Wenn Zoos untereinander Tiere austauschen, stehen aufwendige Reisen an. Wie funktioniert das eigentlich? Eine Reisefachfrau für Tiere gibt an der Wilhelma Einblicke in ihre Aufgaben.

Stuttgart - Vor Zarafa liegt eine Reise, die noch keine Giraffe vor ihr angetreten hat. Als Jungtier ist sie am Nil gefangen worden, der ägyptische Herrscher will sie nach Paris transportieren lassen. Er erhofft sich von diesem exotischen Geschenk einen politischen Vorteil. Zuerst wird Zarafa mit kleinen Nilbooten nach Kairo gebracht. Die nächste Etappe führt von Alexandria aus über das Mittelmeer nach Marseille – der Transport gelingt nur deshalb, weil in das Oberdeck des Schiffs ein Loch gesägt wird, durch welches das Tier seinen Hals herausstreckt. In der französischen Hafenstadt überwintert Zarafa schließlich, bevor ihre Begleiter sie im Frühjahr in 41 Fußmärschen über Lyon nach Paris führen.

 

Rund zwei Jahre dauerte Zarafas Reise in den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts – Ulrike Rademacher kennt diese und viele andere Geschichten von historischen Tiertransporten. Nichts hätten diese strapaziösen Odysseen mehr mit jener komfortablen Art des Reisens zu tun, mit der Zootiere heute von einem Kontinent auf den anderen gelangen. Ulrike Rademacher kennt sich mit diesen Umzügen aus: Die Kuratorin der Wilhelma leitet die Arbeitsgruppe Tiertransporte der europäischen Zoos.

Für Schneeleopard Karim geht es nach Kalifornien

Demnächst schickt die Wilhelma Karim auf große Tour. Karim stammt aus dem Wurf dreier Schneeleoparden. Die Raubkatze, die im Juli 2013 geboren wurde, soll im Winter in ihre neue Heimat umziehen – den Park Catworld in Kalifornien. Doch bevor für Karim ein Flug gebucht wird, warten auf Ulrike Rademacher umfangreiche Vorbereitungen: Das Tier benötigt eine Ausfuhr- und eine Einfuhrgenehmigung, Rademacher muss den Transport von Deutschland in die USA in einer internationalen Datenbank eintragen, in der sämtliche Transporte von Zootieren weltweit erfasst werden. Auf diese Weise soll der Schmuggel – beispielsweise jener von Tieren, die in freier Wildbahn gefangen wurden – verhindert werden.

Und dann steht die Wilhelma noch vor der Kistenfrage. Karim wird seine Reise nicht in einer x-beliebigen Transportkiste antreten. Ulrike Rademacher blättert in einem dicken Handbuch, in dem Experten mehrerer Fluggesellschaften detailliert aufgezeichnet haben, wie Transportboxen für Tiger, Panzernashörner oder Gorillas aussehen sollten. Auch Karims Transportkiste wird eine Spezialanfertigung: Demnächst wird Rademacher, die in der Wilhelma unter anderem für die Raubtiere zuständig ist, mit dem Bauplan zu den Schreinern und Schlossern des Stuttgarter Zoos gehen. „Raubtiere haben scharfe Krallen, mit denen sie sich aus Kisten herauskratzen können“, erzählt sie. Daher wird Karims hölzerne Transportbox innen mit Metall beschlagen. Zwei Schieber sichern die Box – und schützen auch das Personal am Frankfurter Flughafen. Dort wird Karim im Winter eingecheckt.

Eine eigene Lufthansa-Lounge für reisende Tiere

Der Stuttgarter Schneeleopard macht auf seinem Weg in die USA einen Zwischenstopp in einer der modernsten Tierstationen weltweit. In der Lufthansa Animal-Lounge arbeiten Zöllner und Tierpfleger, Veterinäre und Logistikexperten. Von hier aus werden millionenteure Springpferde um die Welt geschickt, genau wie exotische Zierfische aus Südamerika, vor allem aber auch Hunde und Katzen von Diplomaten oder Mitgliedern der US-Armee, die zurück in die Staaten versetzt werden. „Es gibt fast nichts, was wir nicht befördern können“, sagt Axel Heitmann, der Leiter der Animal-Lounge.

Das 4000 Quadratmeter große Terminal ist mit einem Passagiergebäude vergleichbar, es verfügt über einen Transitbereich sowie getrennte Zonen für den Im- und Export von Tieren. Wenn Karim dort ankommt, wird nichts dem Zufall überlassen: Der Schneeleopard besitzt einen Chip, der ihm unter seiner Haut eingepflanzt wurde – mit Hilfe eines Lesegeräts kann ein Amtsveterinär in Frankfurt die Identität des Tieres überprüfen. Alle Mitarbeiter, die sich in der Animal- Lounge um den Schneeleoparden kümmern werden, besitzen zwei Spinde im Gebäude – einen für die Kleidung in der Tierstation, einen für außerhalb. Dort gelten die Quarantänebestimmungen für eine Außengrenze der EU.

Auch in Tierboxen wird nach Sprengstoff gesucht

Die Sicherheitsauflagen stehen jenen in gewöhnlichen Terminals in nichts nach. Experten für Sprengstoffe wischen mit speziellen Tüchern durch die Transportboxen – diese werden anschließend von einem Detektor überprüft, der feinste Spuren von Sprengstoff erkennt.

Die Zeiten halbseidener Tierhändler liegen weit zurück

Früher verdienten halbseidene Händler viel Geld mit dem Verkauf exotischer Tiere, die in der Wildnis gefangen und anschließend den Schaulustigen in europäischen Tierparks gezeigt wurden. Seit 1976 regelt das Washingtoner Artenschutzabkommen den Umgang der Zoos mit ihren Tieren – seitdem kommen nur noch in Ausnahmefällen Tiere aus der freien Wildbahn in zoologische Anlagen wie die Wilhelma.

Die Folge davon ist, dass die Zootiere sich fast nur noch untereinander fortpflanzen. „Das Risiko besteht darin, dass durch Inzucht die genetische Variabilität einer bedrohten Tierart kleiner wird“, erzählt Ulrike Rademacher. Um dies zu verhindern, tauschen Zoos in Europa und sogar weltweit Tiere untereinander aus.

In Europa legt das Europäische Erhaltungszuchtprogramm (EEP) fest, ob und wann ein Tier von einem Zoo in einen anderen gebracht wird. Ein Koordinator führt das Zuchtbuch einer Tierart und stellt sicher, dass die genetische Vielfalt in den Zoos erhalten bleibt. Ein ähnliches Programm gibt es auch in den amerikanischen Tierparks – so kam es zur Entscheidung, dass der junge Stuttgarter Schneeleopard künftig in Kalifornien leben wird. Seine beiden Geschwister Laila und Kamal bleiben in der Wilhelma, doch Karim geht auf Reisen – in der Businessclass für Tiere.