Der Veranstalter ASO setzt auch dank der Werbekolonne jährlich etwa 110 Millionen Euro bei der Tour de France um – Tendenz steigend. Die dreiwöchige Radrundfahrt im Frankreich ist das drittgrößte Sportereignis der Welt.

Stuttgart - Die Ansage kommt pünktlich auf die Sekunde. „Guten Morgen meine Damen und Herren, das Village Depart ist eröffnet. Viel Vergnügen und einen schönen Tag.“ Es ist 9.30 Uhr, in exakt drei Stunden wird die Etappe gestartet. Aber jetzt beginnt erst einmal das Rennen vor dem Rennen. Hunderte von Menschen drängen sich an Ständen um einen Pappbecher Kaffee, ein Mini-Croissant oder eine Handvoll Kirschen. Gedränge auch an einem Stand, an dem in Scheiben geschnittene Salami, deftige Pasteten und saure Gürkchen (Cornichons) verteilt werden. Es wird geschubst und gedrückt – man ist schließlich Gast einer sehr harten Sportveranstaltung, da heißt es Kante zeigen. Auch am Büfett.

 

Wenn die Tour de France kommt, dann rollt eine Lawine. Jeden Tag. Die drei Wochen im Juli sind nach der Fußball-WM und den Olympischen Sommerspielen das drittgrößte Sportereignis der Welt – und eines, das es jährlich gibt. 4400 Menschen in mehr als 3000 Autos rasen mit knapp 200 Radprofis quer durchs Land. Die Tour wirkt oft wie ein Autorennen, das durch einige Radler behindert wird.

Etwa 110 Millionen Euro setzt der Veranstalter Amaury Sport Organisation (ASO) jährlich um, Tendenz steigend. Wer Etappenort des Spektakels sein möchte, muss sich jahrelang bewerben und bei Zuschlag erst einmal 300 000 Euro an die ASO bezahlen. Dafür gibt es dann ein Pflichtenbuch in Katalogstärke, in dem von den Straßensperren bis zur VIP-Toilette alles geregelt ist.

3600 Journalisten berichten täglich

Und eben auch für das tägliche Village Depart. Meist wird dazu in Nähe des Starts ein Teil des Stadtparks mit mobilen Zäunen abgeriegelt, es werden Zelte und Stände aufgebaut, Beete zertrampelt und Stromkabel verlegt. Wenn dann die Glocke klingelt, fluten die lokale Prominenz und in Ehren ergraute Ex-Profis die Promi-Meile. Und an den Zäunen steht das Volk und wartet auf ein schönes Foto. Man muss sich ein bisschen auskennen, aber die Ex-Stars wie Miguel Indurain oder Greg LeMond erkennt man trotz Hüftringen dann doch noch. Bernard Hinault sowieso. Zu Zeiten eines Lance Armstrong kam auch schon mal Hollywoodgröße Robin Williams zum Start.

Es brummt im Village, und oft gehen die Gespräche um ein Thema: Wo ist die Grenze? Mittlerweile wird die Tour de France in 180 Länder der Welt übertragen, 3600 Journalisten berichten täglich. Vor dem Rennen zieht eine kilometerlange Werbekarawane über den Kurs. Wer da dabei sein will, muss tief in die Tasche greifen. Das kleinste Arrangement umfasst drei Werbeautos und kostet 150 000 Euro.

Gesichert wird die Strecke von 50 Gendarmen auf schweren Motorrädern und etwa 23 000 Polizisten am Straßenrand. Dieser Aufwand kostet den Veranstalter ASO nichts, da der französische Staat die Tour zu einem förderwürdigen, nationalen Monument erklärt hat.

20 Millionen Euro Gewinn jährlich

Wirtschaftlich wird das Rennen auch weiter wachsen, die Tour ist eine Geldmaschine mit etwa 20 Millionen Euro Gewinn jährlich. Im Moment buhlen 200 Städte um das Recht, Etappenort zu werden. Selbst ein Start in New York nach 2017 schwirrt als Gerücht durch die Szene.

Vom Auftrieb her sind aber Grenzen erreicht, wie man auch im Village Depart täglich spüren kann. Die angehende Deutschlehrerin Corinne Deschamps arbeitet an einem Stand, an dem Zeitungen an die Gäste verteilt werden. Routiniert fischt sie Tüten mit der „L’Equipe“ oder der „Liberation“ unter dem Tresen hervor. „Wo sind wir heute eigentlich?“, fragt sie lachend, hat aber keine Zeit für die Antwort. Als der erste Schwung Gäste versorgt ist, erklärt sie ihre Desorientierung. „Ich arbeite und lebe die drei Wochen wie in einem Tunnel. Aber es macht trotzdem Spaß – und das nächste Semester ist auch gesichert.“ Ganz ähnliche Motive habend die jungen Leute, die Prospekte verteilen, auf Stelzen Werbebotschaften brüllen oder gestressten Gästen den Nacken massieren.

Die Profis sitzen derweil in ihren klimatisierten Teambussen am Rand des Village und warten auf den Start. Freiwillig gehen die wenigsten dorthin. Zu heiß, zu voll. Manchmal werden aber einige von den Teamchefs geschickt. Kontaktpflege mit den Fans. Die Profis lassen sich dann fotografieren, lächeln routiniert und versuchen sich schnell wieder zu verdrücken.

Die Prämien fallen vergleichsweise gering aus

Die Fahrer sind diejenigen, die am wenigsten von dem ökonomischen Hype haben. 8000 Euro für einen Etappensieg oder bescheidene 350 Euro für einen Tag im Gelben Trikot – die Preisgelder sind gemessen an der Wirtschaftsmacht der Tour doch eher mickrig. Selbst die 450 000 Euro für den Gesamtsieger muss man relativieren, weil der Mann in Gelb das Geld mit seiner Mannschaft teilt. Das muss er zwar nicht, das tun aber alle, weil das Rennen ohne Team nicht zu gewinnen ist.

Der Sprecher im Village nimmt wieder das Mikro, dann erklingt die Glocke. Noch 30 Minuten bis zum Start, wer mit dem Auto vor dem Rennen fährt, muss jetzt los. Der Platz leert sich, die örtliche Prominenz bleibt noch, aber in einer Stunde ist hier niemand mehr. Corinne wird ein wenig beim Abbauen helfen, dann geht es auf direktem Weg zum nächsten Ort.

Zurück bleibt ein Park, der aussieht wie nach einem Manöver. Und glückliche Kommunalpolitiker, denn die Tour bringt auch Geld wie Dreck. Dafür darf dann auch mal ein Park zertrampelt werden.