Dem Suhrkamp-Archiv gilt die größte Ausstellung, die Marbach je gezeigt hat. Mit einer Thomas-Bernhard-Schau endet die über vierjährige Reihe.

Stuttgart - Seit das Deutsche Literaturarchiv in Marbach 2010 die Archive des Suhrkamp und des Insel Verlags erworben hat, sind ausgewählte Schätze daraus, über vier Jahre verstreut, im Literaturmuseum der Moderne auf der Schillerhöhe gezeigt worden. Was im Sommer 2010 unter dem Titel „Suhrkamps großer Süden“ mit den Lateinamerikanern Julio Cortázar, Juan Carlos Onetti und Octavio Paz begonnen hat, findet jetzt, nach zehn weiteren Ausstellungen zu Suhrkamp-Autoren wie Max Frisch, Ingeborg Bachmann oder Ernst Bloch, sein vorläufiges Ende mit einem weiteren Hausheiligen des Suhrkamp Verlags: Thomas Bernhard. Da traf es sich gut, dass die Fangemeinde des österreichischen Schriftstellers vor wenigen Tagen den 25. Todestag ihres Idols beging und sich die Internationale Thomas Bernhard Gesellschaft aus diesem Anlass in Marbach zu einer Tagung versammelt hatte. Im Gespräch mit der Kuratorin Ellen Strittmatter versuchten der Dramaturg Hermann Beil und der Suhrkamp-Cheflektor Raimund Fellinger herauszufinden, wie Bernhard mit seinen Texten umzugehen pflegte. Stimmt die von der Ausstellung aufgestellte These, dass er sich von seinen Arbeiten nicht trennen konnte, sondern deren Veröffentlichung durch wiederholtes Korrigieren immer wieder verzögerte?

 

Hermann Beil, seit 1974 Chefdramaturg des Regisseurs Claus Peymann, zunächst in Stuttgart, dann in Bochum und am Wiener Burgtheater und heute am Berliner Ensemble, war an zahlreichen Uraufführungen von Bernhards Stücken beteiligt, von denen einige auch in Stuttgart stattfanden; er kann deshalb aus einem reichen Anekdotenschatz schöpfen.

Bernhard habe über einen „praktischen Theaterverstand“ verfügt, erinnert sich Beil; man habe seine Stücke für die Aufführungen zwar häufig kürzen, aber anders als etwa bei Peter Turrini oder George Tabori sonst nicht weiter in sie eingreifen müssen. Im Fall des „Theatermachers“, uraufgeführt 1985 während der Salzburger Festspiele, habe Bernhard aus damals aktuellem Anlass vor der Aufführung noch eine Anspielung auf den österreichischen Glykolwein-Skandal eingefügt; in „Heldenplatz“ bekam der Schauspieler Karlheinz Hackl, den Bernhard mochte, noch etwas mehr Text zugeteilt. Sonst aber seien die Stücke bei der Abgabe des Manuskripts für den Autor abgeschlossen gewesen, er habe dann keine weiteren Kommentare mehr dazu abgegeben, wünschte sie vielmehr möglichst bald auf der Bühne zu sehen.

Abrechnung mit dem Kulturbetrieb

Raymund Fellinger, seit 1979 Lektor und seit 2006 Cheflektor bei Suhrkamp, erzählte von seiner gemeinsamen Arbeit mit dem Autor am Text, Komma für Komma, Wort für Wort. Für Bernhard sei auch der Schrifttyp wichtig gewesen, beim Roman „Holzfällen“ (1984) etwa habe der auf Wunsch des Autors nachträglich geändert werden müssen. Aber Bernhard sei kein Diktator gewesen, sondern habe mit sich reden lassen. Er wollte das Buch gedruckt sehen, um damit abschließen und sich neuen Projekten zuwenden zu können.Mit ihrem Titel „Nicht enden können – Thomas Bernhards Korrekturen“ übertreibt die Marbacher Ausstellung also gewaltig. Dass ein Autor, wie die präsentierten Typoskripte zeigen, an seinen Texten in der Phase der Drucklegung mit Strichen und Ergänzungen noch Änderungen vornimmt, ist sein gutes Recht. Ein Sonderfall ist der 1984 veröffentlichte Roman „Holzfällen. Eine Erregung“, weil Bernhard hier in seiner Abrechnung mit dem österreichischen Kulturbetrieb Anspielungen auf real existierende Personen wie den Komponisten Gerhard Lampersberg (seinen ehemaligen Mäzen) vorgenommen hat, die durch Korrekturen etwas abgeschwächt werden mussten. Genützt hat das alles nichts, denn Lampersberg (im Roman „Auersberger“ genannt) reichte eine Beleidigungsklage ein, der Roman wurde auf richterlichen Beschluss hin in allen österreichischen Buchhandlungen beschlagnahmt. Ansonsten aber sollte man dem Urteil des Lektors Fellinger zustimmen, dass Bernhard sehr wohl mit seinen Büchern abschließen konnte, wenn sie die von ihm gewünschte „klassische Gestalt“ gefunden hatten.