Nichts kann den Bürger mehr in Rage bringen als stundenlanges Stehen im Stau. In einem Gesundheitsreport hat die Technikerkrankenkasse TKK schon vor Jahren auf die hohe psychische Belastung von Berufspendlern im Auto hingewiesen. Manche haben einen Stresspegel wie Kampfpiloten.

Stuttgart/Berlin - Nichts kann den Bürger mehr in Rage bringen als stundenlanges Stehen im Stau – sei es in der Ferienzeit oder im Berufsverkehr. In einem Gesundheitsreport hat die Technikerkrankenkasse TKK schon vor Jahren auf die hohe psychische Belastung von Berufspendlern im Auto hingewiesen. Manche haben einen Stresspegel wie Kampfpiloten.

 
Stau: Wie groß ist das Problem?

Mal abgesehen von schwach besiedelten Regionen in Ostdeutschland gibt es freie Fahrt eigentlich nirgendwo: Der ADAC bilanzierte kürzlich für 2016 durchschnittlich 1901 Staus auf deutschen Autobahnen – pro Tag. Deren Gesamtlänge addierte sich auf 1,3 Millionen Kilometer Länge – ein Fünftel mehr als im Jahr zuvor. Und es wird schlimmer. Städte wie Berlin, München, Hamburg und Frankfurt wachsen durch Zuzug – und locken mehr Verkehr an. Gleichzeitig wird laut Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) allein der Lastwagenverkehr im Zeitraum von 2010 bis 2030 um 38 Prozent zunehmen – selbst eine theoretische Verdoppelung des Güterzugaufkommens könnte den Trend nicht stoppen, würde nur eine Minderung des Lkw-Verkehrs um 20 Prozent bringen. Beim bundesweiten Stauaufkommen liegen nach einer Analyse des Verkehrsdatendienstleisters Inrix Stuttgart und Heilbronn gemeinsam mit Köln auf Rang zwei hinter München: Durchschnittlich verbrachten Autofahrer im letzten Jahr in den drei Städten je 46 Stunden zu Stoßzeiten im Stau. In München waren es 49 Stunden. Bei der Industrie- und Handelskammer der Region Stuttgart heißt es, die Verkehrsbehinderungen seien „ein Gift für den Standort“.

Was für ein Gegenmittel gibt es?

„Es gibt keine einfache Lösung“, sagt ein Sprecher des ADAC. Es gebe nur ein Bündel von Maßnahmen: klassischen Straßenausbau, Ortsumfahrungen, bessere Ampelsteuerung in Städten, ein stärkeres ÖPNV-Angebot, mehr Radverkehr, mehr „Park-and-Ride“-Möglichkeiten, eine bessere Vernetzung der Verkehrsträger. Nichts davon ist neu, alles erprobt. Aber die starke Wechselwirkung zwischen Verkehrsarten rückt stärker ins Bewußtsein. Ein jüngeres Beispiel: Ein Pendler, der täglich von Heilbronn nach Stuttgart-Möhringen muss hat früher stets den Zug benutzt. Als die Frankenbahn jedoch ständig Zugausfälle und Verspätungen hatte, stieg er wieder ins Auto – und verlängerte wieder den Stau. Wer für eine Verbesserung des Schienenverkehrs eintritt, der tut auch etwas gegen Staus. Verkehrsminister Dobrindt (CSU) verweist auf das riesige Investitionsvolumen von fast 270 Milliarden im Bundesverkehrswegeplan 2030, wovon fast die Hälfte auf den Straßenbau entfällt – vorrangig für den Straßenerhalt, nicht den Neubau. „Das bringt weniger Staus“, sagt der Minister. Aber er sei der erste Verkehrsminister, der mehr Geld habe, als er ausgeben könne. Der Engpass ist bei den Planungs- und Baubehörden der Länder, aber auch in der Bauwirtschaft. Sie kommen mit der Arbeit gar nicht nach.

Mehr Straßen, mehr Züge?

Die SPD-Verkehrsexpertin und Bundestagsabgeordente Annette Sawade, sieht immer noch eine Unwucht im System zu Lasten der Schiene. Sie wohnt bei Schwäbisch Hall, und für sie ist es ein Unding, dass beispielsweise Heibronn bis heute keinen IC-Anschluss hat oder die Strecke Heilbronn-Würzburg zum Teil noch wegen Kriegsschäden an Brücken eingleisig verläuft. Aber beim Thema Straßenführung hat Sawade in Bayern ein nachahmenswertes Beispiel gesehen: mehr als andernorts würden dort an Steigungen drei Fahrstreifen auf Bundesstraßen eingesetzt werden – mit einer Spur für Langsame. Vor allem CDU-Politiker setzen sich für Straßenneubauten ein zur Lösung des Stauproblems, etwa den Nord-Ost-Ring für Stuttgart – ein Projekt, was heftige Gegenwehr der betroffenen Kommunen nach sich zieht. Beim ADAC weist man auf München hin: Drei Tunnel seien auf dem Mittleren Ring gebaut worden. Das habe den Verkehr „gebündelt“, entlaste die Wohngebiete.

Bringt ein Tempolimit was?

Für alle Parteien ist ein allgemeines Tempolimit das große Tabu. Dabei empfehlen es einige Verkehrswissenschaftler, um eine Angleichung der Geschwindigkeiten zu erzielen: das vermindere gefährliches dichtes Auffahren und riskante Überholmanöver sowie stauverursachende Spurwechsel. Durchgesetzt haben sich flexible Tempoanzeigen im Zulauf der Städte, die bei Staugefahr 60 oder 80 anzeigen. Das vermindere die klassischen Auffahrunfälle, lobt auch der ADAC. Kritisiert wird von einigen Verkehrsexperten, dass Lkw-Fahrer automatische Abstandsregler abschalten, was zu Auffahrunfällen führen kann.

Was die Parteien sagen

Die Bahn wollen eigentlich alle stärken, den Ausbau der Straßen ebenfalls. Union und FDP wollen die Planungsverfajhren für Infrastruktur vereinfachen, damit der Bau schneller geht. „Wir werden die Dauer für ein Planungsverfahren verkürzen, wo immer möglich und vertrebar“, heißt es im Wahlprogramm der CDU. Die Liberalen bemängeln, „dass wir viel zu viel Lebens- und Arbeitszeit verlieren, weil Straßen, Brücken und Schienen nicht saniert oder ausgebaut werden. Und die SPD fordert eine Verkehrswende und sagt es ganz deutlich: „Wir wollen, dass Pendlerinnen und Pendler nicht permantent im Stau stehen.“ Andere Akzente setzen die Grünen, sie sagen, Verkehrsminister Dobrindt habe beim Stau-Problem „komplett“ versagt: Statt Verkehr zu vermeiden oder zu verlagern werde „Landschaft zubetoniert“, auf jeden vermeintlichen Engpass reagiere der Minister mit Straßenbau: Aber auch die Grünen wollen „Mobilität mit Lebensqualität, ohne Lärm, Dreck und Stau.“