Im autovernarrten Bangkok nutzen immer mehr ein Fahrrad. Und das obwohl es weder Radwege noch eine Kultur der Rücksichtnahme gibt. Doch die Verkehrsprobleme der Stadt sind enorm – und dann ist das Rad schneller.

Stuttgart - Es ist etwa drei Uhr am Nachmittag und über Thailands Hauptstadt Bangkok brennt die Sonne. In der Seitenstraße Sukhumvit Soi 49 drängeln sich Autos und Kleinbusse Stoßstange an Stoßstange. An manchen Stellen ist die Straße so schmal, dass kein Platz für Gegenverkehr bleibt. Alte Bangkok-Hasen weichen deshalb schon lange auf Mopedtaxis aus, die manchmal kleinste Lücken, Bürgersteige und Parkplätze nutzen, um Passagiere schnell ans Ziel zu bringen. Doch seit Kurzem müssen sie sich die kleinen Lücken mit einer wachsenden Zahl von Radfahrern teilen.

 

Der gute alte Drahtesel legt auch im südostasiatischen Königreich Thailand den Ruch der Armut ab. Stattdessen kurven plötzlich Leute mit grellen Trikotfarben auf Mountainbikes durch die berüchtigten Verkehrsstaus der Metropole. Teure Klappräder japanischer Fabrikanten sind bei Bewohnern beliebt, die ihr Fahrrad in der Hochbahn mitnehmen wollen. Selbst General Prayuth Chan-ocha, seit Mai 2014 Militärdiktator in dem Land, erlaubte bei einer Radtour durch Bangkok Blicke auf seine nackten Unterschenkel.

Die Stadt vermietet hellgrüne Fahrräder

Dennoch muss die „Stadt der Engel“ – wie Bangkok traditionell auch genannt wird – noch einen langen Weg zurücklegen, bevor sie ihr Image als „Bum-Bum-Metropole“ ablegt und zur „Pun Pun Stadt“ wird. Mit dem ersten Begriff ködern Taxifahrer der thailändischen Hauptstadt gerne Kunden, die statt Tempel eher Amüsement suchen. „Pun Pun“ dagegen nennt die Stadtverwaltung einen Plan, dank dem an 50 Orten der Metropole hellgrüne Fahrräder gemietet werden können.

Doch nicht nur das schwüle Wetter der Küstenstadt bringt selbst fitte Radfahrer zum Schwitzen. Wer hier einen Drahtesel besteigt, benötigt Adleraugen. In der Stadt gibt es viele Gullydeckel, damit während der Regenzeit das Wasser schneller abfließt. Die Abdeckungen sind manchmal mit ihren Metallstreben in Fahrtrichtung gelegt, sodass sich ein Vorderreifen unversehens verfängt und der eifrig in die Pedale tretende Radfahrer plötzlich eine mehr oder weniger elegante Luftrolle hinlegt.

Autofahrer ignorieren Zebrastreifen und Ampeln

Thailands Autofahrer neigen zwar dazu, anderen Fahrern selbst im schlimmsten Verkehrschaos höflich Vorfahrt zu gewähren. Fußgänger und andere nichtmotorisierte Verkehrsteilnehmer werden dagegen nicht beachtet oder als rechtlose Wesen betrachtet. Die Bedeutung der Zebrastreifen und Verkehrsampeln, scheint im Fahrunterricht nicht gelehrt zu werden. Die Führerscheine werden ohnehin auch gegen Schmiergeld verkauft.

Polizisten, die wagemutig inmitten der blechernen Anarchie Straßenkreuzungen besetzen, lassen ihre Arme zwar wie Windmühlen fliegen – ihren Anweisungen folgen dagegen nur wenige. Eine Zeit lang versuchten die Behörden, Autofahrer mit Plastikpolizisten einzuschüchtern. „Jeder der Plastikkameraden ist mit einer Kamera ausgestattet“, drohte die Polizei. Doch der Trick klappte in der Praxis mehr schlecht als recht, die meisten Kameras funktionierten nicht, weil niemand an die Stromversorgung gedacht hatte.

Autos haben die höchste Priorität für die Politik

„Der Straßenverkehr muss gezähmt werden“, verlangt Oy Kanjanavanit von der Green World Foundation, die sich als Vorkämpferin von Bangkoks Fahrfahrern begreift: „Es muss auch die schwächere Spezies die Straßen benutzen können.“ Doch Autos sind in Thailand ein Statussymbol – je edler die Marke, desto höher das Prestige seines Besitzers. „Unsere Politik gibt Autos die höchste Priorität“, klagt Oy.

Dennoch stieg die Zahl der Radler alleine in der Hauptstadt von sechs Millionen im Jahr 2010 auf gegenwärtig 8,5 Millionen. Die meisten tödlichen Unfälle zählt Thailand in den Provinzen. Erst Ende Februar wurde ein chilenischer Weltumradler, der mit seiner Ehefrau und dem gemeinsamen Kind einen Rekord für das Guinnessbuch anstrebte, von einem Lieferwagen überfahren. Im vergangenen Jahr starben zwei britische Fahrradfahrer unter den Reifen eines Lastwagens.

Die Metropole bläht sich mit Pendlern auf

Laut offiziellen Statistiken gab es in Bangkok im Jahr 2012 etwa 27 000 Unfälle – so viele wie im gesamten Rest des Landes. „Wir haben hier zu wenig Platz für Straßen“, glaubt Panit Pujinda, Professor für Stadtplanung an der Chulalongkorn Universität, „wir bräuchten drei Mal so viele Straßen wie bislang.“ Nur acht Prozent der 1500 Quadratkilometer großen Gesamtfläche Bangkoks sind Straßen. In New York sind es 38, in Tokio 23 Prozent. Zudem besitzen beide Städte ein dichtes Schienennetz für den Nahverkehr.

In Bangkok indes nutzen gerade mal 800 000 Menschen die Hochbahn. Eine Viertelmillion nutzt die beiden Strecken der U-Bahn, in der keine Fahrräder mitgenommen werden dürfen. An einem normalen Arbeitstag versammelt sich ein Sechstel der thailändischen Gesamtbevölkerung in Bangkok. Wie ein Blasebalg bläht sich die Metropole dann von 8,5 Millionen Einwohnern auf elf Millionen Menschen auf. Auch ausländische Stadtplaner sind ratlos, wenn sie nach Lösungen für Bangkoks alltägliche Verkehrsprobleme gefragt werden.

In der „Stadt der Engel“ lässt sich eine wachsende Zahl von Fahrradenthusiasten dennoch nicht abschrecken. Sie radeln einfach drauflos – in der Hoffnung, am Abend wieder heil nach Hause zu kommen.