Zahlt das Land der Bahn viele Millionen Euro zu viel für den Nahverkehr? Der Landesrechnungshof ist dieser Frage seit Jahren ausgewichen. Unter öffentlichem Druck beschäftigt er sich nun doch mit dem Verkehrsvertrag.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Max Munding (CDU) war sichtlich in der Defensive. Fast eine halbe Stunde lang musste sich der Chef des Rechnungshofs von Journalisten löchern lassen, ehe er endlich seine Denkschrift vorstellen durfte. Warum, lautete die Kernfrage, hat die Karlsruher Kontrollbehörde den milliardenschweren Verkehrsvertrag zwischen dem Land und der Deutschen Bahn eigentlich nie umfassend geprüft? Erst jetzt, da durch Recherchen von StZ und SWR der Verdacht publik wurde, das Land bezahle mehr als hundert Millionen oder gar bis zu einer Milliarde Euro zu viel, beschäftigen sich die Prüfer damit.

 

„Es ist nicht so, dass wir einen Bogen um den Vertrag gemacht haben“, beteuerte Munding gleich zweimal. Doch genau diesen Eindruck hinterließen seine Angaben: Um die Jahrtausendwende habe sich der Rechnungshof mit dem vorhergehenden Vertrag befasst, 2012 mit einem Teilaspekt des laufenden, der sogenannten Bonus-Malus-Regelung. Ansonsten war der 2003 geschlossene, bis 2016 gültige Vertrag für die Finanzkontrolleure kein Thema.

Bundesrechnungshof: Zusammenhang mit S 21

Dabei hätte es mindestens drei habhafte Anlässe dafür gegeben. Schon beim Abschluss 2003 übte die Opposition massive Kritik an den Konditionen; für das Land seien diese sehr unvorteilhaft. Aus dem Parlament habe es nie eine „Anregung oder Bitte“ zu prüfen gegeben, erwiderte der Präsident. Eine „präventive“ Kontrolle vor dem Abschluss sei nicht Aufgabe seiner Behörde, danach gelte der Grundsatz „pacta sunt servanda“, Verträge sind zu halten.

Im Jahr 2006 beschäftigte sich der Bundesrechnungshof mit der Verwendung der Regionalisierungsmittel durch die Länder. Diese falle „in die Zuständigkeit der Landesrechnungshöfe“, mahnte er. Zugleich stellte er einen brisanten, bis heute offiziell bestrittenen Zusammenhang her: Langfristige Zusicherungen von Nahverkehrsbestellungen erfolgten „im Gegenzug zur Durchführung und Mitfinanzierung von Bahnhofsprojekten wie Stuttgart 21 . . .“ Reaktion in Karlsruhe: keine.

VCD-Hinweis landet in der Ablage

Im Jahr 2012 wandte sich schließlich der ökologisch ausgerichtete Verkehrsclub Deutschland (VCD) an den Rechnungshof. Beigefügt war eine VCD-Studie, wonach Baden-Württemberg im Vergleich zu Bayern viel zu viel für den Nahverkehr bezahle – was sich jetzt zu bestätigen scheint. Das direkt an Munding gerichtete Schreiben wurde zwar höflich beantwortet (es enthalte „Interessantes“), dann aber wohl zur Seite gelegt. Es handele sich um „eine wichtige Meinung, eine unter mehreren“, sagte der Chefprüfer dazu. Eine „Handlungsfolgerung“ habe sich nicht daraus ergeben.

Bei der nun aufgenommenen Prüfung will sich der Rechnungshof auf die Frage konzentrieren, ob der Bahn Preissteigerungen doppelt ausgeglichen werden; mit dieser Begründung kürzt das Land seine Zahlungen um bis zu 140 Millionen Euro. Ob der Vertrag noch weit stärker überteuert ist, sei zunächst kein Thema. Wann mit einem Ergebnis zu rechnen ist? „Möglichst zeitnah“, antwortete Munding, aber man wolle es „gründlich machen“.