Annähernd 40 Prozent der Stuttgarter kennen das Bohnenviertel nicht. Das soll sich ändern. Eine neue Stadttour will das Quartier bekannter machen.

S-Mitte - Wie eine Schallmauer durchzieht die B14 die Innenstadt. Der Bezirk Mitte wird von dem reißenden Fahrzeugstrom sauber in zwei Hälften geschnitten. Die eine davon interessiert – die andere nicht.

 

So zumindest fühlt es sich für viele Gewerbetreibende im Bohnenviertel an. „Für die meisten Stuttgarter hört die Innenstadt spätestens mit dem Breuninger-Parkhaus auf“, sagt Simone Mertz, die ein Kunstatelier in der Katharinenstraße führt. Seit ihrem Studium 1982 lebt und arbeitet die Künstlerin im Bohnenviertel. „Ich bin einmal hier hängen geblieben und nicht mehr fort gekommen – und ich will auch nicht mehr fort!“, sagt Mertz, die in ihrem Atelier vor allem Tierfiguren aus Stahlblech gestaltet. Nur Kunstliebhaber würden sich eher selten ins Bohnenviertel verirren. „Man muss sich seine Kunden hier ziehen“, erzählt die Künstlerin. „Laufkundschaft ist für uns Gewerbetreibende im Bohnenviertel immer noch ein großes Problem.“

Nicht so rosig wie im Westen

Dieser Ansicht ist auch ihr Nachbar Götz Wintterlin, der in der Galerie Pixxl seine Fotoarbeiten verkauft. „Das Bohnenviertel war und ist noch immer ein Arme-Leute-Viertel, die meisten Wohnungen hier sind Sozialbauten. Wenn man pro Tag nur vier Euro zur Verfügung hat, gibt man keine 2,50 für eine Fotopostkarte aus.“ Er ist schon seit den 80ern hier, als das Viertel noch „total vergammelt und verrottet und deshalb anziehend für Künstler und schräge Typen“ war. Trotzdem sei das Künstlerleben im Bohnenviertel längst nicht so rosig, wie beispielsweise im Westen, meint Wintterlin. „Dort ist man ja von wohlhabendem Publikum umgeben und nicht auf Kundschaft von außerhalb angewiesen.“ Ganz anders im Bohnenviertel, das im Vergleich zum Stuttgarter Westen nicht als angesagtes Viertel gilt. Laut einer Studie der Uni Hohenheim kennen annähernd 40 Prozent der Stuttgarter das historische Viertel im Herzen der Stadt gar nicht. „Das wären dann immerhin fast 300 000 Leute“, sagt Götz Wintterlin.

Dem will der Handels- und Gewerbeverein des Bohnenviertels entgegenwirken. Seit diesem Jahr wird deshalb die „Bohnenviertel inside Tour“ angeboten, ein Stadtspaziergang durch den einzig erhaltenen Teil der historischen Stuttgarter Altstadt, der einst nach den Kletterbohnen benannt wurde, die sich an den Häusern in die Höhe rankten. In rund zwei Stunden werden den Teilnehmern die charmanten, verwinkelten Ecken und Hinterhofgärten des Viertels gezeigt und vier ansässige Betriebe vorgestellt. „Jeder erzählt dann ein bisschen, wie er zu seinem Betrieb gekommen ist und was er anbietet“, erklärt Simone Mertz. „Oft werden die Gäste noch in kleine Betriebsgeheimnisse eingeweiht und dürfen ein bisschen hinter die Kulissen schauen.“

Bessere Anbindung gewünscht

Neben zahlreichen Kunstateliers, kleinen Geschäften und Gastronomiebetrieben gibt es im Bohnenviertel auch verschiedene Werkstätten und Schreinereien, was in der Innenstadt normalerweise eher die Ausnahme ist. „Die Handwerksbetriebe wie zum Beispiel die Schreinerei Zwinz oder die Schlosserei Schickler gehören zum Gewerbealtbestand und erinnern mit ihren Traditionsunternehmen noch an ganz früher. Aber anstatt an Handwerk oder Kunst, denken die meisten beim Wort Bohnenviertel noch an das Rotlichtmilieu“, so Mertz – dabei ist dieses eher im Leonhardsviertel angesiedelt.

Für das Bohnenviertel würde sie sich eine direktere Anbindung zur Innenstadt wünschen, sagt Mertz. „Bei der Ampelschaltung, die zu uns rüber führt muss man schon sehr viel Geduld aufbringen. Aber ob die Stadt den Bauplan umsetzt, das ist vermutlich Glückssache.“

Glück könne man sowieso nie genug haben, meint die Künstlerin, und zeigt lachend auf die vielen metallenen Glücksschweinchen, die mittlerweile zu ihrem Markenzeichen geworden sind. Das ist es auch, was das Bohnenviertel und seine Künstler in der nächsten Zeit brauchen: viel Schwein und viele Besucher!