Porträt einer Neutönerin: Michael Piltz hat im Theater Rampe im Stuttgarter Süden die Musik-Pionierin und Komponistin Pauline Oliveros vorgestellt.

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Sphärische Elektro-Klänge breiten sich längs und quer durch das Atelier im Theater Rampe aus – und verschmelzen mit dem Sopran der Madame Butterfly, die in Giacomo Puccinis Oper ihr Schicksal beklagt. Der Effekt ist so intensiv, dass man meint, die Frequenzen schwingen zu sehen. „Bye Bye Butterfly“ heißt das Stück, das die amerikanische Komponistin und Akkordeonistin Pauline Oliveros Mitte der 1960er-Jahre im legendären San Francisco Tape Music Center aufnahm – mit Hilfe von zwei Hewlett Packard Oszillatoren, zwei hintereinander geschaltete Verstärker, einem Plattenspieler sowie zwei Kassettenrekordern, die teilweise verzögert aufnahmen. Das Besondere: Die Aufnahme ist die Komposition, in Echtzeit arrangierte Oliveros ihr Equipment, drehte an den Knöpfchen. Die Platte der Butterfly sei dabei gerade im Studio zur Hand gewesen, schreiben Kritiker, die das Stück als Abschied der Musik des 19. Jahrhunderts, dessen Politmoral und Unterdrückung der Frau interpretieren.

Das sei eine durchaus typische Arbeitsweise von Oliveros gewesen, betonte auch Michael Piltz in der Rampe. Dort stellte er mit „Deep Listening – Pauline Oliveros“ die Pionierin der elektronischen und experimentellen Musik vor.

Aus Lust und Leidenschaft

Und zwar in der Montagereihe, die er mit Andreas Vogel gemeinsam gestaltet und moderiert. „Wir greifen Themen aus allen möglichen Gebieten und der Popkultur auf, die uns und das Publikum interessieren, freuen uns über Ideen“, so Piltz. Dabei ginge es weniger um Expertentum, als darum Dinge jenseits des Mainstreams vorzustellen und sich darüber auszutauschen – gratis. Die Veranstaltungen der Reihe, die einmal im Monat montags stattfindet kosten keinen Eintritt. „Sie sind eine Plattform für Menschen, die sich für Musik, Film oder andere Erscheinungen der Populärkultur, weniger im kommerziellen, aber im weitesten Sinne interessieren.“ Abwechselnd oder gemeinsam gäben Vogel und er Vorschläge nach dem Motto, habt ihr schon mal davon gehört oder das müsst ihr euch mal unbedingt anschauen, beschreibt Piltz. Schmunzelnd fügt er hinzu: „Jeder Abend ist anders, mal kommen mehr, mal weniger Leute, wir sehen, was passiert. Wir sind begeisterte Dilettanten.“ Das freilich im positiven Wortsinn des 18. Jahrhunderts, in dem der Dilettant vor allem als Liebhaber und Amateur gesehen wurde, der eine Sache um ihrer selbst willen aus Lust und Leidenschaft ausübt.

Das ist ansteckend. Die Montagereihe gibt es schon seit rund 18 Jahren, an wechselnden Orten, seit fast zwei Jahren an der Rampe. Einst waren noch ehemalige Redakteure der Zeitschrift „Lift“ bei der Montagegruppe, nebst Musikfan Piltz und Konsorten. „Der Titel war ein Wortspiel. Wir wollten auch montags was stattfinden zu lassen, weil da kaum was passiert. Freilich steckt auch die Bedeutung des Montierens drin, des Zusammenfügens von Wissensschnipsel verschiedener Leute und Unvorhersehbarem.“

In allem Klang gefunden

Wie bei Pauline Oliveros, deren Konzept des „Deep Listening“ Piltz faszinierte. Die 1932 in Houston, Texas, geborene Musikerin studierte in ihrer Heimatstadt und in San Francisco. Dort arbeitete sie mit Komponisten und Avantgarde-Musikern wie Steve Reich, Terry Riley oder Morton Subotnick zusammen, alle gelten als Pioniere der Minimal Music. Bei einigen, wie bei Oliveras, spielen asiatische Techniken, wie Meditation, Karate hinein. Die 2016 verstorbene Texanerin fand in allem Klang, vom Stein bis zur Stille. Ihr Konzept des „tiefen Zuhörens“, im Gegensatz zum Hören, entdeckte sie denn auch, als sie erstmals in einem Stollen komponierend aufnahm. Piltz ließ sie per Video sprechen und zitierte sie: „Deep Listening bedeutet allem Möglichen zuzuhören in jedweder Art . . .  es beinhaltet die Klänge des Alltags, der Natur, der eigenen Gedanken und musikalischen Tönen . . .  es ist ein Zustand erhöhter Wahrnehmung und verbindet mit allem, was da draußen ist.“