In einem alten Schiffscontainer lässt der junge Belal die Stationen seiner Flucht aus Afghanistan Revue passieren. Die beklemmenden Fluchtumstände und die beklemmende Enge verfehlen ihre Wirkung auf das Publikum nicht.

Kirchheim - Du kannst auf deiner Flucht sterben – aber hier bist du schon tot.“ Belal, ein Jugendliche aus Afghanistan, wählt das Leben. Auch der junge Mann, der die Geschichte von Belals rund 8000 Kilometer langem Weg nach Deutschland vor den Schülerinnen und Schülern der Kirchheimer Max-Eyth-Schule nachspielt, ist ein Flüchtling. Es ist zwar nicht seine Geschichte, aber sie hat sich genau so abgespielt.

 

Für die schmale Bühne – mehr als zwei Stühle, eine Schreibtischlampe und einen Tisch braucht es nicht – hat Alexa Steinbrenner das Geschehen im Theaterstück „Pass.Worte“ aufbereitet. In Szene gesetzt hat es Wilhelm Schneck, auch er ist vom Stuttgarter Theater Lokstoff, dem Theater im öffentlichen Raum.

Schiffscontainer zum Theaterraum umfunktioniert

Seit Mittwoch steht der zum Theaterraum umfunktionierte Schiffscontainer auf dem Hof des beruflichen Schulzentrums in der Kirchheimer Henriettenstraße. Die mit 49 Plätzen karg bestuhlte Metallkiste befindet sich damit nur einen guten Steinwurf entfernt von der Sporthalle der Schule, in der seit Anfang Oktober rund 270 Flüchtlinge untergebracht sind.

Die räumliche Nähe, da sind sich die Akteure einig, gibt dem vom Kreisjungendring Esslingen an Land gezogenen Container-Theater noch mehr Tiefe.„Wir haben Flüchtlinge in der Sporthalle, wir unterrichten Flüchtlinge in unseren Vorbereitungsklassen. Wenn wir das nach außen transportieren, dann schließt sich mit dem Theater ein Kreis“, sagt Jochen Schade, der Schulleiter der Max-Eyth-Schu le. Das eindringlich erzählte Schicksal von Belal stelle Berührung her. „Das ist bei jungen Leuten, die einmal unsere Zukunft gestalten, besonders wichtig“, sagt der Pädagoge.

Von dieser Erfahrung wissen auch die Theatermacher zu berichten. „Wir werden in der Asyldiskussion von Zahlen überflutet. Das macht Angst. Ein Einzelschicksal aber, für das Belal mit seiner Geschichte steht, erzeugt Offenheit“, sagt Alexa Steinbrenner. Und Offenheit wiederum erzeuge Hilfsbereitschaft.

Zwei Aufführungen pro Tag

Für Schneck hat diese Art von Theater nur Vorteile. Das behutsam inszenierte Geschehen auf der Bühne ist für ihn ein Vehikel, über das die Zuschauer einen authentischen Blick auf ein Flüchtlingsschicksal bekommen. Der, so die Erfahrung des Theatermannes, sei sonst selbst in der direkten Begegnung mit Flüchtlingen nicht möglich. „Unbegleitete Jugendliche, die hier stranden, sind verschlossen. Sie teilen sich in der Regel nicht mit“, sagt er.

In den beiden Wochen, in denen der Container in Kirchheim Station macht, werden mit zwei Aufführungen täglich rund 400 Schüler erreicht. Zusätzlich kommen 100 Ehrenamtliche aus der Kirchheimer Flüchtlingshilfe in den Genuss zweier Vorstellungen. Seit der Premiere am 8. Oktober an der Lindenrealschule in Stuttgart-Untertürkheim hat „Pass.Worte“ 2500 Schüler erreicht. Bis zum Ende des Schuljahres sollen es doppelt so viele werden.

Allerdings ist im Februar, wenn die über das Bundesprogramm „Demokratie leben“ laufende Finanzierung endet, der Fördertopf erst einmal leer. Dann müssen die Schulklassen den Weg zum Stuttgarter Pragsattel auf sich nehmen. Dort ist der Heimathafen des Containers. Möglicherweise gelingt es Schneck aber auch, andere Finanzierungsquellen zu erschließen. „Ich könnte mir vorstellen, dass wir mit dem Container auch auf Firmenparkplätzen Station machen“, sagt er.