Jährlich landen mehr als sechs Millionen Tonnen wertvoller Schalenabfälle auf dem Müll. Forscher möchten diese Ressource nutzen und daraus wertvolle Produkte und Energie gewinnen.

Stuttgart - Was bei der Verarbeitung von Krustentieren übrig bleibt, landet meist im Müll. Weltweit gehen jährlich zwischen sechs und zehn Millionen Tonnen dieser wertvollen Fischereiabfälle ungenutzt verloren. Leider, denn das Außenskelett von Krabbenpanzer und Co. besteht neben Protein und Calciumcarbonat vor allem aus Chitin, einem Polysacharid. „Aus Zuckermolekülen können wir chemisch oder biotechnologisch andere Moleküle herstellen“, weiß Barbara Waelkens, Gruppenleiterin Bioenergie beim Fraunhofer Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB.

 

Chitin ist neben Zellulose das am weitesten verbreitete Biopolymer der Welt. Sein Anwendungspotenzial ist groß, doch nur ein geringer Teil wird weltweit recycelt. Deswegen suchte das Fraunhofer IGB gemeinsam mit internationalen Partnern nach möglichen Wegen zu einer nachhaltigen Nutzung. Das dazugehörige Projekt firmiert unter „ChiBio – Chitin aus Fischereiabfällen zur Herstellung von Spezialchemikalien“.

Die meisten Schalen fallen in Nordafrika an

Die Hauptfanggebiete der europäischen Schalentiere liegen an den Küsten von Belgien, Deutschland, Dänemark, Norwegen, Irland, Island und den Niederlanden. Mehr als 90 Prozent der Schalen fallen allerdings in nordafrikanischen Ländern an. Dort lassen die europäischen Fischereiunternehmen vor allem die Nordseekrabben von Hand pulen. Aus hygienischen Gründen ist das in den EU-Ländern verboten. Dank verbesserter Pulmaschinen fallen aber auch immer mehr Schalen direkt in den Küstenregionen an. Doch Fischereiabfälle sind sehr anfällig für eine mikrobielle Kontamination, darum ist die fachgerechte Entsorgung bislang aufwendig und teuer.

Wegen der hohen EU-Auflagen ist es für kleinere Fischereiunternehmen mitunter sogar günstiger, die Überreste dauerhaft kühl zu lagern, anstatt sie fachgerecht zu entsorgen. Es gibt aber bereits Ansätze, um die wertvollen Inhaltsstoffe zu nutzen: „In Asien wird aus Garnelenschalen das Polymer Chitosan hergestellt“, erklärt Waelkens. Aus ihm würden Filter, Folien, Wundauflagen und Diätpillen hergestellt. Leider enthalten die Schalen der europäischen Krebstiere mehr Kalk, dadurch wird die Aufarbeitung zu Chitosan schwerer und weniger wirtschaftlich.

Wie der tierische Panzer tatsächlich aufgebaut ist, hängt aber nicht nur von der Region ab, aus der er stammt, sondern auch von der Krebsart. Deshalb testeten die Forscher verschiedene Schalenarten. „Zuerst werden die Proteine und das Calciumcaronat vom Chitin getrennt“, erklärt Waelkens. Die Trennung kann chemisch oder enzymatisch geschehen. „Üblicherweise wird das Chitin auf chemischem Weg gewonnen“, berichtet die Forscherin. Dabei würde das Polymer bei erhöhten Temperaturen unter Verwendung starker mineralischer Säuren und Laugen aus den Schalen gelöst. Diese Methode ist wenig nachhaltig. Auch die Reste, die zu Biogas vergoren wurden, bereiteten Probleme: „Verglichen mit anderen Substraten waren die organischen Trockenmassengehalte sehr niedrig, die pH-Werte extrem und die Salzkonzentrationen hoch“, berichtet die Wissenschaftlerin. Die Gasausbeute sei dagegen nur „akzeptabel“.

Garnelenschalen liefern Biogas

Deshalb suchten die irischen ChiBio-Partner nach Bakterienstämmen, die Chitin schonend freisetzen und wurden fündig. Die Organismen lassen nur einen proteinreichen Rest übrig, der unproblematisch zu Biogas vergoren werden kann. Wie viel Gas entsteht, hängt von der Schalenart ab. Die meiste Energie lieferten die Überbleibsel der Garnelenschalen: Ihre höchste Biogasausbeute lag bei 1125 Milliliter pro Gramm organischer Trockenmasse. Damit übertraf sie den Gasertrag aus pflanzlichen nachwachsenden Rohstoffen, der typischerweise zwischen 500 und 700 Milliliter liegt.

„Würde es nur um die Umwelt gehen, wäre dies das bessere Verfahren“, erklärt Waelkens. Doch leider verschlechterte sich die Chitin-Ausbeute: „Ein umweltfreundliches Verfahren und gute Biogaserträge machen wenig Sinn, wenn die Produktausbeute nicht ausreichend ist“, sagt die Expertin. Doch die Forscher hoffen, dass nach weiteren Optimierungen bald eine ökologische und wirtschaftliche Variante zur chemischen Chitinspaltung bereitsteht. „Das Potenzial der Schalen ist groß“, resümiert Waelkens, „ich bin zuversichtlich, dass wir es zukünftig besser nutzen werden“.