent-VVS-Zuschuss für die drei Zonen bis Ludwigsburg und Stuttgart. Die Kornwestheim-Card, die auch die Grundlage für weitere Ermäßigungen ist, koste die Stadt rund 100 000 Euro im Jahr, genutzt werde sie von 1300 Bürgern. Etwa jeder zweite Berechtigte rufe die Vergünstigungen auch tatsächlich ab – in Stuttgart nur rund jeder vierte. Kornwestheim zahle dafür freiwillig, betont der CDU-Kreisrat. Zuständig sei eigentlich der Landkreis.

Der Druck wächst

Debatten
: Geht man nach der Zahl der Anträge und Diskussionen in den politischen Gremien der Region, dann lässt sich festhalten: der Druck beim Thema Sozialticket scheint zu wachsen. SPD und Linke sind erst Ende 2014 in der Regionalversammlung mit einem entsprechenden Vorstoß gescheitert. Dies sei Aufgabe der Sozialhilfeträger, also der Kreise, befand die Mehrheit damals. Allerdings lehnten die Grünen das Ansinnen nicht rundweg ab, sie kritisierten lediglich den gewählten Weg über die Region. Im Böblinger Kreistag stellte die Linke bei den Haushaltsberatungen für 2015 einen Antrag, der jedoch zurückgestellt wurde. Man wolle erst abwarten, welche Erfahrungen man in Stuttgart mache, hieß es. Mehrere Vorstöße haben auch die Linken im Kreistag Esslingen gemacht – bisher allerdings ohne Erfolg. Die Linken in der Region wollen ihren Vorschlag zur Einführung eines Sozialtickets demnächst in allen Kreistagen der vier VVS-Landkreise Böblingen, Esslingen, Ludwigsburg und Rems-Murr einbringen.

Ablehnung:
Mit dem Nein zu einem Sozialticket ist die Kreisverwaltung Ludwigsburg nicht allein. Im Landratsamt des Rems-Murr-Kreises sieht man den Bund in der Pflicht, den Regelsatz für Mobilität von Hartz-IV-Empfängern aufzustocken. Der Landkreis habe zwölf Tarifzonen, was die Kosten für ein Sozialticket „dramatisch erhöhen“ würde, teilt Martina Nicklaus von der Pressestelle des Landratsamts in Waiblingen mit. „Wir wollen die Tür nicht zuschlagen“, betont Wiebke Höfer, Pressereferentin im Landratsamt Böblingen. Es gehe um eine „politische Entscheidung“, sagt sie. So argumentiert auch die Kreisverwaltung in Esslingen. Angesichts der geschätzten Mehrkosten von fünf Millionen Euro pro Jahr fand sich dort jedoch bisher noch keine Mehrheit.

Kommentar: fantasielos oder unwillig?

Rechenspiele - Neun Millionen Euro: mit so einer Monsterzahl kann man jede Debatte von vorneherein zerschlagen. Die von der Ludwigsburger Kreisverwaltung errechnete Summe, die für die Einführung eines Sozialtickets im Nahverkehr fällig würde, rückt das Ansinnen von Grünen und Linken ins Reich der schönen Utopien. „Schön und gut, aber leider unbezahlbar“ – das ist der Eindruck, der bei den Kreisräten hängenbleiben soll.

Doch damit macht es sich der Kreis ein bisschen zu leicht. Es wäre ein Gebot der Fairness gegenüber den Kreisräten aufzuzeigen, in welchen Varianten sich zumindest ein „Sozialticket light“ umsetzen ließe. Bei anderen, vom Landrat gewünschten, Vorhaben zeigt man sich deutlich kreativer – zum Beispiel wissen die Kreisräte längst, dass ein kostspieliger zweiter Neubau fürs Landratsamt vermeintlich fast umsonst zu haben ist. Es darf als unbestritten gelten, dass die Reallöhne des Durchschnittsmenschen im Kreis seit Jahren sinken, während die ohnehin hohen VVS-Ticketpreise jährlich nach oben klettern. Dadurch entsteht ein stetig wachsendes Problem, das auch der Kreistag nicht ignorieren kann. Der von den Linken nun gewählte Weg über ein eigenes VVS-Ticket klingt zunächst elegant. Doch bei näherer Betrachtung zeigt sich: der Vorstoß ist zum Scheitern verurteilt. Und zahlen müssten am Ende auch dafür die vier VVS-Landkreise.