Region: Verena Mayer (ena)

Reinhard Kirpes ist der Einzige, mit dem Rasmane K. in dieser Zeit sprach. Kirpes ist Strafverteidiger, K. war sein Mandant. „Der K. war höflich und zurückhaltend“, sagt er. Der Anwalt hat manches von seinem Mandanten erfahren, Kirpes referiert:

 

Rasmane K. kommt 2003 aus Burkina Faso nach Deutschland. In Köln stellt er einen Asylantrag. Er begründet ihn damit, dass er an der Elfenbeinküste von Rebellen angeworben worden sei. Der Antrag wird abgelehnt, K. aber geduldet. 2008 lernt er über das Internet Sandra N. kennen. Sie hat zwei Kinder und wohnt in Bayern. Als der Kfz-Mechaniker Rasmane K. in Kehl eine Zeitarbeit findet, ziehen die beiden in der Stadt am Oberrhein zusammen. Im Januar 2010 kommt die gemeinsame Tochter auf die Welt. Doch die Beziehung ist schwierig. Das Paar streitet viel. Rasmane K. schlägt seine Freundin immer wieder. Sandra N. flüchtet zeitweise ins Frauenhaus und zu ihren Eltern. Schließlich zieht sie ganz aus.

Warum haben der Mann und die Frau immer wieder gestritten? Kirpes kann nur spekulieren. „Vielleicht aus Eifersucht? Vielleicht weil er nicht in der Lage war, Beziehungen zu anderen einzugehen?“ Ist Rasmane K. wirklich von Rebellen angeworben worden? Der Anwalt kann es nicht sagen. „Er war nicht kommunikativ. Er war sehr misstrauisch. Ich glaube, er hatte keinen Menschen, dem er sich geöffnet hat.“

Die Zweifel bleiben

Im Prozess wurden 89 Zeugen gehört. Jemand, der ein helleres Licht auf Rasmane K. wirft, war nicht dabei. Und mit dem Psychiater, der herausfinden sollte, ob Rasmane K. krank ist, sprach der Angeklagte nicht.

Als Sandra N. verblutet auf dem Boden lag, deckte Rasmane K. sie zu, nahm sein einjähriges Kind und fuhr für ein paar Tage nach Köln.

Die Leiche von Sandra S. wurde erst mehr als einen Monat später entdeckt, am 17. April betrat die Polizei ihre Wohnung. Schon in den Wochen zuvor hatten Streifenbeamte immer wieder bei der 37-Jährigen geklingelt. Ihre Mutter in Hannover hatte sich Sorgen gemacht, weil sie die Tochter telefonisch nie erreichen konnte. Doch die Beamten trafen Sandra N. nicht an. Am Palmsonntag 2011 alarmierte schließlich der Hausmeister die Polizei, weil unter der Wohnungstür von Sandra N. Ungeziefer hervorkrabbelte. Dahinter lag die Tote.

Zwei Tage später wurde Rasmane K. verhaftet. An seinem Hemd, das die Ermittler in Sandra N.s Wohnung fanden, waren Reste von ihrem Blut. An seiner Hose, die die Polizisten aus seiner Wohnung mitnahmen, klebte ebenfalls ihr Blut. Doch Rasmane K. behauptete: „Ich war es nicht.“

Der Anwalt berichtet

Reinhard Kirpes ist der Einzige, mit dem Rasmane K. in dieser Zeit sprach. Kirpes ist Strafverteidiger, K. war sein Mandant. „Der K. war höflich und zurückhaltend“, sagt er. Der Anwalt hat manches von seinem Mandanten erfahren, Kirpes referiert:

Rasmane K. kommt 2003 aus Burkina Faso nach Deutschland. In Köln stellt er einen Asylantrag. Er begründet ihn damit, dass er an der Elfenbeinküste von Rebellen angeworben worden sei. Der Antrag wird abgelehnt, K. aber geduldet. 2008 lernt er über das Internet Sandra N. kennen. Sie hat zwei Kinder und wohnt in Bayern. Als der Kfz-Mechaniker Rasmane K. in Kehl eine Zeitarbeit findet, ziehen die beiden in der Stadt am Oberrhein zusammen. Im Januar 2010 kommt die gemeinsame Tochter auf die Welt. Doch die Beziehung ist schwierig. Das Paar streitet viel. Rasmane K. schlägt seine Freundin immer wieder. Sandra N. flüchtet zeitweise ins Frauenhaus und zu ihren Eltern. Schließlich zieht sie ganz aus.

Warum haben der Mann und die Frau immer wieder gestritten? Kirpes kann nur spekulieren. „Vielleicht aus Eifersucht? Vielleicht weil er nicht in der Lage war, Beziehungen zu anderen einzugehen?“ Ist Rasmane K. wirklich von Rebellen angeworben worden? Der Anwalt kann es nicht sagen. „Er war nicht kommunikativ. Er war sehr misstrauisch. Ich glaube, er hatte keinen Menschen, dem er sich geöffnet hat.“

Die Zweifel bleiben

Im Prozess wurden 89 Zeugen gehört. Jemand, der ein helleres Licht auf Rasmane K. wirft, war nicht dabei. Und mit dem Psychiater, der herausfinden sollte, ob Rasmane K. krank ist, sprach der Angeklagte nicht.

Bis heute hat der Strafverteidiger Reinhard Kirpes Zweifel, ob Rasmane K. zu Recht verurteilt wurde. So hatten die Ermittler zwar rekonstruiert, dass Sandra N. am 13. März 2011 gestorben sein musste, weil sie von diesem Datum an keine Telefonate mehr geführt, kein Geld mehr abgehoben, keine Termine mehr wahrgenommen hat, aber exakt feststellen konnten die Pathologen den Todestag Wochen danach nicht mehr. Eine Nachbarin sagte vor Gericht, sie habe Sandra N. vermutlich am 14. März noch getroffen. Zu dieser Zeit aber war Rasmane K. nachweislich in Köln – er hätte also ein Alibi gehabt.

Reinhard Kirpes plädierte: „Im Zweifel für den Angeklagten.“ Der Richter urteilte: „Die Indizienkette ist so dicht. Der wahre Täter kann niemand anders sein als der Angeklagte.“ Rasmane K. behauptete weiter, er habe Sandra N. nicht umgebracht.

Der Rechtsanwalt Kirpes sagt, Rasmane K. sei kein einfacher Mensch gewesen, aber als aggressives Monster habe er ihn nicht wahrgenommen. „Vielleicht ist das Urteil eine Zäsur gewesen – angesichts dessen, was danach passiert ist“, mutmaßt Reinhard Kirpes.

Angriff auf einen Vollzugsbeamten

Im Frühjahr 2012 rastet Rasmane K. wieder aus. Sein Urteil wegen Totschlags ist jetzt rechtskräftig, die Revision wurde abgelehnt. Als ihn ein Wärter zum Transport in die Justizvollzugsanstalt Freiburg abholen will, weigert sich Rasmane K. mitzukommen. Der Wärter holt Verstärkung. Rasmane K. wehrt sich gegen seine Verlegung mit Händen und Füßen. Dabei stößt er einen der drei Vollzugsbediensteten so heftig gegen den Kopf, dass er lebensgefährlich verletzt wird. Der Mann ist bis heute dienstunfähig.

Rasmane K. wird wegen gefährlicher Körperverletzung angeklagt. Sein Anwalt in diesem Prozess ist Ottmar Wachenheim. Wachenheim hat schon Kriegsverbrecher in Den Haag verteidigt. Über die Verhandlung in Offenburg sagt er: „Das war die absolute Horrorveranstaltung meiner Laufbahn.“ Die Beamten, die Rasmane K. während der Verhandlung bewachen, tragen Kampfanzüge, Waffen und Helme mit verschlossenem Visier. Wenn Rasmane K. etwas sagt, dann nur, dass er das Gericht nicht anerkenne. Ansonsten hält er sich die Ohren zu oder rasselt mit den Stahlfesseln, die er an Händen und Füßen trägt. Auch mit seinem Anwalt spricht Rasmane K. nicht. Deshalb könne er nichts über ihn sagen, sagt Wachenheim.

Im Sommer 2012 wird der Rasmane K. zu weiteren 18 Monaten Haft verurteilt.

Bis zum Tod in Einzelhaft

Die Justizvollzugsanstalt Bruchsal wird im Volksmund „Stern zu Bruchsal“ genannt – wegen des Hauptgebäudes, dessen Flügel sich in alle Himmelsrichtungen strecken. Das Gefängnis wurde im Revolutionsjahr 1848 eingeweiht, die ersten Häftlinge waren Gefangene des niedergeschlagenen Aufstands. Heute sitzen in Bruchsal die schwersten Jungs des Landes. Der Serienmörder Heinrich Pomerenke war dort eingesperrt. Auch Christian Klar musste in Bruchsal für seine Verbrechen mit der RAF büßen.

Rasmane K. wird nach Bruchsal verlegt. Er kommt in Einzelhaft oder, wie diese Maßnahme in korrektem Vollzugsdeutsch heißt, in „unausgesetzte Absonderung“. Unausgesetzt abgesondert wird ein Häftling, wenn er für den Aufenthalt in Gesellschaft zu gefährlich erscheint. Rasmane K. darf also nicht in der Buchbinderei arbeiten, nicht in der Elektrowerkstatt und auch in keinem anderen Gefängnisbetrieb. Er darf nicht im Chor der Gefangenen singen, nicht mit der Skatgruppe reizen und nicht mit den Fußballern über den Sporthof rennen. Wobei niemand weiß, ob Rasmane K. irgendwas davon überhaupt gewollt hätte.

Eine unausgesetzte Absonderung ordnet kein Gefängnisdirektor gerne an, allein schon deshalb, weil sie ist aufwendig und teuer ist. Eine Einzelhaft sollte nicht länger als drei Monate in einem Jahr dauern. Tut sie es doch, muss das Justizministerium eine Genehmigung erteilen. Rasmane K. sitzt zwei Jahre lang in Einzelhaft – bis er stirbt. Als ihn die Wärter vor fünf Wochen leblos in seiner Zelle finden, wiegt der einst kräftige, 1,87 Meter große Mann noch 57 Kilo.

Ungeklärte Fragen

Bruchsal gilt als ordentlich geführte Justizvollzugsanstalt. Dort können sich mehr Bedienstete um die Häftlinge kümmern, als es in den restlichen Gefängnissen des Landes der Fall ist. Und ihr Leiter Thomas Müller hat in Fachkreisen einen exzellenten Ruf. Trotzdem ist im Fall Rasmane K. offenbar etwas schiefgelaufen. Oder wie kann es sonst sein, dass ein Mann, der besonders gut überwacht werden muss, abgemagert in seiner Zelle stirbt?

Normalerweise bekommen Gefangene in Einzelhaft häufig Besuch vom Psychologen oder vom Sozialarbeiter oder vom Seelsorger. Damit die Absonderung besser zu bewältigen ist und damit ein Weg zurück in den Regelvollzug gebahnt werden kann. Es könnte sein, dass Rasmane K. diese Helfer nicht an sich herangelassen hat. Es scheint für die Wärter schon schwierig genug gewesen zu sein, überhaupt in die Zelle zu kommen: Von den Beamten, die Rasmane K. Essen brachten und seine Zelle kontrollierten, gehören einige zu einer speziell geschulten Sicherheitsgruppe.

Normalerweise muss das Justizministerium informiert werden, wenn ein Häftling länger als eine Woche nichts isst. Und normalerweise wird auch der medizinische Dienst verständigt. Doch möglicherweise lief in Bruchsal nicht alles normal. In der anonymen Anzeige, die den rätselhaften Tod von Rasmane K. überhaupt erst bekannt gemacht hat, wird behauptet, dass einige Dinge im Zusammenhang mit der Einzelhaft vielleicht unkorrekt gehandhabt wurden.

Was bleibt von Rasmane K.?

Das Justizministerium hat den Bruchsaler Direktor vorübergehend suspendiert und Disziplinarverfahren gegen zwei Bedienstete eingeleitet. Die Staatsanwaltschaft prüft, ob Rasmane K. wegen unterlassener Hilfeleistung gestorben ist oder vielleicht sogar fahrlässig getötet wurde. Bis jetzt ist nicht einmal sicher, ob Rasmane K. wirklich verhungert ist: Die Untersuchung der Leiche ist noch nicht abgeschlossen.

Wenn schon von seinem Leben fast nichts bekannt ist, vielleicht kann sein Tod etwas lehren. In seiner Kanzlei in Offenburg schnauft Reinhard Kirpes tief durch. Der Rechtsanwalt sagt: „Der K. hat seinen Packen zu tragen gehabt – was immer darin geschnürt war.“