Bei Familien mit Kindern ist er beliebt, bei den Anwohnern verhasst: der Göppinger Tierpark ist ein Kuriosum und wird 60 Jahre alt.

Baden-Württemberg: Eberhard Wein (kew)

Göppingen - Gerade noch sind die Kängurus Fionas Favoriten gewesen. Nun hat sich die Vierjährige in die Hasen verliebt. "Schau, das ist die Lilli", sagt sie und krault einem bunt gescheckten Kaninchen über das Gitter hinweg die kurzen Löffelohren. Wobei der Göppinger Tierpark, den sie mit ihren Eltern und ihrer zweijährigen Schwester Marie erobert, gar kein Streichelzoo ist. Aber so eng sieht das hier keiner.

 

Vor allem bei kleinen Kindern ist der Göppinger Zoo beliebt. "Für dieses Alter ist er optimal", sagt Fionas Vater Andreas Gärtner. Also hat er seine Familie ins Auto gepackt und ist die paar Kilometer von Wendlingen hergefahren. In der Stuttgarter Wilhelma sind ermüdende 8000 Tiere in 1000 Arten auf 30 Hektar zu erlaufen. Hier gibt es nur 250 Tiere in 50 Arten, komprimiert auf 3200 Quadratmetern.

Es ist diese Nische, auf die sich der Tierpark spezialisiert hat und die ihm seit 60 Jahren das Überleben garantiert. Kaum ein waschechter Göppinger, der hier nicht seine ersten tierischen Streicheleinheiten verteilt hätte. Diese frühkindliche Prägung lässt die Menschen an ihrem Tierpark hängen. "Komm, wir besuchen den Affenstall", formulieren Alteingesessene in Anspielung auf die Gehege, die teilweise eher an Hundehütten erinnern.

Beim Verwaltungsgericht liegen Klagen von Anwohnern

An der Existenz des Tiergartens traut sich deshalb auch im Gemeinderat niemand zu rütteln, obwohl es sich bei den Käfigen, Terrarien und Gehegen, die den Charme eines Kleingartenanlage verbreiten, um nichts anderes als Schwarzbauten handelt. Genau genommen hat die Kommunalpolitik aber auch keine Alternative. Zwar könnte sie dem Tierparkverein kurzerhand das Gelände kündigen. Doch hätte die Stadt dann wohl auch die Tiere am Hals, darunter Äffchen, Schlangen und ein rheumakranker schwarzer Panther.

Ursprünglich war auf der Wiese am Rande eines ruhigen Göppinger Wohngebiets lediglich das Vereinsheim der Aquarienfreunde ansässig. Doch im 60. Jahr seines Bestehens entschied sich der Verein, seiner Tierliebe künftig auch im Trockenen zu frönen. So wurden im Jahr 1952 die ersten Streichelgehege angelegt. All das vollzog sich keineswegs im Geheimen. Stolz berichtete man ein Jahr später der Lokalzeitung. Trotzdem bemühte sich niemand um die eigentlich notwendigen Genehmigungen, und auch die Stadt scherte es offenbar wenig, zumal die Wohnbebauung noch nicht so nah herangerückt war.

So blieb es über Jahrzehnte. Jetzt erst will die Stadt diesen rechtlosen Zustand durch einen neuen Bebauungsplan und die Ausweisung eines Sondergebiets beheben. Bis es so weit ist, besteht auf dem Areal absolutes Bauverbot. Die Zeit drängt. Denn beim Verwaltungsgericht liegen schon die Klagen von Anwohnern, die genug vom Brunftgeschrei der Kameldame, vom Gestank des Ziegendungs und vom Parkplatzsuchverkehr der Besucher haben.

OB hat Verständnis für Beschwerden

Der Göppinger Oberbürgermeister Guido Till kann nicht leugnen, dass er ein gewisses Verständnis für die Beschwerden hat. Von einem Auswärtigen, der nicht in Göppingen, sondern im Rheinland aufgewachsen ist und der auch keine kleinen Kinder hat, kann man wohl nichts anderes erwarten. Vor allem aber hat er kurz nach seiner Wahl vor sieben Jahren selbst eine Zeit lang in der Nachbarschaft gewohnt. "Wenn man heimkam, konnte man nicht sicher sein, ob nicht plötzlich ein Lama im Garten steht", sagt Till. Wobei der OB dabei wohl ein wenig übertreibt: Lamas seien noch nie ausgebüxt, sagt Heiko Eger. Der einzige Ausreißer in jüngerer Zeit sei ein neu zugezogener und noch fremdelnder Nasenbär gewesen. Er habe das Tierchen kurze Zeit später vom Baum auf einer nahen Streuobstwiese pflücken können.

Das sei der kleine Adrenalinschub, den er ab und zu brauche, räumt Eger ein. Der 45-Jährige mit den großen kräftigen Händen ist der Vorsitzende des gemeinnützigen Tierparkvereins, und zudem Zoodirektor und Cheftierpfleger in einem. Mit dem Tierpark sei er verheiratet, sagen viele, die ihn kennen. Dass Eger vor drei Jahren seine langjährige Lebensgefährtin ehelichte, widerlege die Behauptung keineswegs. Die Hochzeit fand übrigens im Tierpark statt, und natürlich trug Eger bis zwei Minuten vor Beginn der Zeremonie seinen grünen Arbeitsoverall. Am wohlsten fühlt er sich eben inmitten seiner "Viechla". Seine Frau akzeptiere dies alles nicht nur mit Liebe und Humor, behauptet Eger, sie steuere sogar den größten Teil des Familieneinkommens bei-und führe den Hund Gassi, der daheim auf Eger wartet.

Tatsächlich, das ist wohl die Wahrheit, hat die Liebe zum Tierpark die älteren Rechte. Schon im Grundschulalter besaß Eger 50 Wellensittiche, Kanarienvögel und Wachteln und hielt sich Dutzende von Fischen in drei große Aquarien-auch damals übrigens unter stillschweigender Duldung der Stadt Göppingen. Die Eltern hätten so viele Tiere niemals in der Wohnung haben wollen, doch glücklicher Weise gab es im selben Haus zwei Räume der Stadtgärtnerei, die nicht mehr genutzt wurden. Hier verbrachte Eger seine Nachmittage.

Der Zoodirektor hat Modellschreiner gelernt

Die schicksalhafte Begegnung in seinem Leben darf dann durchaus als göttliche Weichenstellung verstanden werden. Im Alter von 13 Jahren schwänzte Eger nämlich den Sonntagsgottesdienst und ging stattdessen in den Tierpark, wo ihn eine ältere Frau, die einen Stall ausmistete, sogleich aufforderte, sich nützlich zu machen.

Seither kommt Eger regelmäßig und seit vielen Jahren täglich in den kleinen Zoo. Morgens kehrt er die kaffeebohnengroßen Köttel der Kamele auf, mittags bringt er den Affen ihr Obst, das er zuvor als Verfallsware bei zwei Discountern abholt, abends verteilt er Fleisch an die Raubtiere: sieben Tage die Woche bei nur einem freien Nachmittag. Der Verein bezahlt ihn für 100 Arbeitsstunden im Monat, der Rest ist Ehrenamt. Mehr ist nicht drin bei 25.000 Besuchern und einem Jahresetat von 70.000 Euro. Unterstützt wird Eger von Vereinsmitgliedern, die vor allem am Wochenende aushelfen, von Praktikanten und einer 400-Euro-Kraft Stefanie Ertl. "Eigentlich habe ich Friseurin gelernt", sagt sie. "Aber Tiere sind mein Hobby."

Bei Eger ist es nicht anders. Der Zoodirektor hat Modellschreiner gelernt. Das hilft bei den praktischen Fragen des Gehegebaus, ansonsten aber ist er Autodidakt, der zwar etliche zoologische Fachliteratur gelesen und Praktika absolviert hat, aber niemals eine offizielle Tierpflegerausbildung in Angriff nahm.

Verwaltungsbeamte und keine Biologen

Anfang der 90er Jahre hätte Eger fast bei der Wilhelma angefangen. Nach der Wiedervereinigung strömten zahlreiche Tierpfleger in den Osten, und der Stuttgarter Zoo suchte händeringend Nachwuchs. "Die nahmen jeden, der schon mal ein Pony gestreichelt hat", sagt Eger. Dann aber besann er sich doch anders: "Hier in Göppingen bin ich mein eigener Herr, bin für die Tiere da, baue Gehege und kann organisieren."

Als das Landratsamt im Jahr 2003 aufgrund einer neuen Verordnung der Europäischen Union damit begann, erstmals eine Zoogenehmigung für den Göppinger Tierpark zu erarbeiten, war auf Vereinsseite befürchtet worden, die Behörde könnte an dieser Stelle den Finger in die Wunde legen und die Einstellung eines Tierpflegers fordern. Doch als sieben Jahre später die Genehmigung vorlag, fanden sich darin zwar Vorgaben, wie viel Wasser zur Haltung eines Goldfisches benötigt würden, an Egers Fachwissen wurde jedoch nicht gezweifelt. Freimütig räumte der zuständige Leiter der Unteren Naturschutzbehörde im Landratsamt, Peter Arndt, ein, selbst überfordert gewesen zu sein. "Wir sind Verwaltungsbeamte und keine Biologen." Mit einer Zoogenehmigung habe man zuvor nie zu tun gehabt und werde wohl auch in Zukunft nie mehr etwas damit zu tun haben.

Klar ist seither aber, dass der Park seinen Tierbestand verändern muss. Mitleidsaktionen wie die Aufnahme eines alten Tanzbären, den sich Eger 1997 von einem Münchner Tierschutzverein aufschwätzen ließ, sind in Zukunft nicht mehr denkbar. Der alte Braunbär namens Baby, der heute ausgestopft im ehemaligen Käfig der Riesenhamsterratte sitzt und die Besucher angrinst, starb neun Jahre später fast 40-jährig an Altersschwäche und begründete den Ruf des Göppinger Tierparks als Seniorenheim für Exoten.

Nur der Bär kann Eger nicht leiden

Gleichzeitig stieß das Tierparkteam mit solchen Bewohnern an seine eigenen Grenzen. "Ich habe zu allen Tieren ein gutes Verhältnis, aber der Bär hat mich nicht leiden können", sagt Eger. Für das selbst gebaute Gehege habe es allerdings von einem erfahrenen Bärenpfleger aus der Wilhelma ein Kompliment gegeben.

Inzwischen haben sich in eben diesem Gehege die Nasenbären breitgemacht. Und obwohl wegen des fehlenden Bebauungsplans Eger momentan alle Umbauten verboten sind, hat er den kleinen Klettermeistern auf ganz legale Art zusätzlichen Auslauf verschafft, in dem er aus ihrem Gehege heraus ein Seil zu einem nahen Baum spannte. Eine Plastikkrause soll verhindern, dass die Tiere zu einem verbotenen Freigang absteigen. Und wenn sie hinunterspringen? Na ja, ein kleiner Adrenalinschub muss wohl sein.

Der Tierpark ist täglich von 10 Uhr an bis zum Einbruch der Dunkelheit, maximal aber bis 19 Uhr geöffnet. Die Anfahrt über die Lorcher Straße/B297 ist ausgeschildert. Erwachsene zahlen 2,50 Euro, Kinder einen Euro.

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