Komplexe Vorgänge im menschlichen Körper lassen sich nur an Tieren erforschen, die dem Menschen ähnlich sind. Wenn es um das Immunsystem oder das Gehirn geht, sind Mediziner und Neurologen auf Primaten angewiesen.

Stuttgart - Tierversuche in der Forschung – und speziell Versuche mit Affen – sind seit Jahren umstritten. Gleichwohl sind Biologen und Mediziner überzeugt, dass diese Tiere bei der Erforschung zahlreicher Fragestellungen unverzichtbar sind – und Menschen viel Leid ersparen können. Diese Ansicht teilte auch die Italienerin Caterina Simonsen: Zu Weihnachten 2013 bedankte sie sich auf ihrer Facebookseite bei der Forschung, wobei sie Tierversuche einschloss: „Ohne die Forschung wäre ich mit neun Jahren gestorben“, schrieb die damals 25-jährige Tiermedizinstudentin und Vegetarierin, die an gleich vier seltenen Erbkrankheiten leidet. Ein Sturm der Entrüstung war die Folge, viele überzeugte Tierversuchsgegner wünschten ihr sogar den Tod. „Vielleicht solltest Du sterben. Ein Mensch weniger auf dem Planeten und dafür mehr Tiere“, zitierte die junge Frau damals eine der Zuschriften.

 

Aber sind Tierversuche wirklich unverzichtbar? Organisationen wie die in Augsburg ansässige „Soko Tierschutz“ sind völlig anderer Ansicht: „Ob Affe, ob Hund, ob Maus, oder Zebrafisch, Tierversuche sind falsch, gefährlich und gehören abgeschafft für immer“, schreiben die Aktivisten auf ihrer Internetseite. Weltweit sind in den vergangenen Jahren vor allem Versuche mit sogenannten nichthumanen Primaten unter Beschuss geraten. Dazu gehören Krallenaffen und grüne Meerkatzen sowie Makaken, die auch am Tübinger Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik zur medizinischen und biologischen Grundlagenforschung genutzt wurden.

Die EU hält die Versuche für unverzichtbar

Die EU hat zur Problematik der nichthumanen Primaten als Versuchstiere bereits 2009 eine große Studie verabschiedet. Dabei wurde betont, dass es seit Jahren Bestrebungen gebe, solche Tierversuche durch alternative Forschungsmethoden zu ersetzen. Die Erfolge bei der Gentechnik, bei Gewebekulturen sowie bei der Entwicklung von Computermodellen liefern hier viel versprechende Ansätze. Allgemein in der Wissenschaft akzeptiert ist dabei das Ziel, Tiere nur dann in der Forschung zu nutzen, wenn es unvermeidlich ist und alternative Methoden, die allerdings nachgewiesenermaßen geeignet sein müssen, nicht zur Verfügung stehen.

Doch wann ist dies der Fall? Affen gelten auch heute noch als unverzichtbar, wenn es um die Erforschung komplexer Krankheiten geht, die insbesondere das Immunsystem des Menschen sowie Gehirn und Nervensystem betreffen. Hier sind die Strukturen und Funktionsweisen bei nichthumanen Primaten denjenigen der Menschen weitaus ähnlicher als dies bei Nagetieren oder Hunden der Fall ist.

Ein Beispiel ist die Entwicklung des Impfstoffs RTS,S gegen Malaria. Diese Krankheit wird von einem einzelligen Parasiten hervorgerufen. Die Reaktionen des menschlichen Körpers reichen von akuten und auch heute noch oft genug tödlichen Fieberschüben bis hin zu dauerhaften Abwehrmaßnahmen des Immunsystems. Immerhin steht jetzt nach einer Studie mit 15 500 Kindern ein Impfserum kurz vor der Zulassung, das immerhin einen gewissen Schutz vor einer Infektion bietet. Im Zuge der jahrelangen Entwicklung waren auch zahlreiche Affenversuchen erforderlich. So musste beispielsweise vor dem Test an Menschen zunächst bei Rhesusaffen nachgewiesen werden, dass der künftige Impfstoff keine gravierenden Nebenwirkungen hat.

Ratten haben ein anderes Gehirn

Versuche mit Affen sind bisher auch unersetzlich, wenn es um die Erforschung des Gehirns und seiner Krankheiten geht. Viele wichtige Erkenntnisse über die Funktionsweise des menschlichen Gehirns seien zunächst an Affen entdeckt worden, bevor sie auch am Menschen nachgewiesen wurden, betont unter anderem auch die EU-Studie. So liefern Affengehirne wichtige Informationen, wenn es um die Erforschung von Lernvorgängen geht. Die hierzu erforderlichen Abläufe in bestimmten Hirnarealen aber muss man kennen, wenn man verstehen will, wie Funktionen ersetzt werden, die durch einen Hirnschlag, einen Unfall oder durch Degenerationsvorgänge etwa bei Alzheimer verloren gegangen sind. Auch bei der Erforschung der Ursachen von Alzheimer spielen Affen eine wichtige Rolle: Wenn diese an Demenz erkranken, kommt es in ihrem Gehirn zur Ablagerung ähnlicher Proteine wie beim Menschen.

Der Chef des Tübinger MPI-Instituts für Biologische Kybernetik, Nikos Logothetis, der wegen der Versuche an Affen von Tierschützern heftig angegriffen wurde, ist nach wie vor der festen Überzeugung, dass die Forschung über Wahrnehmungsvorgängen im menschlichen Gehirn nur mit Hilfe von Experimenten an Primaten möglich ist. Damit eng verbunden ist aber das Wissen über viele neurologische und psychische Krankheiten – und damit die Suche nach Wegen, die Folgen zu lindern. Nur Primaten hätten vergleichbare Verknüpfungen der Hirnareale und dieselbe Organisation der Hirnrinde wie der Mensch, argumentiert der Biokybernetiker. „Ratten sind als Modellorganismus für höhere kognitive Prozesse vollkommen ungeeignet, da bei ihnen bestimmte Hirnstrukturen überhaupt nicht vorhanden sind“, betont Logothetis. Die für die Erforschung solcher kognitiven Prozesse erforderlichen Methoden wurden in Tübingen entwickelt.

Nobelpreisträger schreiben offenen Brief

Am 11. Mai 2015 findet in Brüssel eine Anhörung mehrerer Ausschüsse zum Thema Tierversuche statt. Im Vorfeld hierzu waren nicht nur Aktivisten gegen Tierversuche aktiv, sondern auch Wissenschaftler, die die Notwendigkeit von Tierversuchen unterstreichen. So warnen nun 16 Nobelpreisträger in einem offenen Brief davor, die diesbezügliche EU- Richtlinie 2010/63/EU zu ändern: „Die sorgfältig erwogene europäische Richtlinie 2010/63/EU verbessert den Tierschutz europaweit, gewährleistet die Weiterentwicklung alternativer Ansätze und verpflichtet die Forscher, Tierversuche zu ersetzen, zu verringern und zu verfeinern, sobald dies wissenschaftlich möglich ist“, heißt es im Brief der Nobelpreisträger.

Die Forscher wollen nicht den Einsatz von Tieren auf unbestimmte Zeit fortsetzen und sehen sich daher der Suche nach alternativen Methoden verpflichtet. Noch aber sei die Forschung nicht so weit: „Bei vielen Krankheiten müssen wir verstehen, wie verschiedene Organe eines Organismus interagieren, was die Forschung an ganzen Tieren weiterhin unerlässlich macht.“