Die Direktoren des Württembergischen Kunstvereins Stuttgart haben in Sarajewo die Biennale für zeitgenössische Kunst kuratiert – und die beteiligten Künstler nach Stuttgart eingeladen zur Ausstellung „Titos Bunker“.

Kultur: Adrienne Braun (adr)

Stuttgart - Eine ungeheuerliche Aktion: eine „Reklamefahrt“ nach Verdun. Für nur 177 Franken geht es zum „Schlachtfeld par excellence“. Ein geselliger Ausflug zur Todesstätte von eineinhalb Millionen Menschen - inklusive Fahrt und „erstklassige Verpflegung, Wein und Kaffee“. Die Basler Nachrichten initiierten 1921 diese Leseraktion der besonderen Art, bei der die Teilnehmer im bequemen PKW über die Kriegsschauplätze geschaukelt wurden und erfuhren, wie im Ersten Weltkrieg die Soldaten - in Viehwagen - in den Tod fuhren.

 

Im Württembergischen Kunstverein Stuttgart kann man derzeit die Zeitungsanzeige dieser Leseraktion entdecken. „Titos Bunker“ nennt sich die neue Ausstellung, zu der die Kuratoren Iris Dressler und Hans D. Christ auch eigenes Recherchematerial beigesteuert haben. Sie haben Filmausschnitte, Zitate, Bücher zusammengetragen, die allerdings ohne Erläuterungen oder Nennung von Urheber und Quellen in der Ausstellung präsentiert werden. Auch wenn man die „Reklamefahrt nach Verdun“ deshalb für ein Kunstprojekt halten könnte – es hat sie tatsächlich gegeben. Und die Stimme, die an der Hörstation den „Schlachtfeldtourismus“ gallig kommentiert, war vermutlich Karl Kraus.

In Titos Atombunker bei Sarajewo wird heute Kunst ausgestellt

Das Recherchematerial zum Zweiten Weltkrieg oder zur Atombombe verrät die Strategie dieser neuen Ausstellung, bei der es weniger darum geht, dem Publikum den Zugang zur Thematik zu erleichtern. Die Kuratoren haben sich vielmehr assoziativ treiben lassen und mäandernd allerhand Bögen zu anderen Aspekten geschlagen. „Titos Bunker“ spielt an auf einen Atomschutzbunker in der Nähe von Sarajewo, der für den Staatschef, seine Familie und engsten Mitarbeiter gebaut wurde. Seit 2011 findet hier eine Kunstbiennale statt, die Iris Dressler und Hans D. Christ in diesem Jahr kuratiert haben.

Die beteiligten Künstler hat man nun auch in den Kunstverein eingeladen – und Jorge Ribalta zeigt ganz handfeste dokumentarische Fotografien vom Umbau des Bunkers in ein Museum. Der Parlamentspalast in Bukarest ist zwar kein Bunker, aber der von Ceausescu einst initiierte monumentale Bau wird heute ebenfalls für Ausstellungen genutzt. Der rumänische Künstler Dan Perjovschi war von Anfang an ein Gegner eines Museums an diesem historisch belasteten Ort, deshalb hat er im Kunstverein nun auf einer Wand Ansichtskarten versammelt, auf denen der Palast geschwärzt wurde.

Ein Bunker ist aber auch ein geschlossenes System, weshalb sich ein Teil der Ausstellung autonomen Überlebenskapseln widmet – wie der Wohnmaschine von Le Corbusier oder einem Projekt der Amerikaner, die Anfang der neunziger Jahr eine künstliche Biosphäre schaffen wollten. Bernd Behr hat die verlassene Wohnsiedlung „Amoy Gardens“ in Hongkong fotografiert, die zuletzt wegen maroder Leitungen und Bausubstanz zu einem Zentrum der SARS-Epidemie wurde. Die Fotografie einer kassettenartigen Mauer, in der sich Tauben eingenistet haben, hat aber letztlich sowenig mit dem Thema zu tun wie die etwas belanglose Serie von David Brognon und Stéphanie Rollin, die von Skulpturen historischer Persönlichkeiten die Handflächen fotografiert haben.

Der Rundgang treibt weiter zu Alexander Sokurow, der für seinen sechststündigen Film „Spiritual voices“ russische Truppen in Afghanistan besucht hat. Hier ein Dokumentarfilm über einen Chinesen, der als Kind Opfer eines biochemischen Angriffs wurde und bis heute nicht heilende Wunden an den Füßen hat, dort ein Video über Bulgaren, die nach Schätzen der Bronzezeit graben. Susanne Kriemann hat Fotomaterial durch radioaktive Objekte sich selbst belichten lassen, während Annalisa Cannito eine Propaganda-Tafel zeigt, die die Arbeiter eines amerikanischen Atombomben-Projekts aufforderte, nichts über ihre Tätigkeit nach außen dringen zu lassen. „Silence means security“, steht da, „Don’t talk“.

Hinter Schlagworten verliert sich der Inhalt

Die Reise im Kunstverein führt auch zu verschiedenen Kriegsschauplätzen dieser Welt: Sandra Vitaljic hat den Grenzstreifen zwischen Slowenien und Kroatien fotografiert, in dem der Bürgerkrieg ausgetragen wurde, während sich Taysir Batniji gefilmt hat, wie sie zu Gloria Gaynors „I will survive“ tanzt – beim Ausbruch des Irakkriegs. So spürt „Titos Bunker“ interessante Aspekte und künstlerischen Beiträge auf, aber es hätte der Schau nicht geschadet, die Themen präziser zu fassen und beim eigenen Assoziationsreigen etwas stärker den Betrachter im Blick zu behalten. Denn alles mit allem in Zusammenhang zu stellen, kann fatal enden, wie Lia Perjovschi vorführt. Sie hat die Stichworte, die ihr die Kuratoren vorab lieferten, zu „Mind Maps“ verarbeitet und auf irrwitzigen Schaubildern zahllose Begriffe versammelt wie Utopie, Entropie, Heterotopie, Kapitalismus und Kommunismus – und macht sichtbar, dass hinter gewichtig klingenden Schlagworten die Botschaften und Inhalte mitunter einfach zerbröseln. Und wenn die Künstlerisch schließlich auffordert, „It’s time to rethink everything“, ist auch das einerseits existenziell – und zugleich vollständig beliebig.

Ausstellung bis 6. August, Dienstag, Donnerstag bis Sonntag 11 bis 18 Uhr, Mittwoch 11 bis 20 Uhr www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.jugoslawiens-ex-staatschef-war-tito-ein-russe.35295da3-dd69-4325-9fdc-549e4afbe1a5.html www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.wuerttembergischer-kunstverein-charmanter-blick-in-die-zukunft.8c37098d-9805-4e4e-8c9f-451643f0964c.html