Flüchtlinge und deren Unterstützer fordern auf dem Kirchentag von der Politik, dass legale Wege nach Europa geschaffen werden. Entwicklungsminister Gerd Müller gibt zu, dass Deutschland mehr tun könnte als bisher – und Europa sowieso.

Politik/ Baden-Württemberg: Christian Gottschalk (cgo)

Stuttgart - Die Geschichte von Maya Alkhechen wäre es wert gewesen, sehr viel ausführlicher berichtet zu werden. Doch dafür war selbst auf dem Kirchentag keine Zeit. Mit sechs Jahren nach Deutschland gekommen, im Ruhrgebiet aufgewachsen und Abitur gemacht, 2006 zurück nach Syrien gegangen, geheiratet, zwei Kinder bekommen. Alles war gut so weit, sagt die junge Frau, dann kam der Krieg.

 

Flucht nach Ägypten, unzählige Versuche, einen Weg zu finden, zurück nach Deutschland zu den hier lebenden Verwandten zu kommen, gescheitert. Es folgten sieben Tage und sechs Nächte auf einem Boot im Mittelmeer, auf jener Mörderstrecke, auf der schon Tausende ihr Leben verloren haben. Sie sei ihren Schleppern dankbar, sagt Maya Alkhechen, die inzwischen eine anerkannte Asylbewerberin ist. Allen Überlegungen, den Schleppern das Handwerk zu legen, erteilte die junge Frau eine entschiedene Absage. „Schafft endlich legale Wege, um als Flüchtling nach Europa zu kommen, dann haben auch die Schleuser nichts mehr zu tun“, lautet ihr Appell. Mehr als 1500 Menschen in der proppevollen Benz-Arena gaben da zum ersten Mal mächtig Applaus.

Beifall und Buh-Rufe für den Minister

Das Flüchtlingsthema gehört zu den Schwerpunkten des Kirchentages, dementsprechend viel Zeit hatten die Verantwortlichen der anschließenden Podiumsdiskussion eingeräumt. Drei Stunden, in denen vor allem Entwicklungsminister Gerd Müller mit Fragen überhäuft wurde. Sehr kurzfristig war der CSU-Politiker für Thomas de Maizière eingesprungen. Vom Publikum erntete er kräftigen Beifall und deutliche Buh-Rufe gleichermaßen.

Groß war der Applaus, als der Minister mit Blick auf den syrischen Bürgerkrieg und seine 300 000 Toten fragte, wo denn die Friedensinitiative bleibe, dies zu brandmarken, und dass das Thema unbedingt auf die Tagesordnung der G 7 gehöre. Sehr deutlich hingegen die Unmutsbezeugungen der Besucher, als Müller die Frage stellte, wie viele Flüchtlinge ein jeder in der Halle denn bereit sei, bei sich zu Hause aufzunehmen. Zu diesem Zeitpunkt wurde bereits darüber diskutiert, wie viele Flüchtlinge Europa in diesem Jahr und in naher Zukunft zu erwarten habe.

Visumpflicht für Syrer soll aufgehoben werden

Europa sei gerade dabei, das zu verspielen, was die Staaten als Wertegemeinschaft zusammenhalte, sagte Müller. Vincent Cochetel vom Europabüro des UN-Flüchtlingswerkes UNHCR gab ihm recht. Er sprach von einer „vergifteten Debatte“, die derzeit in der Staatengemeinschaft geführt werde und von der Notwendigkeit, die Solidarität innerhalb Europas deutlich zu erhöhen.

Karl Kopp, Europareferent der Hilfsorganisation Pro Asyl, griff die Bemerkung Maya Alkhechens auf. Legale Wege des Zuzugs zu schaffen sei das Mantra, das seine Organisation seit Jahren schon tausendfach wiederholt habe. „Nicht die Grenze ist tödlich, sondern die Politik, die dahintersteckt.“ Sein Vorschlag: Menschen aktiv in das Land holen und vorübergehend die Visumspflicht für Syrer aussetzen.

Zudem massiv die Seenotrettung ausbauen: Man brauche sehr viel mehr Mare Nostrum und sehr viel weniger Triton sagte Kopp und stieß dabei auf offene Ohren von Franca die Lecce. Bei der evangelischen Kirche Italiens ist di Lecce Direktorin im Bereich Flüchtlinge und Migranten. Die Aktion Mare Nostrum, die Italien nach dem Tod von 400 Flüchtlingen im Mittelmeer begann, im vergangenen Jahr allerdings wieder beendet hatte, sei allein schon nicht ausreichend gewesen. „Wir brauchen umfassende Lösungen, das ist alles sehr komplex.“

In Ungarn verprügelt, nun im Frankfurter Kirchenasyl

Komplex und kompliziert ist auch die Geschichte von Petros Amaniel Habte. Der junge Mann floh aus seinem Heimatland Eritrea nach Somalia und kam von dort mit einem ungarischen Visum nach Europa. Aus Amsterdam wurde er nach Ungarn zurück gebracht, fühlte sich da aber seines Lebens nicht sicher. Er sei auf der Straße angefeindet und geschlagen worden, „weder die Polizei noch die Behörden haben etwas dagegen getan“. Inzwischen genießt Habte Kirchenasyl in Frankfurt und bereitet sich auf die Abendrealschule vor.

Die Geschichte des jungen Afrikaners ist kein Einzelfall. „Europa muss mehr zusammen stehen“ forderte denn auch Vincent Cochetel, es gehe nicht nur darum, legale Wege nach Europa zu finden, sondern auch innerhalb Europas, sekundierte Karl-Kopp von Pro Asyl.

Deutschland könne mehr für Flüchtlinge tun als bisher, „Europa auf alle Fälle“, lautet die Einschätzung von Gerd Müller, der davor warnte, „einen Zaun um unsere Wohlstandsinsel zu bauen“. Gleichwohl blieb der Entwicklungsminister bei seiner Ansicht, dass zuallererst in den Herkunftsländern der Flüchtlinge die Lage verbessert werden müsse.