Nach dem Brand in einer Nähfabrik gehen in Bangladesch die Menschen auf die Straße. In Deutschland wird über die globale Textilindustrie diskutiert. Einzelne Studien belegen: sie ist sozial und ökologisch eine Sünderbranche.

Berlin - Wenn wie jetzt in Bangladesch oder kürzlich in Pakistan Textilfabriken brennen und Menschen sterben, steht bei Kirsten Clodius das Telefon nicht still. Sie ist Branchenexpertin bei der Christlichen Initiative Romero, einem Mitglied der internationalen Kampagne für saubere Kleidung (CCC). „Leider muss immer erst Schlimmes passieren“, sagt sie zum Wissensdurst der Öffentlichkeit. Ihre Erkenntnisse nach den Katastrophen sind ernüchternd. „Es gibt keine einzige Vorzeigefirma, die wir hervorheben können“, sagt sie und meint Discounter und teure Markenartikler gleichermaßen.

 

Beide Gruppen würden oft in derselben Fabrik in einem Billiglohnland wie China, Pakistan, Bangladesch oder Vietnam fertigen lassen. Mancher Verbraucher denke, dass bei einem T-Shirt für 50 Euro die Arbeitsbedingungen besser seien als bei der Billigware. „Das ist ein Trugschluss“, warnt sie. Die Wahrheit sei, dass in einem Teil der Fabrik die Markenmode genäht werde, in einem anderen ein Billig-Shirt – und das alles zum gleichen Niedriglohn und bei Arbeitszeiten von bis zu 100 Stunden pro Woche.

Bei der ökologisch-sozialen Verantwortung sieht es trüb aus

Allgemein stehen Textilkonzerne im Ruf, schwer belehrbare Umweltsünder zu sein. Ihre Zulieferer werden seit Jahren massiver Arbeitsrechtsverletzungen bezichtigt. Mit ihrer Kampagne „Detox our Future“ (Entgiftet unsere Zukunft!) hat der Umweltverband Greenpeace das Problem giftiger Chemikalien in der Textilherstellung in den Fokus gerückt und die Sportartikler Adidas, Puma sowie Nike dazu gebracht, giftigen Stoffen bis zum Jahr 2020 abzuschwören. Aber heute sieht es bei der ökologischen und sozialen Verantwortung noch trübe aus, wie eine neue Studie zeigt.Angefertigt hat sie die auf Nachhaltigkeit spezialisierte Ratingagentur Oekom. 38 Sportartikler und andere börsennotierte Textilkonzerne wurden unter die Lupe genommen. Am Ende stand eine miserable Durchschnittsnote von D auf einer von A+ bis D- reichenden Skala. Nur fünf Firmen hat die Studienleiterin Lisa Häuser als relative Vorzeigeunternehmen identifiziert, die begonnen haben, auf grünen Pfaden zu wandeln. „Auch bei den Branchenbesten fällt die Bilanz des bisher Erreichten zwiespältig aus“, stellt Häuser allerdings klar.

Ratingsieger mit C+ ist Nike, gefolgt von Adidas mit derselben Note. Die gilt auch für die Firma Puma, die wegen kleiner Punktunterschiede auf Rang fünf kam. In anderen Branchen erreichen die Besten bei Oekom aber B-Noten. Das zeigt, dass in der Textilindustrie noch einiges im Argen liegt. An der Tagesordnung seien Löhne unter dem Existenzminimum, extreme Überstunden, giftige Chemikalien speziell in chinesischen Textilfabriken und ein enorm hoher Wasserverbrauch.

Vor allem Nike, Adidas und Puma seien aber glaubhaft am Umdenken, lobt Häuser. So kontrolliere Puma heute nicht nur direkte Zulieferer, sondern auch solche, die als zweites oder drittes Glied in der bis zu fünfstufigen Produktionskette liegen, auf Mindeststandards. Die Franken haben mit einer ökologischen Gewinn- und Verlustrechnung bisher unbekannte Transparenz geschaffen. Adidas punktet mit dem Ziel, den Anteil an Biobaumwolle bis 2015 auf 40 Prozent und bis 2018 auf 100 Prozent zu erhöhen. Nike habe erkannt, dass die Ursachen extremer Überstunden bei Zulieferern auf eigene Einkaufspraktiken zurückgehen und Besserung gelobt.

Die Kunden denken ökologischer

Als Vorreiter der Branche nennt die Analystin Häuser die US-Outdoor-Marke Patagonia, die nicht bewertet wurde, weil sie nicht börsennotiert ist. Die Kalifornier würden wie kein Wettbewerber auf Recycling bauen und bieten eine Internetplattform für gebrauchte Patagonia-Produkte an.Auch CCC sieht in Outdoor-Firmen wie Patagonia oder Schöffel eine „Gruppe der Fortgeschrittenen“. Seit zwei bis drei Jahren sei hier Bewegung, und man lasse sich von unabhängigen Dritten auf Umwelt- und Sozialstandards kontrollieren, sagt Clodius. Die Bereitschaft dazu führt sie auf öffentliche Kritik und das Verbraucherverhalten zurück. Die Kunden teurer Outdoor-Kleidung denken ökologischer als die von Textildiscountern wie Kik, meint die Aktivistin. Wer wie Sportartikler seine Produkte vorwiegend über das Image verkaufe, der sei offenbar eher zum Umdenken bereit.

Die Verbraucher haben es nicht leicht, Druck auszuüben, räumt Clodius ein. Ein Gütesiegel, das in ökologischer wie sozialer Hinsicht alles abdeckt, gebe es nicht. Anders als bei Lebensmitteln sei die Produktionskette bei Textilien lang und global. Als Online-Ratgeber empfiehlt sie die Seite ci-romero.de/gruenemode, wo man sich über Marken, Unternehmen und Siegel informieren kann.

So bleiben Fortschritte punktuell. Gisela Burckhardt vom CCC-Mitglied Femnet lobt Tchibo und PVH, die Mutter der Bekleidungsmarken Calvin Klein und Tommy Hilfiger, für deren Bereitschaft, mit Arbeitsrechtsorganisationen und Gewerkschaften ein bahnbrechendes Brandschutzabkommen für Fabriken in Bangladesch zu schließen. Um das in Kraft treten zu lassen, brauche man eine kritische Masse und zwei weitere große Auftraggeber. Verweigern würden sich bisher noch die Marken H&M und Gap. Von Lidl und Metro stehe eine Antwort noch aus. Eine solche Haltung ist weit verbreitet, bedauern Experten. Viele Textilfirmen wie der französische Luxuskonzern LVMH Moët Hennessy, der bei Oekom mit einer D-Note auf den untersten Rängen zu finden ist, lassen sich kaum zu mehr Nachhaltigkeit bewegen. „Um dem Ziel einer nachhaltigen Textilindustrie näherzukommen, müssten viele Konzerne ihr Geschäftsmodell grundsätzlich überdenken“, sagt Häuser. Die Bereitschaft dazu ist nicht weit verbreitet.