Der SPD-Politiker Wolfgang Thierse ätzt gegen Schwaben in Berlin – auf falscher Basis, wie unser Autor Holger Gayer feststellen muss.

Chefredaktion : Holger Gayer (hog)

Stuttgart - Wolfgang Thierse ist bestimmt ein kluger Mann. Abitur, Schriftsetzerlehre, Germanistikstudium, SPD-Parteibuch, seit 23 Jahren Bundestagsabgeordneter, zeitweise sogar Parlamentspräsident, seit 2005 immerhin Vizechef desselben und Träger des Theodor-Heuss-Preises. Selbigen hat Thierse zwar bereits vor zwölf Jahren bekommen – für sein beispielhaftes Engagement zur Stärkung der Demokratie als Staats- und Lebensform. Im Blick auf seinen jüngsten Beitrag zur Lage der Nation erscheint der Hinweis auf die Auszeichnung, die den Namen des ersten Bundespräsidenten trägt, allerdings sinnvoll – ebenso übrigens wie der Hinweis, dass Heuss gebürtiger Brackenheimer und späterer Stuttgarter, mithin also ein weltoffener Schwabe, war.

 

Thierse ist dagegen gebürtiger Breslauer, späterer Thüringer und heutiger Berliner. In der Rolle des Letzteren hat er nun mitgeteilt, dass er nicht nur seit 40 Jahren im Prenzlauer Berg wohnt, sondern sich auch ärgert, dass es beim Bäcker seiner Wahl „keine Schrippen gibt, sondern Wecken“. In Berlin, sagt Thierse, sage man aber Schrippen, „daran könnten sich selbst Schwaben gewöhnen“. Überhaupt wünsche er sich, „dass die Schwaben begreifen, dass sie jetzt in Berlin sind. Und nicht mehr in ihrer Kleinstadt mit Kehrwoche. Sie kommen hierher, weil alles so bunt und so abenteuerlich und so quirlig ist, aber wenn sie eine gewisse Zeit da waren, dann wollen sie es wieder so haben wie zu Hause“. Das passe nicht zusammen.

Nun könnte man auf solche Einlassungen reagieren wie Günther Oettinger („Ohne Schwaben wäre die Lebensqualität nur schwer möglich, denn wir zahlen ja jedes Jahr viel Geld über den Länderfinanzausgleich ein“) oder Cem Özdemir („Viele Schwaben kommen zum Arbeiten nach Berlin, tragen hier zur Wertschöpfung bei“). Das ist ja alles richtig, geht aber am eigentlichen Problem vorbei. Thierse hat da nämlich etwas falsch verstanden. Im schwäbischen Sprachgebrauch steht der Begriff Wecken entweder mit der Vorsilbe ein- für das Eindünsten von Lebensmitteln oder mit der Vorsilbe auf- für eine sehr unangenehme Tätigkeit, die in der Regel ein Wecker jeden Morgen an den Schwaben vollbringt. Beim Bäcker aber kaufen wir ganz brav nach dem Wecken unsere: Weckle.