Die personalisierte Medizin bedeutet, dass jeder Patient seine eigene Behandlung erhält. Allerdings sind noch viele Fragen offen.

Stuttgart - Der Begriff personalisierte Medizin steht für eine bessere therapeutische Zukunft – zumindest mag es dem Laien so vorkommen. Schließlich ist jeder anders krank auch beim gleichen Leiden. Beim einen wirken die verordneten Medikamente gut, beim anderen nicht, und beim dritten haben sie schlimme Nebenwirkungen. Seit einigen Jahren erforscht man daher die molekularbiologischen Grundlagen von Krankheiten, um die Unterschiede zwischen den Patienten herauszufinden.

 

Die Pharmakogenetik ist dabei ein wichtiger Forschungszweig. Sie zielt auf erblich bedingte Unterschiede ab. Mit Hilfe von Gentests können Patienten bereits heute bei einigen wenigen Krankheiten vor der Therapie getestet werden. „Doch bei so unterschiedlichen und weit verbreiteten Krankheiten wie etwa Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder psychischen Leiden kann man nicht nur die genetischen Faktoren betrachten“, meint Bärbel Hüsing vom Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung in Karlsruhe. Bei derartigen Volksleiden spielten die Umwelt, der Lebensstil, das Geschlecht, der Beruf und soziale Faktoren eine wichtige Rolle. Der Ansatz der individualisierten Medizin sei derzeit noch stark wissenschafts- und technologiegetrieben. Hüsing sieht das Potenzial der individualisierten Medizin, warnt aber vor einer „Biologisierung der Krankheit“.

„Die Forschung sollte mehr aus der Klinik und weniger grundlagenorientiert getrieben werden“, rät die Biologin. Und man müsse beim Studiendesign der klinischen Studien umdenken. Bis jetzt benötige man für eine brauchbare wissenschaftliche Statistik möglichst viele Fälle. In der personalisierten Medizin hingegen sind die Fallzahlen sehr viel kleiner. Doch lassen sich bei einem „schlanken Studiendesign“ noch relevante Aussagen machen? Und ist das noch finanzierbar? Und lässt sich dies auf eine breite Gesundheitsversorgung übertragen? „Es sind noch viele Fragen offen, und es wird sich zeigen, ob es sich bei der individualisierten Medizin um ein neues Paradigma oder eine Nische handelt“, sagt Hüsing.

In der Pharmaindustrie zeichnet sich ein Paradigmenwandel ab. Aufgrund der verlangten riesigen klinischen Studien fallen viele Produkte durch, solche Medikamente kommen nicht auf den Markt – obwohl sie vielleicht einer kleinen Gruppe von Patienten hätten helfen können. Viele Firmen, so auch der Schweizer Konzern Roche, suchen daher mittlerweile nicht mehr nur nach neuen Medikamenten, sondern gleichzeitig auch nach sogenannten Biomarkern. Biomarker sind Substanzen, die man im menschlichen Körper finden kann, wie etwa die verschiedenen Parameter eines Blutbildes. Bei Biomarkern kann es sich um Zellen, Gene, Genprodukte oder bestimmte Moleküle wie Enzyme oder Hormone handeln.

Durch einen Biomarker-Test kann man beispielsweise herausfinden, ob ein Patient an einer bestimmten Erkrankung leidet. Daher ist es sinnvoll, die Suche nach solchen Markern in die Pharmaforschung zu integrieren. Schließlich lässt sich ein Medikament im Sinne der individualisierten Medizin am ehesten vermarkten, wenn man mit Hilfe des entsprechenden Biomarkers weiß, bei welchem Patienten man das Mittel einsetzen könnte: „Ein Medikament kann nur wirken, wenn man auch weiß, ob und wo. Dazu braucht man einen Test“, berichtet Susanne Arbogast, Leiterin der Abteilung Pathologie im Forschungszentrum von Roche im bayerischen Penzberg. Hier wird auf molekularer Ebene untersucht, warum etwa eine Zelle zu einer Krebszelle wird – um damit Therapien zu entwickeln.

Dabei gibt es immer wieder Überraschungen. Ein Beispiel dafür ist das Ende der 90ger Jahre entwickelte Herceptin. Dieses Medikament wurde gegen Brustkrebs entwickelt. Es blockiert den sogenannten Her2-Rezeptor. Der Her2-Rezeptor ist ein Protein, das auf den Zellen vieler menschlicher Organe vorkommt. Normalerweise befinden sich zwei dieser Rezeptoren auf der Zellmembran einer Brustzelle. Bei etwa 30 Prozent aller Frauen mit Brustkrebs ist der Her2-Rezeptor auf den Brustkrebszellen jedoch überexprimiert. Herceptin wiederum blockiert diesen überaktiven Rezeptor.

Doch nicht nur bei bestimmtem Brustkrebs kann das Mittel wirken. Auch bei einigen Patienten mit metastasierendem Magenkrebs hilft Herceptin. „16 bis 22 Prozent der Patienten mit derart fortgeschrittenem Magenkrebs haben einen überexprimierten Her2. Diese Patienten können von Herceptin profitieren“, so die Medizinerin.