Durch die Einführung, die geistige Vorbereitung auf das Bühnengeschehen, gewinnt das Theater dem Publikum weitere Quadratmeter ab. Von Schillers moralischer Anstalt bis zu Brechts Lehrstücken reicht das Bestreben des Theaters, sich als Erzieher wichtig zu tun. Endlich ist es mit der Einführung da angekommen, wo es hinwollte: zur Interpretation seiner selbst. Die Einführung stimmt den Besucher auf die Absicht nicht des Stückes, sondern der Inszenierung ein, der keiner ohne Belehrung gewachsen wäre.

 

Kritik an dem, was auf der Bühne geschieht, wird durch diesen Selbstkommentar von vornherein ausgeschaltet. Der unvorbereitete Zuschauer, der sich so aufmerksam behandelt sieht, hält, was er hört, für die zuverlässigste Interpretation dessen, was ihm demnächst auf der Bühne geboten wird. Belehrung ist immer Entmächtigung, auch wenn sie nach Aufklärung strebt; und da im Theater der Aufklärung sofort die Aufführung folgt, bleibt wenig Zeit zu Diskussion und Überlegung. Unter dem Vorwand der Sorge um seinen Gast, den Zuschauer, bevormundet das Theater ihn unentwegt, körperlich wie geistig.

Nicht weniger als durch Konsum und Belehrung werden die Freiräume des Zuschauers eingeengt durch zusätzliche Veranstaltungen. Das Foyer selbst ist zur Spielstätte geworden. Immer wieder hat der Besucher um Kulissen herumzubalancieren, die für kleinere Inszenierungen im Foyer bereitstehen. Was einmal hinter der Bühne verborgen war, liegt nun störend vor der Bühne. Mit diesen Extras wirbt das Theater, ähnlich den Läden in der Stadt, mit einer Art „Theater and more“ für sich (was sich unter dem Logo „Theater x . . .“ verbirgt). Es bezeugt einen Übereifer im Dienst am Publikum, der dieses aber immer mehr beiseite schiebt.

Lange Schlangen an den Garderoben

Verschwunden ist im Stuttgarter Schauspiel auch Niedlichs Bücherstand, eine Besonderheit, die durch das persönliche Engagement des Buchhändlers, durch seine genaue Kenntnis der deutschen Theater ein Sortiment bereithielt, das alle Kenner und Liebhaber des Theaters anzog. Hier traf man sich, um über die Theater im Lande und in Stuttgart zu diskutieren. In dem Shop, der nun vom Theater selbst betrieben wird, findet man kaum mehr als die Romane, die gerade in Szene gesetzt werden, und T-Shirts, mit denen man noch niemanden in der Stadt hat fürs Theater werben sehen.

Stuttgart besitzt – um ein so naheliegendes Beispiel für viele andere zu nennen – in seiner Oper eines der schönsten Foyers Deutschlands. Vor den Aufführungen ist es unbegehbar, da, wie heutzutage Pflicht, die „Einführung“ stattfindet; braune Plastikstühle verhindern das Schlendern durch den schönen Wandelgang. Kommt nun, wie nach der Renovierung im Schauspielhaus, noch ein ausgedehnter Konsumbereich hinzu, so entsteht ein unfeierliches Gedränge und Geschiebe im Eingang, das mehr an verkaufsoffene Sonntage als einen Theaterabend erinnert.

Die zahlreichen Sitzgelegenheiten vor der Theke laden zum „Stehsitzen“ ein, einer Form von Aufenthalt, die Kaufhäusern abgeschaut ist. Um möglichst viele Menschen auf möglichst kleinem Raum zum bewegungslosen Glück des Konsums zu arrangieren, erfand man an Barhocker erinnernde Stühlchen, von denen die Beine willenlos herabbaumeln und die nicht mehr Platz gewähren als eben der Hintern braucht, der auf ihnen sitzt. Ein frei im Raum zu rückender Stuhl, ein Stuhl mit Lehne gar, auf dem man die Beine ausstrecken, sich einmal dem, einmal jenem Gesprächspartner zuwenden könnte, ist heutzutage auch für ein Theater Platzverschwendung. Im Foyer des Schauspielhauses sieht es nach der Renovierung nicht viel anders aus als in der neugestalteten Karlspassage: Das Design ist hier wie dort hypermodern, platzsparend, unbequem, verkaufsanregend. Auch im Theater herrscht die Imbiss-Situation.

Wenig Zeit zu Diskussion und Überlegung

Durch die Einführung, die geistige Vorbereitung auf das Bühnengeschehen, gewinnt das Theater dem Publikum weitere Quadratmeter ab. Von Schillers moralischer Anstalt bis zu Brechts Lehrstücken reicht das Bestreben des Theaters, sich als Erzieher wichtig zu tun. Endlich ist es mit der Einführung da angekommen, wo es hinwollte: zur Interpretation seiner selbst. Die Einführung stimmt den Besucher auf die Absicht nicht des Stückes, sondern der Inszenierung ein, der keiner ohne Belehrung gewachsen wäre.

Kritik an dem, was auf der Bühne geschieht, wird durch diesen Selbstkommentar von vornherein ausgeschaltet. Der unvorbereitete Zuschauer, der sich so aufmerksam behandelt sieht, hält, was er hört, für die zuverlässigste Interpretation dessen, was ihm demnächst auf der Bühne geboten wird. Belehrung ist immer Entmächtigung, auch wenn sie nach Aufklärung strebt; und da im Theater der Aufklärung sofort die Aufführung folgt, bleibt wenig Zeit zu Diskussion und Überlegung. Unter dem Vorwand der Sorge um seinen Gast, den Zuschauer, bevormundet das Theater ihn unentwegt, körperlich wie geistig.

Nicht weniger als durch Konsum und Belehrung werden die Freiräume des Zuschauers eingeengt durch zusätzliche Veranstaltungen. Das Foyer selbst ist zur Spielstätte geworden. Immer wieder hat der Besucher um Kulissen herumzubalancieren, die für kleinere Inszenierungen im Foyer bereitstehen. Was einmal hinter der Bühne verborgen war, liegt nun störend vor der Bühne. Mit diesen Extras wirbt das Theater, ähnlich den Läden in der Stadt, mit einer Art „Theater and more“ für sich (was sich unter dem Logo „Theater x . . .“ verbirgt). Es bezeugt einen Übereifer im Dienst am Publikum, der dieses aber immer mehr beiseite schiebt.

Lange Schlangen an den Garderoben

Verschwunden ist im Stuttgarter Schauspiel auch Niedlichs Bücherstand, eine Besonderheit, die durch das persönliche Engagement des Buchhändlers, durch seine genaue Kenntnis der deutschen Theater ein Sortiment bereithielt, das alle Kenner und Liebhaber des Theaters anzog. Hier traf man sich, um über die Theater im Lande und in Stuttgart zu diskutieren. In dem Shop, der nun vom Theater selbst betrieben wird, findet man kaum mehr als die Romane, die gerade in Szene gesetzt werden, und T-Shirts, mit denen man noch niemanden in der Stadt hat fürs Theater werben sehen.

Wie wenig man die Bedürfnisse des Publikums respektiert, zeigt sich da, wo kein Geld zu verdienen ist. Beim Einlass zu den Aufführungen etwa, wo sich lange Schlangen bilden, weil ein Teil der Eingänge geschlossen bleibt; an der Garderobe, die, trotz Erweiterung der Zahl der Sitzplätze, um die Hälfte vermindert wurde. Dort harren die Zuschauer lange, bis sie gehen können und haben, vom Theater genährt, wie sie sind, auch nichts im Sinn als dies. Ein Gespräch der Zuschauer untereinander soll es nicht geben – auch dies ein Grund, warum Aufführungen immer kürzer werden und Pausen entfallen. Zwar bieten Theater Gespräche nach der Aufführung an, aber auch diesmal geht die Interpretation von Schauspielern aus. So endet der Theaterabend eigentlich unbesprochen durch die, die ihn gemeinsam erlebten. Das Theater mag ein Ort des künstlerischen Experiments sein, ein Ort der städtischen Kommunikation ist es nicht mehr.