Martin Scorsese erzählt im jetzt anlaufenden Film „The Wolf of Wall Street“ die Geschichte eines Börsenbetrügers. Der Film basiert auf einem wahren Fall.

Stuttgart - Der junge Jordan Belfort steckt in einem feinen Anzug, lächelt gewinnend, marschiert mit elastischem Schritt in der Wall Street ein und sitzt auch gleich hoch über den Dächern von Manhattan, wo ihm ein Broker (Matthew McConaughey) während des Martini-Süffelns die Regeln des Spiels erklärt. Es gehe nicht darum, etwas herzustellen oder aufzubauen, sagt dieser hager-hohlwangige Erfolgsmensch, es gehe darum, den Kunden das Geld aus der Tasche zu ziehen und in die eigene zu transferieren. Man müsse bei diesem Geschäft aber entspannt sein, das Koksen helfe hier enorm, und vor allem das Onanieren. Wie oft Jordan denn zugange sei? Er selber jedenfalls mache es sehr oft. Und wer dabei an Geld denke, der habe es in dieser Disziplin zur Meisterschaft gebracht.

 

Sehr aufmerksam hört der von Leonardo DiCaprio mit Verve gespielte Jordan zu, gleich fühlt er sich auch schon wie ein Börsenprofi, also wie einer jener „Master of the Universe“, die Tom Wolfe in „Fegefeuer der Eitelkeiten“ beschrieben hat. Der Roman kam im Jahr 1987 heraus, und in jenem Jahr hat auch Jordan Belfort seinen Wall-Street-Auftritt. Allerdings dauert dieser nur einen Tag, die Firma wird gleich von einer Krise erwischt und stürzt ab, die hektisch telefonierende Nadelstreifenbrigade wird aufgelöst, Jordan Belfort ist arbeitslos. So schnell kann’s gehen, beziehungsweise: so schnell, prägnant und sarkastisch beschreibt und erfasst der amerikanische Regisseur Martin Scorsese in seinem neuen Film die Umtriebe respektive die süchtigen Betreiber und Spieler dieses größten Casinos der Welt.

Aber so fängt sein Film gar nicht an. Sondern so: mit einem Schnittfeuerwerk und krachend lauter Musik; mit protzigen Villen, Pools und schampussprühenden Orgien; mit Ferraris, Stretchlimousinen und Hubschraubern; mit Dollarbündeln und weißen Linien auf nackten Hurenhintern; mit aufgedrehten Krakeelern in geschmacklosen Outfits, die sich zwischen ihren Schreibtischen mit Zwergenzielwerfen amüsieren. Und mittendrin in dieser aufgeputschten und zusammenraffenden Collage der bübisch grinsende Boss des Ganzen: Jordan Belfort.

Film basiert auf wahren Begebenheiten

Jawohl, dieser Film basiert auf einem wahren Fall, und dieser Mann, der ihn erlebt beziehungsweise verursacht hat, darf ihn sogar selber erzählen. Martin Scorsese übernimmt nämlich Belforts nach dessen Abstieg geschriebene Autobiografie als Vorlage, lässt den Verfasser auch immer wieder aus dem Off zu Wort kommen oder direkt in die Kamera sprechen.

Aber wie will Scorsese seinen Helden aus der Karikatur lösen, in die er ihn bei der Eröffnungssequenz so fulminant hineingefilmt hat? Die Frage ist falsch gestellt: diesem Jordan Belfort, der von seinen Eskapaden manchmal leicht sarkastisch, aber nie einsichtsfähig berichtet, wird in diesem Film nie eine Existenz außerhalb der Karikatur zugestanden. Dieser Mann hat keine Antriebe, die verschüttet wären, zielt nie auf etwas, das man als „Höheres“ bezeichnen könnte, ist unfähig zur Liebe, zur Tragik oder zum Schmerz, der über das Körperliche hinausginge. Jordan Belfort ist sehr flach und durch und durch transparent. Er besteht sozusagen aus reinem Trieb, aus reiner Gier. Wenn er sich nicht ständig in Geld- , Sex- und Konsumräusche stürzte, gäbe es ihn gar nicht.

So einen Helden kann man eine Zeit lang vorführen, aber er hat keine Fallhöhe. Was ihm und seinem rasant hochgezogenen Betrugsunternehmen am Rande der Wall Street passiert, amüsiert uns vielleicht, aber es berührt uns nicht. Im Grunde hat Scorsese die Geschichte des Jordan Belfort, der mit sogenannten Penny Stocks ein Vermögen verdient und wieder verliert, auch schon in den ersten Minuten erzählt.

Scorsese entwickelt keine rechte Haltung zum Stoff

Die annähernd drei Stunden danach breiten im Grunde nur aus, was die Exposition vorgelegt hat. Und zum vielleicht ersten Mal in einem Scorsese-Film schleicht sich deshalb die Angst ein, es könnte langweilig werden. Denn auch die anderen Protagonisten sind und bleiben ja Karikaturen, die von Jordan angestellten Prollkumpel mit ihren doofen Brillen, Toupets und Tattoos genauso wie die schmollende Luxusblondine (Margot Robbie), die er sich zugelegt hat. Die Geschichte des Jordan Belfort wiederholt deshalb nur an ihrer Oberfläche die Aufstieg-und-Fall-Story von Scorseses Meisterwerk „Goodfellas“, tatsächlich begibt sie sich in gefährliche Nähe zu einem Krawallregisseur wie Michael Bay, der vor Kurzem in „Pain & Gain“ eine ähnliche Geschichte auf ähnliche Art erzählt hat. Aber nein, das ist nicht fair, Scorsese kann natürlich mehr, und in einzelnen Sequenzen zeigt er es auch.

„The Wolf of Wall Street“ kann zum Beispiel sehr komisch sein, Leonardo DiCaprio hat also nicht zu Unrecht den Golden Globe in der Sparte „Comedy und Musical“ erhalten. Wenn er als zugedröhnter Jordan versucht, in seinen Ferrari zu kriechen, später auch glaubt, es wäre ihm eine unfallfreie Heimfahrt gelungen, und der Film ihn dann mit der scheppernd-wahren Version korrigiert, ist das ein Kabinettstückchen.

Aber außer einer großen Lust, seinen Helden physisch durchzurütteln, außer einer gewissen Schadenfreude also, entwickelt Scorsese keine rechte Haltung zu seinem Stoff.

Früher hätte man so einen Film als Gaunerkomödie bezeichnet, letztlich zeigt er seine Protagonisten ja als harmlose Kindsköpfe. Dass es bei deren Börsenspielen auch Opfer gab, und durchaus nicht nur die Reichen, klammert Scorsese aus. Überhaupt bewegt er sich fast nur in Jordans Welt, der erklärt, dass seine Umtriebe in der normalen Welt wohl als obszön angesehen würden. Und grinsend hinzusetzt: „Aber wer will schon in der normalen Welt leben?“ Nur einmal werden seine Exzesse mit einem anderen Leben kontrastiert, da fährt der FBI-Ermittler, der Jordan zu Fall gebracht hat, mit der sehr unglamourösen U-Bahn nach Hause. Und da blitzt dann doch mal der Gedanke durchs Hirn, ob es nicht besser oder jedenfalls redlicher gewesen wäre, diesen protzigen Jordan Belfort im Film so vorzuführen, wie das RTL mit den Geissens macht: als langweiliges Würstchen mit Geld.

The Wolf of Wall Street.USA 2013. Regie: Martin Scorsese. Mit Leonardo DiCaprio, Jonah Hill, Jean Dujardin. 197 Minuten. Ab 16 Jahren. Von Donnerstag an in den Kinos.