Beim Gottesdienst in der Stadtkirche in Stuttgart-Feuerbach stand das Thema Obdachlosigkeit im Vordergrund.

Feuerbach - Es war schon ein Mammutprogramm, das die Feuerbacher Konfirmanden am Samstag absolvierten: Von der Bahnhofsmission bis zur Stuttgarter Vesperkirche lernten sie Orte der gelebten Nächstenliebe kennen. Und am Sonntag ging es dann beim Gottesdienst um das Thema Obdachlosigkeit. Pfarrer Harald Küstermann sprach dabei von einem „Schock“, dem die jungen Leute am Tag zuvor ausgesetzt gewesen seien: „Der Erkenntnis, dass Leben schiefgehen können, das Menschen abstürzen können.“ Und auch für die meisten Erwachsenen dürfte es eine durchaus fremde Welt gewesen sein, um die es dabei ging. Doch sie ist nur einen Schritt entfernt.

 

Vom Roter Männerwohnheim Immanuel-Grözinger-Haus war der Leiter Axel Glühmann in die Stadtkirche gekommen. Er erläuterte, wie schnell es gehen kann mit dem sozialen Abstieg und dass keiner dagegen gefeit sei: „Man hält das für eine typische Problematik der Unterschicht, aber wir hatten auch schon Akademiker und Doctores.“ Auslöser sei meist eine persönliche, gesundheitliche oder berufliche Krise. Kommen „Problemlöser“ wie Alkohol oder andere Suchtmittel dazu, gerate schnell eine Abwärtsspirale in Gang, an deren Ende die Obdachlosigkeit stehen kann.

Obdach für 144 Männer

144 Männer finden im Wohnheim der Evangelischen Gesellschaft ein Obdach, insgesamt gelten in Stuttgart zirka 5000 Menschen als wohnsitzlos oder in prekären Verhältnissen lebend, berichtete Glühmann während des von Pfarrerin Gerda Müller moderierten Gesprächs im Gottesdienst. Frauen würden es länger schaffen, nach außen hin den Schein zu wahren; manche prostituierten sich sogar für ein Dach über dem Kopf. Und man kam auch auf die Notunterkünfte und auf den Kältebus zu sprechen, die in den zurückliegenden, eiskalten Nächten unter Umständen lebensrettend für Obdachlose waren.

Gerda Müller erzählte von einer Kirchengemeinde, die kurzerhand einen Kleiderständer vor die Tür gestellt hatte, auf dem die Bürger nicht mehr benötigte Winterkleidung für die Obdachlosen hinterlassen konnten: „Wäre das nicht auch etwas für uns hier in Feuerbach?” Und das Team um Pfarrer Hartmut Zweigle hatte weitere Gäste eingeladen, die zeigten, wie jeder einzelne helfen kann: So gab es nach dem Gottesdienst die Straßenzeitung Trottwar zu erwerben und es wurden Lavendelsäckchen zugunsten von „Schlupfwinkel“ verkauft – einer Initiative, die Kindern und Jugendliche hilft, die auf der Straße leben.

Jugendreferent Rüdiger Englert präsentierte außerdem fotografische Impressionen des Aktionstages. Dabei hatten die Jugendlichen neben dem Immanuel-Grözinger-Haus auch eine Wohngruppe des Behindertenzentrums (bhz) am Feuerbacher Pfostenwäldle besucht. Und weitere Stationen, wie einen CAP-Markt, die Bahnhofsmission oder die Vesperkirche im Leonhardsviertel. „Anstrengend“ sei es gewesen, berichteten Miryam Zweigle, Maja Eidenmüller und Tom Schmid. Und speziell die Umgebung um die Leonhardskirche hatten die Jugendlichen „als ziemlich verratzt“ erlebt: „Sexshops, Casinos, und wir haben sogar Spritzen auf der Straße gesehen“.

Die Teilnehmer einer anderen Konfirmandengruppe hätte das so bedrückt, dass sie sich in der Vesperkirche nicht dazusetzen und auch nichts essen wollten, erzählen sie noch. Es habe allerdings auch sehr schöne Begegnungen gegeben: „Da waren immer auch Leute, die sehr nett waren.“ War der Tag für die jungen Leute eher eine Konfis-Pflichtveranstaltung oder eine richtig gute Aktion? „Es war gut“, sagt Tom Schmid: „Und wenn man heimkommt, dann sieht man seinen Lebensstandard mit anderen Augen.“