Ludwigsburg hat ein neues Festival: Das von der Theaterakademie organisierte Furore-Treffen zeigt aufregendes junges Theater aus halb Europa.

Stuttgart - Junge Frauen haben es schwer. Das ihnen auferlegte Rollenbild steckt Grenzen, die enger sind als bei jungen Männern, für welche die Freiheit grenzenlos ist. Nur auf der Straße masturbieren, das sollten selbst junge Burschen nicht, fordert die Schauspielerin aus Paris, die auf der klinisch weißen Bühne jetzt Dinge auflistet, die ein junger Mann tunlichst unterlassen sollte. Dann stürzt sie sich zurück ins Kollektiv der rosafarben gekleideten Kolleginnen und tanzt zu Techno-Klängen den Drill, der sie ins Rollenmuster presst. „Morsure“ heißt die in der Tradition choreografischen Theaters stehende Produktion, die das Furore-Festival der Ludwigsburger Theaterakademie eröffnet hat – mit Biss, wie „Morsure“ auf Deutsch lautet.

 

Furore findet in diesem Jahr zum ersten Mal statt. Zu verdanken ist das dreitägige Treffen der Initiative von Akademie-Studenten, die „in Zeiten europäischer Konflikte den Zusammenhalt und Austausch der heranwachsenden Generation stärken will“, wie Svenja Käshammer sagt, die in Ludwigsburg gerade ihr Dramaturgie-Studium abschließt. 45 Inszenierungen aus ganz Europa hat sie mit ihrem Team für Furore gesichtet, 15 haben es zum „Festival für junges Theater“ tatsächlich geschafft: eine internationale Leistungsschau, die Auskunft gibt über den Stand der Dinge, deren Fortschreibung nichts weniger als die Zukunft des europäischen Theaters sein wird. Und beruhigt stellt man fest, dass einem darum nicht bange sein muss.

Intimer Abend für die Besucher

Biss hat ja nicht nur das Pariser Tanztheater, worin Frauen mit hoher Energie ihre von Gewalterfahrungen geprägte Innenwelt ausbreiten. Biss beweist auch das im Keller des Ludwigsburger Rathauses sich entfaltende biografisch-dokumentarische Theater „Wer sind Sie? Was machen Sie hier!“. Erzählt wird die Geschichte zweier iranischer Männer, die mit ihren Eltern in Deutschland gestrandet sind. Genauer: Die Männer selbst sind es, die ihr Leben erzählen, Auskünfte geben, Beichten ablegen – und diese Unmittelbarkeit macht die 60 Minuten unter der Regie von Faraz Baghaei zu einer eindrucksvollen Sitzung.

Eine orientalische Begrüßung führt die Besucher in den intimen Abend ein. Die Spieler Ruzbeh Mirmoayadi und Mohammad Salamat, wie Baghaei mit iranischem Hintergrund und noch dazu im gleichen Alter, 27, servieren Tee und ziehen den Gästen die Schuhe aus. Rituell nehmen sie uns mit in ihre Wohnungen und auch auf eine Reise in die fremde Haut: Erfahrungen, Sehnsüchte und Träume, die aber kein rundes Emigrantenporträt, sondern eine grobe Generationenskizze liefern, so eckig und voller Widersprüche, dass sich die Spieler nachts in Albträumen krümmen. Für private Momente, die ins Allgemeine weisen, entwickelt der Regisseur eine enorme Sensibilität. Und enorm ist ja auch das Talent dieses mehrfach mit Preisen ausgezeichneten Mannes, der noch in Ludwigsburg studiert. Wenn aber alles mit rechten Dingen zugeht, muss einem auch um die Zukunft von Baghaei nicht bange sein – ebenso wenig wie um das juvenile Furore-Festival, das mit seinem Debüt gute Gründe für eine Fortsetzung geliefert hat. Wie man hört, soll es in zwei Jahren wieder ein Ludwigsburger Treffen des jungen Theaters geben.