Der Bezirksbeirat Stammheim hat einstimmig beantragt, in ganz Stuttgart die Aktion „nette Toilette“ einzuführen. Im ganzen Stadtbezirk gibt es keine öffentliche Toilette.

Stammheim - Wer in Stammheim unterwegs ist und in der Öffentlichkeit ein dringendes Bedürfnis verspürt, der hat ein Problem. Weit und breit ist keine öffentliche Toilette in Sicht. Zwar besteht die Möglichkeit, das WC im Bezirksrathaus zu benutzen. Aber das ist nicht allen bekannt: „Außerdem ist man an die Öffnungszeiten der Behörde gebunden“, sagt Erika Schittenhelm vom örtlichen Stadtseniorenrat. Ähnliches gilt für das Luise-Schleppe-Haus der Evangelischen Altenheimat an der Kornwestheimer Straße 30 und die Stammheimer Geschäfte, denen das Zertifikat „Seniorenfreundlicher Service“ verliehen wurde. Auch dort dürfe man zur Not das stille Örtchen benutzen, sagt Schittenhelm. Dennoch: „Das Thema Toilette drückt uns im wahrsten Sinne des Wortes“, sagt die Bezirksvorsteherin Susanne Korge. Erst jüngst habe eine Stammheimer Bezirksbeirätin in einem örtlichen Stehcafé die leidvolle Erfahrung machen müssen, dass sie das Mitarbeiter-WC nicht benutzen durfte und auch kein öffentlich zugängliches stilles Örtchen in der Nähe war, berichtet Korge.

 

70 öffentliche Toiletten für 152 Stadtteile

So kam das Thema in den örtlichen Bezirksbeirat. Dort war in der vergangenen Sitzung der Weilimdorfer Stadtseniorenrat Rainer Wißler eingeladen, um das Problem gesamtstädtisch zu beleuchten und um über das in vielen anderen Kommunen praktizierte Modell „nette Toilette“ zu berichten. Die Klagen sind indes nicht neu: „Es gibt 70 öffentliche Toilettenanlagen in der Landeshauptstadt, 20 befinden sich in der Innenstadt und die restlichen 50 verteilen sich auf die übrigen 22 Stuttgarter Stadtbezirke“, berichtet Rainer Wißler, Delegiertensprecher des Stadtseniorenrats Weilimdorf. Im Durchschnitt sind das 2,27 öffentliche Bedürfnisanstalten pro Stadtbezirk: „Das ist völlig unzureichend“, sagt er. Etwa 130 000 Euro koste die Stadt die Herstellung einer öffentlichen Toilette, dann kämen noch die Betriebskosten dazu. Eine weitaus günstigere Alternative für das Stadtsäckel sei da das System „nette Toilette“. Vor drei Jahren habe er bei einem Besuch auf dem Weihnachtsmarkt im Ortskern von Esslingen die Aktion kennengelernt. „Dort habe ich zum ersten Mal die Aufkleber gesehen“, sagt Wißler.

Mittlerweile gibt es die „nette Toilette“ in vielen Kommunen

Wer in Esslingens beschaulicher Altstadt ein dringendes Bedürfnis verspürt, kann Ausschau nach einer „netten Toilette“ halten. Ein Aufklebeschild mit einem Smiley und dem entsprechenden Schriftzug auf den Eingangstüren oder Schaufenstern der an dem Aktionsbündnis beteiligten Geschäfte, Cafés, Restaurants, Einrichtungen und öffentlichen Gebäuden signalisiert: An diesem Ort kann jeder das WC kostenlos benutzen, auch wenn er kein Kunde ist – und ohne schief angeschaut zu werden.

Inzwischen hat sich das Modell schon in vielen Kommunen bewährt. Mittlerweile gebe es die „nette Toilette“ in 210 Städten und Gemeinden, sagt Wißler. Leider bisher nicht in Stuttgart, bedauert der Stadtseniorenrat. „Das finden wir sehr schade“. Entstanden ist das Konzept 2001 in Aalen. Dort hätten sich anfangs nur acht Gastronomiebetriebe beteiligt, inzwischen hänge der Aufkleber an den Scheiben von 35 Geschäften, Restaurants, Betrieben und Einrichtungen. Öffentliche Toiletten gebe es in Aalen gar keine mehr, sagt er.

Die Kosten für das System sind überschaubar

Einzelhändler und Gastronomen, die sich an dem Modell beteiligen, machen das allerdings nicht ganz kostenlos. Sie schließen mit der Stadt einen Vertrag und bekommen jährlich einen dreistelligen Betrag von der Stadt. Zudem müsse die Kommune noch eine einmalige Konzessionsgebühr in Höhe von 2580 Euro zahlen, ergänzt Bezirksvorsteherin Korge. Dafür könnten die Standorte der „netten Toilette“ dann aber auch auf einer App abgerufen werden. Das Konzept sollte nach Ansicht von Korge stadtweit eingeführt werden.

Als Wißler das Konzept bereits im Sommer bei einer Dienstbesprechung der Bezirksvorsteher mit Bürgermeister Werner Wölfle im Rathaus vorstellte, war das Interesse jedenfalls groß, auch wenn das Thema nur relativ kurz angeschnitten wurde. Auch im Bezirksbeirat Stammheim stießen Wißlers Ausführungen bei den Kommunalpolitikern am Ratstisch auf offene Ohren und Zustimmung: Die Bezirksbeiräte forderten anschließend in einem einstimmig angenommen Antrag, dass die „nette Toilette“ in Stuttgart, aber auch in Stammheim, eingeführt werden solle. „Ich hoffe, dass sich andere Stadtbezirke unserem Votum anschließen“, sagt Bezirksvorsteherin Korge.