Mit Spezialkameras filmen Tiere ihren Alltag – und liefern so neue Erkenntnisse über ihre Biologie. Mehr als 50 Tierarten sind schon mit den sogenannten Critter-Cams ausgestattet worden. Darunter auch Haie, Robben, Löwen oder Grizzlybären.

Stuttgart - Das Selbstporträt ist wirklich gelungen: Keine zusammengekniffenen Augen, die Frisur sitzt und der Mund zeigt ein breites Grinsen. Schärfe und Belichtung stimmen auch. Es könnte eines jener zahllosen „Selfies“ sein, die Menschen rund um den Globus von sich knipsen und ins Internet stellen. Wenn auf diesem Bild nicht ein Schopfaffe zu sehen wäre. Auf der indonesischen Insel Sulawesi hatte das Tier dem britischen Fotografen David Slater die Kamera entwendet und ganze Serien von Fotos damit geschossen – unter anderem auch von sich selbst. Nun streiten der Fotograf und der Betreiber der Fotosammlung Wikimedia Commons über die Urheberrechte. Kann der Fotograf diese tatsächlich beanspruchen, obwohl doch der Affe das Bild gemacht hat? Noch ist die Sache nicht entschieden.

 

Der Fall wird wohl eher eine Ausnahme bleiben. Zwar haben auch die verschiedensten anderen Tiere schon fleißig fotografiert und gefilmt. Streit um ihre Werke gibt es in der Regel aber nicht. Denn meist treten vierbeinige oder geflügelte Fotografen nicht in Konkurrenz zu ihren menschlichen Kollegen, sondern sind im Dienst der Wissenschaft unterwegs. Mit ihrer Hilfe können Biologen wertvolle Einblicke in den Alltag und die Ökologie verschiedener Arten gewinnen.

Selbst bei scheinbar so wenig geheimnisvollen Tieren wie Hauskatzen gibt es in dieser Hinsicht nämlich noch einiges zu klären. Zum Beispiel die Frage, was die samtpfotigen Jägerinnen auf ihren Streifzügen durch die Nachbarschaft so alles erlegen. Sind die Beutetiere, die sie ab und zu mit nach Hause bringen, repräsentativ? Um das herauszufinden, haben Kerrie Anne Loyd von der University of Georgia und ihre Kollegen 55 freilaufende Vorstadt-Katzen im Südwesten der USA mit kleinen Videokameras ausgerüstet. Jedes Tier trug seine „KittyCam“ sieben bis zehn Tage lang und filmte alle seine Outdoor-Aktivitäten.

So kam heraus, dass 44 Prozent der vierbeinigen Kameraleute Wildtiere jagten, vor allem Reptilien, kleine Säugetiere und Wirbellose. Erfolgreiche Jägerinnen töteten dabei in sieben Tagen im Durchschnitt 2,4 Tiere – in der Regel, ohne dass ihr Besitzer etwas davon mitbekam. Denn sie ließen 49 Prozent ihrer Opfer am Tatort zurück und verspeisten weitere 28 Prozent. Nur 23 Prozent der Beute brachten sie mit nach Hause. Der Einfluss von Hauskatzen auf wildlebende Arten könnte also deutlich größer sein als vermutet.

Auch über die Fressgewohnheiten von großen Raubtieren lässt sich mithilfe moderner Filmtechnik mehr herausfinden. So haben James Nifong von der University of Florida und seine Kollegen 15 Mississippi-Alligatoren mit Kameras auf dem Rücken in zwei Flussmündungen an der Küste Floridas geschickt. Aus Untersuchungen des Mageninhalts war zwar schon bekannt, dass Mississippi-Alligatoren eine sehr abwechslungsreiche Speisekarte haben. Schnecken, Schildkröten oder Fische schmecken ihnen ebenso wie Vögel, Säugetiere oder die eigenen Artgenossen.

Erst im Film sieht man die Jäger auf Beutezug

Erst die Filme aber haben gezeigt, wie die schwimmenden Jäger bei ihren Beutezügen zu Werke gehen. Vor allem nachts und morgens starten sie im Durchschnitt alle zwei Stunden eine Attacke – und sind in mehr als der Hälfte aller Fälle auch erfolgreich. Besonders vielversprechend sind dabei Überfälle in den Morgenstunden und solche, bei denen das Reptil unter Wasser lauert. So getarnt kommen die Alligatoren doppelt so häufig zum Erfolg wie aus einer besser sichtbaren Angriffsposition.

Für andere Jäger ist es dagegen nicht mit Lauern getan, sie müssen ihre Beute aktiv suchen. Wie gehen sie dabei vor und woran orientieren sie sich? Auch das können die jeweiligen Tiere am besten selbst dokumentieren. Unechte Karettschildkröten sind in dieser Mission zum Beispiel vor der japanischen Küste unterwegs gewesen. Ein Team um Tomoko Narazaki von der Universität Tokio hatte auf ihrem Panzer nicht nur eine Videokamera befestigt, sondern auch ein Messgerät, das Tauchtiefe und Wassertemperatur, Schwimmgeschwindigkeit und Bewegungsrichtung erfasste. Bilder und Messwerte verrieten dann, dass diese Meeresschildkröten normalerweise in Tiefen von mehr als einem Meter nach Quallen suchen. Vor allem tagsüber biegen sie dabei oft abrupt in Richtung eines glibberigen Leckerbissens ab. Daraus schließen die Forscher, dass die Tiere ihre Opfer mit den Augen finden. So richtig zuverlässig scheint das allerdings nicht immer zu funktionieren. Ein Reptil peilte vor laufender Kamera eine Plastiktüte statt einer Qualle an – ein Irrtum, der zu tödlichen Verdauungsproblemen führen kann.

Auch Seevögel sind Augentiere, die allerdings nicht gleich direkt nach ihrer Beute spähen. Warum nicht erst einmal nach anderen Fischinteressenten Ausschau halten, die vielleicht schon fündig geworden sind? So kann man sich schließlich die großräumige Suche sparen und sich gleich auf ein vielversprechendes Jagdrevier konzentrieren. Genau diese Strategie verfolgten die Kaptölpel, die Pierre Pistorius von der Nelson Mandela Metropolitan Universität im südafrikanischen Port Elisabeth und seine Kollegen mit Kameras auf dem Rücken zum Fischen geschickt haben. In den Filmen, die diese Tiere vor der Küste Südafrikas gedreht haben, tauchen immer wieder andere Seevögel, Delfine oder Fischerboote auf, an denen sich die fliegenden Kameraleute orientierten.

Fischereifahrzeuge verraten jedoch nicht nur, wo lukrative Fischgründe liegen. Oft wirft die Besatzung auch Fischabfälle oder unerwünschten Beifang über Bord – für viele Seevögel ein gefundenes Fressen. Allerdings wird in der EU darüber diskutiert, ob man diese Praxis nicht verbieten sollte. Was aber würde das für hungrige Seevögel bedeuten? Es wäre für sie wohl durchaus eine Enttäuschung, aber keine Katastrophe. Diesen Schluss ziehen Stephen Votier von der Universität Exeter in Großbritannien und seine Kollegen aus den mehr als 20 600 Fotos, die zehn Basstölpel von ihren Fischzügen vor der walisischen Insel Grassholm mitgebracht haben.

Jedes dieser Tiere hatte unterwegs Fischereischiffe aufgenommen, vor allem große, mehr als 15 Meter lange Trawler waren beliebt. Aus bisher unerklärlichen Gründen nutzten die Männchen den reich gedeckten Tisch im Umkreis solcher Fahrzeuge deutlich häufiger als die Weibchen. Allerdings gingen alle fotografierenden Vögel häufig auch dann auf Nahrungssuche, wenn weit und breit kein Schiff zu sehen war. Zumindest Basstölpel sind also wohl nicht zwingend auf über Bord geworfene Almosen angewiesen. Wieder eine neue Erkenntnis, die nur den aussagekräftigen Bildern der fliegenden Fotografen zu verdanken ist. Die Urheberrechte dafür haben sie im Übrigen bisher nicht gefordert.

Filmausrüstung für Tiere

Kameras
Ein Team um den Meeresbiologen Greg Marshall, der für die US-amerikanische National Geographic Society arbeitet, hat seit den 1980er Jahren spezielle Kamerapakete für Wildtiere entwickelt. Diese können sowohl Videos, als auch Töne und Umweltdaten aufzeichnen. Ingenieure und Techniker arbeiten daran, diese sogenannten „CritterCams“ immer kleiner und leistungsfähiger zu machen.

Tiere
Solche Kameras waren nicht nur in den beschriebenen Katzen-, Alligatoren- und Schildkrötenstudien im Einsatz. In den letzten zehn Jahren haben mehr als 50 verschiedene Tierarten damit Bilder aus ihrem Alltag gemacht. Darunter waren zum Beispiel Haie, Wale, Robben, Pinguine, Löwen, Hyänen und Grizzlybären.

Befestigung
Je nach Tierart gibt es unterschiedliche Möglichkeiten, die Kamera am Körper zu befestigen. Bei Walen, Delfinen und Lederschildkröten funktioniert das zum Beispiel mit speziellen Saugnäpfen, bei Robben und hart gepanzerten Schildkröten mit einer Art Klebestreifen. Pinguine und Krokodile tragen die Ausrüstung wie einen Rucksack an einem maßgeschneiderten Geschirr und für Landtiere wie Bären und Löwen gibt es kleinere Halsband-Kameras. Da sich nicht alle Tiere leicht wieder einfangen lassen, lösen sich etliche solcher Befestigungen nach einer vorgegebenen Zeit von selbst. Mithilfe eines Radiosignals können die Forscher sie dann wiederfinden.