1937 wurde Eschenburg zum Dienststellenleiter in zwei Prüfungsstellen der Reichsgruppe Industrie bestellt, zuständig vor allem für Fragen der Export/Import-Beobachtung und -Kontrolle. In dieser Funktion war Eschenburg Ende 1938 mit der anstehenden „Arisierung“ (also auch hier dem Raub) eines Berliner Unternehmens in jüdischem Besitz befasst. Die soziale Diffamierung und Entrechtung der deutschen Juden hatte zwischen April und November 1938 sichtbar zugenommen: dazu zählten eine Verordnung, wonach Juden künftig die Vornamen „Sara“ beziehungsweise „Israel“ führen mussten; das Erlöschen der Zulassung jüdischer Ärzte sowie der Abriss der Synagogen in München, Nürnberg und Dortmund. Dennoch plädierte Theodor Eschenburg dafür, dem Firmeninhaber den Reisepass zu entziehen, auch wenn er diesen Standpunkt kurz darauf mit wirtschaftlichen Begründungen revidierte.

 

Mehr noch: in einem Brief, in dessen Betreff er das Opfer als „den Juden Wilhelm J. Fischbein“ titulierte, teilte er mit, er habe „vorsorglich“ (!) dem Reichswirtschaftsministerium (RWM) von der „Vermutung“ (!) Kenntnis gegeben, der Fabrikant sei dabei, sich „unter Benutzung deutscher Devisen (. . .) im Ausland eine neue Existenzbasis zu schaffen“. Damit hätte Fischbein gegen das 1936 erlassene Gesetz gegen Wirtschaftssabotage verstoßen, das Kapitalflucht oder das Belassen von Vermögen im Ausland mit der Todesstrafe bedrohte.

Zuständig war der Volksgerichtshof. Was Eschenburgs Unterstellung für Fischbein bedeuten konnte, musste ihm in seiner Position klar sein. Der anschließend verfasste, Unheil kündende Aktenvermerk des zuständigen Referenten lautete, „dass im Fall Fischbein möglicherweise ein Interesse daran bestehen wird, den Juden nicht auswandern zu lassen“. Wie die Akten belegen, blieb Fischbeins Pass eingezogen. Mitte Januar 1939 gelang es ihm, nach eigener Aussage im Wiedergutmachungsverfahren 1965, illegal über die Schweiz nach England zu flüchten. An Eschenburg lag es nicht, dass er den Nazis entkam.

Im Privatleben viele jüdische Freunde

Seit Eschenburg erstmals mit dem „Entjudungs“-Verfahren befasst worden war, hatte er sich nicht nur bei Einschätzungen Fischbeins dienstfertig gezeigt. Gleich zu Anfang hatte er laut ministeriellem Vermerk für die Durchführung der „Arisierung“ zwei Firmen genannt, „die im Exportgeschäft besonders rührig sein sollen“, und sich erboten, „eingehende Vorschläge für die Lösung der Arisierungsfrage ein(zu)reichen“. Zurückhaltung war in Positionen wie derjenigen Eschenburgs auch 1938 noch möglich. „Vermutungen“ hätte er keiner Behörde „vorsorglich“ mitzuteilen brauchen. Wie bei Kopf und Schöningh illustriert sein Verhalten die Beflissenheit konservativer Funktionseliten, die zum Funktionieren des Systems beitrugen. Privat blieb Eschenburg nach 1933 mit jüdischen Mitbürgern befreundet. Schöningh scheint in Tarnopol wenigstens einer jüdischen Familie ein Entkommen ermöglicht zu haben. Für Kopf existieren ähnliche Hinweise, die seine Biografin allerdings sehr vorsichtig beurteilt. „Hilfe im Einzelfall, Funktionieren im Ganzen“ – auf diesen Nenner bringt ein Rezensent der Harbou’schen Schöningh-Biografie solches Handeln. Das heißt: Antisemitismus war nicht nötig. Wohl aber bedurfte es des Auseinanderklaffens von „privater“ und „öffentlicher“ Moral, wie es im Dritten Reich häufig auftrat. Derartige Doppelmoral wurde gefördert durch ein Denken, das den „starken“ Staat zu Lasten individueller Rechte überhöhte.

Für Tarnopol war ein Ghetto bereits errichtet worden. Wie in ganz Galizien wurden Abertausende jüdischer Ghettoinsassen 1942/43 aus Sambor und Tarnopol in das Vernichtungslager Belzec deportiert. Bei dem Prozess „arbeitsteiligen“ Mordens wirkten Sicherheitspolizei und Zivilverwaltung zusammen. Nach dem Krieg behauptete Schöningh vor Gericht, „Terror“ habe allein die SS ausgeübt. Nicht zuletzt dank der Fürsprache Kardinal Faulhabers erhielt er eine US-Lizenz als einer der drei Gründer der „Süddeutschen Zeitung“.

Hinrich Wilhelm Kopf war 1928–1932 sozialdemokratischer Landrat in Niedersachsen. Anschließend gründete er in Berlin eine Maklerfirma, mit der er an dem Verkauf jüdischer Häuser verdiente. Nach dem deutschen Einmarsch in Polen war Kopf 1939–1942 für die sogenannte Haupttreuhandstelle Ost tätig. Ihre Aufgabe bestand in der Erfassung und „Verwertung“ – sprich: dem Raub – polnischen Vermögens mit dem Ziel wirtschaftlicher „Eindeutschung“ des besetzten Landes.

Jubel für Hitler und die Generäle

Im Falle der polnischen Juden stellte die Zerstörung ihrer Lebensgrundlage in aller Regel „eine Etappe dar auf dem Weg zur physischen Vernichtung“, so Teresa Nentwig in ihrer Biografie Kopfs. 1948 lehnte das britische Militärgericht in Herford den polnischen Antrag ab, Kopf – der zu diesem Zeitpunkt schon niedersächsischer Ministerpräsident war – als Kriegsverbrecher auszuliefern. Kopf selbst verschleierte seine Tätigkeit. Der „Gründervater“ des Landes Niedersachsen blieb im Amt.

Schöningh war überzeugter Katholik. Kopf war 1919 in die SPD eingetreten. An der Universität gehörten beide studentischen Verbindungen an. Der Weimarer Republik stand Schöningh, so sein Biograf, von der Warte „echter Staatsgesinnung“ distanziert gegenüber. Im Falle Kopfs vermutet seine Biografin, Verbindungsstudententum und preußische Beamtentradition hätten obrigkeitsstaatliche Einstellungen gefördert. Nach dem Krieg verschwiegen Schöningh und Kopf entscheidende Aspekte der Funktionen, die sie im Dritten Reich ausgeübt hatten. In ihrer 1930 erschienenen, jüngst von Anne Rohstock (München) wiederentdeckten Stresemann-Biografie zitierte Antonina Vallentin, Publizistin und Vertraute Gustav Stresemanns, den frühen Theodor Eschenburg mit den Sätzen: „Wir jubelten im November 1923“ – nach dem Münchner Putsch – „Hitler zu. Wir erwarteten alles von der Macht der Generäle.“

Die Regeln der schlagenden Verbindung Germania

Der Tübinger Student Eschenburg war Mitglied der schlagenden Verbindung Germania, die wie Tübingens übrige Korporationen seit 1919 keine „Juden und Abkömmlinge von Juden“ mehr aufnahm. Zum Vorsitzenden des nationalistischen, antisemitischen Hochschulrings deutscher Art gewählt, verantwortete er 1925 die Verbreitung eines Plakats, mit dem der deutsch-jüdische Pazifist und Justizkritiker Emil Julius Gumbel aufgefordert wurde, einen Vortrag abzusagen. Nach eigenem Bekunden war er anwesend, als die Veranstaltung von Studenten gesprengt wurde. Nachdem der Vortrag in den Tübinger Vorort Lustnau verlegt worden war, forderte die anschließende „Lustnauer Schlacht“ mehr als ein Dutzend Verletzte. Um seine Mitverantwortung zu kaschieren, behauptete Eschenburg später, das Plakat habe lediglich dafür geworben, „der Versammlung mit Gumbel fernzubleiben“.

Der Doktorand Eschenburg (den Stresemann zu seiner Politik „bekehrte“) resümierte 1929, als „Alpha und Omega aller inneren Staatspolitik“ habe die Staatsspitze „von sich aus (zu) bestimmen, welches Maß und Ziel“ politische Reformen besitzen sollten, „ohne dass sie sich die Führung aus der Hand nehmen“ ließe. Diese Position bezeichnete Eschenburg als „staatskonservativ“. Ihr gehörte seine erkennbare Sympathie. Noch 1995 erblickte er „die optimale Lösung des demokratischen Problems“ in Alfred Webers „Führerdemokratie“-Konzept, mit der Kompetenz der gewählten „Führerspitze“ zu parlamentarisch unkontrollierter „selbstständiger Entscheidung“.

Der Industrieverbandsfunktionär Theodor Eschenburg wurde seit dem 30. Juni 1933 als SS-Anwärter geführt, am 6. März 1934 mit der Nummer 156 004 in die SS aufgenommen und dem Motorsturm 3/III/3 zugewiesen. Sein Stammrollenblatt enthält in der Rubrik „Versetzungen, Ausscheiden“ keinen Eintrag. Eschenburg gab später an, er habe die SS im Spätherbst 1934 mit deren „Billigung“, berufliche Verpflichtungen vorschützend, wieder verlassen.

Zuständig für Import und Export

1937 wurde Eschenburg zum Dienststellenleiter in zwei Prüfungsstellen der Reichsgruppe Industrie bestellt, zuständig vor allem für Fragen der Export/Import-Beobachtung und -Kontrolle. In dieser Funktion war Eschenburg Ende 1938 mit der anstehenden „Arisierung“ (also auch hier dem Raub) eines Berliner Unternehmens in jüdischem Besitz befasst. Die soziale Diffamierung und Entrechtung der deutschen Juden hatte zwischen April und November 1938 sichtbar zugenommen: dazu zählten eine Verordnung, wonach Juden künftig die Vornamen „Sara“ beziehungsweise „Israel“ führen mussten; das Erlöschen der Zulassung jüdischer Ärzte sowie der Abriss der Synagogen in München, Nürnberg und Dortmund. Dennoch plädierte Theodor Eschenburg dafür, dem Firmeninhaber den Reisepass zu entziehen, auch wenn er diesen Standpunkt kurz darauf mit wirtschaftlichen Begründungen revidierte.

Mehr noch: in einem Brief, in dessen Betreff er das Opfer als „den Juden Wilhelm J. Fischbein“ titulierte, teilte er mit, er habe „vorsorglich“ (!) dem Reichswirtschaftsministerium (RWM) von der „Vermutung“ (!) Kenntnis gegeben, der Fabrikant sei dabei, sich „unter Benutzung deutscher Devisen (. . .) im Ausland eine neue Existenzbasis zu schaffen“. Damit hätte Fischbein gegen das 1936 erlassene Gesetz gegen Wirtschaftssabotage verstoßen, das Kapitalflucht oder das Belassen von Vermögen im Ausland mit der Todesstrafe bedrohte.

Zuständig war der Volksgerichtshof. Was Eschenburgs Unterstellung für Fischbein bedeuten konnte, musste ihm in seiner Position klar sein. Der anschließend verfasste, Unheil kündende Aktenvermerk des zuständigen Referenten lautete, „dass im Fall Fischbein möglicherweise ein Interesse daran bestehen wird, den Juden nicht auswandern zu lassen“. Wie die Akten belegen, blieb Fischbeins Pass eingezogen. Mitte Januar 1939 gelang es ihm, nach eigener Aussage im Wiedergutmachungsverfahren 1965, illegal über die Schweiz nach England zu flüchten. An Eschenburg lag es nicht, dass er den Nazis entkam.

Im Privatleben viele jüdische Freunde

Seit Eschenburg erstmals mit dem „Entjudungs“-Verfahren befasst worden war, hatte er sich nicht nur bei Einschätzungen Fischbeins dienstfertig gezeigt. Gleich zu Anfang hatte er laut ministeriellem Vermerk für die Durchführung der „Arisierung“ zwei Firmen genannt, „die im Exportgeschäft besonders rührig sein sollen“, und sich erboten, „eingehende Vorschläge für die Lösung der Arisierungsfrage ein(zu)reichen“. Zurückhaltung war in Positionen wie derjenigen Eschenburgs auch 1938 noch möglich. „Vermutungen“ hätte er keiner Behörde „vorsorglich“ mitzuteilen brauchen. Wie bei Kopf und Schöningh illustriert sein Verhalten die Beflissenheit konservativer Funktionseliten, die zum Funktionieren des Systems beitrugen. Privat blieb Eschenburg nach 1933 mit jüdischen Mitbürgern befreundet. Schöningh scheint in Tarnopol wenigstens einer jüdischen Familie ein Entkommen ermöglicht zu haben. Für Kopf existieren ähnliche Hinweise, die seine Biografin allerdings sehr vorsichtig beurteilt. „Hilfe im Einzelfall, Funktionieren im Ganzen“ – auf diesen Nenner bringt ein Rezensent der Harbou’schen Schöningh-Biografie solches Handeln. Das heißt: Antisemitismus war nicht nötig. Wohl aber bedurfte es des Auseinanderklaffens von „privater“ und „öffentlicher“ Moral, wie es im Dritten Reich häufig auftrat. Derartige Doppelmoral wurde gefördert durch ein Denken, das den „starken“ Staat zu Lasten individueller Rechte überhöhte.

Anders als bei der Beschlussfassung der DVPW über den Eschenburgpreis 1999 bekannt, war Theodor Eschenburg mit seinen mündlich wie schriftlich dem RWM übermittelten Vorschlägen und Mitteilungen beteiligt an der Verfolgung eines Deutschen jüdischer Konfession durch das NS-Regime. Später hat er darüber geschwiegen. Jene moralische Katastrophe, von der eingangs die Rede war, nahm nicht über Nacht ihren Anfang mit der mörderischen „Endlösung“ der sogenannten Judenfrage. Sie begann damit – in den Worten des Historikers Andreas Hillgruber – , dass Gehorsam, Diensteifer, Pflichterfüllung ihrer ethischen Substanz entkleidet und zu Eigenwerten verabsolutiert wurden.

Als Vorbild taugt Eschenburg nicht

Dieser fatalen Verschiebung hätte Eschenburg nach 1945 auch aufgrund seiner persönlichen Erfahrungen nachgehen müssen, war es ihm doch laut eigenem Bekunden zu tun um das angemessene Verhalten in und gegenüber politischen Institutionen. Stattdessen hat er die Kollaboration antidemokratischer „Fachleute“ wie Hans Globke, Ernst von Weizsäcker, Lutz Schwerin von Krosigk mit den Nazis verteidigt und beschönigt.

Wie immer man seine „Lebensleistung“ insgesamt beurteilen mag: als Vorbild für die Politikwissenschaft taugt Eschenburg nicht. Einen Preis des Fachs weiter nach ihm zu benennen sollte sich verbieten.

Anmerkung, 19. September 9:20 Uhr: Wir haben den Titel des Seitentrenners geändert. Eschenburg war zuständig für "Import und Export", nicht jedoch für "Arisierung", wie in der ursprünglichen Fassung vermerkt. Er war vielmehr, wie im Text geschrieben, im Zusammenhang mit der "Arisierung" mehrerer Unternehmens tätig.