Die große Pop-Pianistin und Sängerin Tori Amos hat in Frankfurt ihre Deutschlandtournee eröffnet.

Kultur: Jan Ulrich Welke (juw)

Frankfurt - Erstaunlich eigentlich, dass die Bemühungen um die Gleichstellung von Mann und Frau alle gesellschaftlichen Ebenen durchziehen und bloß vor jenem Bereich Halt machen, der sich die Freiheit ganz besonders groß auf die Fahne geschrieben hat: der Popmusik. Im Gesangsfach haben es einige Frauen im Popzirkus zu ikonografischem Status gebracht, im Instrumentalbereich sieht es hingegen mau aus. Berühmte und vor allem für ihr herausragendes Können bekannte Musikerinnen sind im extrem männerdominierten Popzirkus rar, Frauen wie die Schlagzeugerin Cindy Blackman, die Saxofonistin Candy Dulfer oder die Bassistin Kim Gordon die große Ausnahme.

 

Geht’s um die Frage nach der weltbesten Gitarristin, werden sich in der Regel alle schnell beim Namen Joni Mitchell einig. Und bei der weltbesten Pianistin? Da fällt dann oft der Name Tori Amos. Auf nunmehr vierzehn Alben hat die 53-jährige Amerikanerin ihr Ausnahmekönnen bereits demonstriert, zuletzt vor drei Jahren auf dem stupenden Werk „Unrepentant Geraldines“ und aktuell auf dem nicht minder vorzüglichen Album „Native Invader“. Dieses vorzustellen ist sie jetzt auf Tournee, und wie überragend sie auch live musiziert, war am Samstagabend beim Auftakt ihrer Deutschlandkonzerte in Frankfurt zu erleben, die leider wieder einmal nicht nach Stuttgart führt – dass die hiesigen Konzertveranstalter zunehmend immer weniger künstlerisch hervorstechende Musiker locken können oder wollen, bleibt bedauerlich.

Die Frankfurter Jahrhunderthalle könnte das Vorbild für einen neuen Konzertsaal in Stuttgart sein

Wie eine neue Konzerthalle für rund viertausend Besucher, so sie denn hoffentlich bald mal in Stuttgart errichtet werden sollte, zu klingen hat, können sich alle Verantwortlichen gerne mal in Frankfurt vorexerzieren lassen. Die Jahrhunderthalle mit ihrer idealen Bauform und ihrer Lamellenverkleidung bietet traditionell hervorragende Bedingungen, und es ist staunenswert, wie plastisch und luzide jetzt auch Tori Amos’ Musik in den Raum projiziert worden ist.

Begeisternd gerät jedoch die gesamte Performance. Da ist zum einen ihr formidabler Gesang, mal sirenenhaft, mal ätherisch, mal mit kehliger Wucht, dabei stets glasklar. Er allein lässt Amos schon in der ganz oberen Liga der Alternativepopmusikerinnen spielen. Dazu gesellen sich ihre fantastischen instrumentalen Fähigkeiten, die sie auf der Bühne mit einem interessanten Setting demonstriert: vor sich den Flügel nebst Mikrofonständer, in ihrem Rücken ein E-Piano, eine elektrische Orgel und ein zweites Mikrofon. Dazwischen die Frau mit den feuerroten Haaren und einem (dem Spiel eher hinderlich, könnte man meinen) üppig geschneiderten Oberteil, sich immer wieder und teils sogar mitten in den Songs auf ihrem Schemel hin- und herwendend zwischen beiden Tasteninstrumentenseiten, in der für sie typischen, immer fast schon ein wenig provokant wirkenden Haltung. Sie spielt allerdings hoch konzentriert und berauschend, groovt sich in die Stücke hinein, schlägt Volten, unternimmt Ausflüge in andere Lieder aus ihrem Repertoire oder zitiert paraphrasierend Kompositionen aus anderen Federn.

Tori Amos nutzt dabei die ganze Breite der Tastatur ihres Bösendorfers, sie spielt das größte Modell des Wiener Flügelherstellers mit 97 Tasten und entsprechender Wirkung im Subkontraklang. So tönt ihr Spiel nicht nur filigran, sondern auch sehr wuchtig. Die weit ausgreifende Dynamik befeuert den dritten Punkt dieses herausragenden und einnehmenden Abends: ihre glänzenden Kompositionen. Sie präsentiert – schon das ist außergewöhnlich – nur ein einziges Stück aus ihrem neuen Album, und das auch erst in der Zugabe. Ansonsten wird in 17 Stücken und eindreiviertel Stunden ein buchstäblich behänder Streifzug durch ihr ganzes Schaffen unternommen.

Tori Amos ist eine eminent politische Künstlerin

Geredet wird bei diesem einnehmenden Vergnügen nicht, die Taten stehen für sich, nur vor einem Zwischenspiel in der Mitte des Konzerts wendet sich Tori Amos an das Publikum. Es geht, wie nicht anders zu erwarten bei einer eminent politischen Künstlerin aus Amerika, um . . . – Sie ahnen es. Den Namen muss man mittlerweile nicht einmal mehr aussprechen, es genügt ein Symbolismus wie bei Tori Amos, die dieses Zwischenspiel als „Fake Muse Network“ ankündigt. Es ist der Konzertteil, den die leidenschaftliche Nachspielerin allabendlich den Coverversionen widmet. Von Leonard Cohen über Joni Mitchell (!) bis Led Zeppelin war auf der Tournee schon alles im Programm, in Frankfurt interpretiert sie Joe Jacksons „Real Men“ und den Folkprotestsong „Abraham, Martin and John“. Auch das passt, wie so alles an diesem Abend, dessen Fortsetzungen gewiss viele neue Überraschungen aus der prall gefüllten Wundertüte bieten werden, die Tori Amos brillant für uns öffnet.

Termine Hamburg (26.), Essen (27.), Berlin (29.) und München (30. September)