Der Stuttgarter Theiss Verlag ist die erste Adresse für regionale Themen. Nun geht er in seiner Darmstädter Muttergesellschaft auf und wird lediglich als Marke weitergeführt. Das ist bitter, schreibt der StZ-Literaturredakteur Stefan Kister – weil der Verlag Regionalia-Literatur für eine neue, junge Zielgruppe geöffnet hat.

Kultur: Stefan Kister (kir)

Stuttgart - Der Reiz des Regionalen liegt in seiner Gegenwärtigkeit: Vieles kennt man nur aus der Ferne, hier aber triumphiert die Nähe. Sollte man meinen. Umso paradoxer aber, dass eine der ersten Verlagsadressen für die Nobilitierung des Zunächstliegenden der Region den Rücken kehrt. Wie berichtet wird der Stuttgarter Theiss Verlag seinen Sitz am ersten Juli nach Darmstadt verlegen, wenn man in diesem Fall von Sitz überhaupt noch reden kann. Denn eigentlich löst sich das Traditionsunternehmen, das bisher noch als eigenständige GmbH geführt wurde, in seinem Mutterkonzern, der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft, auf, die den Verlag 1997 übernommen hat. Als Imprint wird die Marke Theiss weitergeführt, so nennt man in der Branche jene vor allem aus Marketinggründen gewährte Scheinselbstständigkeit, mit der die großen Verlagsgruppen von der Bekanntheit der einverleibten Namen zu profitieren hoffen.

 

Seinen Namen hat sich das 1956 in Aalen gegründete und seit den siebziger Jahren in Stuttgart ansässige Unternehmen ursprünglich mit primär landesgeschichtlichen und landeskundlichen Themen gemacht, später sein Programm auf Geschichte und Archäologie ausgeweitet. Sachbücher und Kataloge zählen zum Kerngeschäft. Was mit den „Römern in Baden Württemberg“ begann und mit einem Bildband über die Himmelsscheibe von Nebra für das Genre astronomische Verkaufszahlen erreichte, hat sich längst den Weg in andere kulturelle Hemisphären gebahnt: Gleichberechtigt stehen unter den Neuerscheinungen dieses Jahres neben einer Liebeserklärung an die Kuckucksuhr und Stadtwanderführern durch Esslingen Ausschweifungen durch die 6000-jährige Geschichte Mesopotamiens oder die Archäologie unter dem Hakenkreuz.

Früher war alles geiler

Unter der Ägide des im September aus dem Verlag scheidenenden Geschäftsführers Volker Hühn ist es nicht nur gelungen, die regionalen Wurzeln vom Unkraut provinziellen Muffs freizuhalten, sondern aus ihnen junge und frische Triebe zu ziehen. Mag ein Teil der für Regionalia empfänglichen Zielgruppe unter der unausgesprochenen Prämisse leben, dass früher alles besser war, so öffnete Hühn das Programm einem Publikum, das allenfalls konzedieren würde, dass früher manches geiler war, und mit früher die achtziger Jahre im Sinn hätte, wie sie etwa Kai Thomas Geiger in seinem Roman „Autoreverse“ vom Jugendhaus Möhringen aus in den Blick genommen hat.

Wie selbstbewusst und weltlustig diese junge, neue Heimatliteratur auftritt, davon konnte man sich jüngst beim Auftakt der „Stadtkind“-Reihe der Stuttgarter Zeitung einen Begriff machen, in deren Mittelpunkt Geigers Roman stand, wo Sätze mit den Worten begannen: „Es gibt zwei Städte: New York und Stuttgart . . .“

Acht von zehn Stellen sollen wegfallen

Dass es für frische belletristische Nahsichterfahrungen durchaus einen Markt gibt, zeigt neben der anhaltenden Konjunktur der Regionalkrimis der Überraschungserfolg von Büchern wie Elisabeth Kabateks „Laugenweckle zum Frühstück“, von dem der das lokale Terrain nun alleine kontrollierende Silberburg Verlag mehr als 100 000 Exemplare absetzen konnte. Der Theiss Verlag will vor Ort nun künftig von Darmstadt aus präsent sein. Das ist in der Sache mindestens ein Widerspruch, für die Verlagsstadt Stuttgart aber ein bitterer Verlust. Daran lässt auch der Noch-Geschäftsführer keinen Zweifel. „Ich finde das sehr schade und für die Region ist das sehr traurig“, sagt Volker Hühn. Ein Regionalverlag lebt von der engen Vernetzung mit den ortsansässigen Autoren, mit den lokalen Medien und Kulturinstitutionen, der Kunstakademie beispielsweise, mit deren Studenten der Band „Die im Dunkeln sieht man doch“, ein faszinierendes Nachtporträt der Stadt, produziert wurde.

Die Sprecherin der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft, Christina Herborg, führt für die Entscheidung strategische Gründe an. Man reagiere damit auf den technologischen Wandel und die veränderten Rahmenbedingungen der Buchbranche. „Das ist eine Investition in die Zukunft, wir bündeln unsere verlegerischen Aktivitäten, um künftig etwa auch auf dem Markt für E-Books präsenter zu sein“, sagt Herborg.

Das Gerücht einer Neugründung macht die Runde

Von dieser Bündelung sind zwei weitere Tochterunternehmen betroffen, der Primus und der Philipp von Zabern Verlag. Wie es heißt, werde ein Großteil der Mitarbeiter übernommen, gleichzeitig sollen acht Stellen eingespart werden. Das klingt wenig, beliefe sich aber im Falle des Theiss Verlages auf vier Fünftel der zehnköpfigen Belegschaft. Wie sich die Kürzung genau auf die Verlage verteilen, behält Herborg für sich, räumt allerdings ein, dass Stuttgart davon überproportional betroffen sei. Dafür werde man einen eigenen Regionalia-Lektor einstellen, einen „Dienstleister vor Ort“, der einen Teil seiner Arbeit in Stuttgart verrichten wird.

Nun mögen Bündelungen und Zentralisierungen unter Effizienzgesichtspunkten ein probates Mittel sein, ob sie taugen, die autochthonen Kräfte eines Ortes und einer Region zu entbinden, darf bis zum Beweis des Gegenteils bezweifelt werden. Schon macht das Gerücht die Runde, ehemalige Mitarbeiter planten, einen eigenen Verlag zu gründen. Doch bis es so weit ist, wird man wohl damit leben müssen, dass für Ortserkundungen wie das im Herbst erscheinende Gemeinschaftswerk lokaler Autoren, „Stuttgart – das Buch!“, künftig Darmstadt die richtige Adresse ist.