Issam Abdul Karim plant ein gewaltiges Kunstprojekt: Er will mit dem Motorroller in den nahen Osten fahren und damit viele kleine Zeichen setzen gegen Angst, Terror und Misstrauen. Sein Vorhaben hat angeblich sogar die NSA auf den Plan gerufen.

S-Nord - Am Weißenhof, direkt an der Kunstakademie, betreibt Issam Abdul Karim die Bar 1/1, die allein durch ihre Form und ihre rote Frontansicht sofort ins Auge sticht. Geht es nach ihm, muss sein Stammpublikum bald bis auf weiteres ohne ihn auskommen. Der Friedensaktivist plant eine längere Reise, die wie eine Mischung aus Abenteuer und Himmelfahrtskommando erscheint. An diesem Wochenende wirbt er beim Festival „Schlager im Park“ in Bad Oeynhausen für sein Projekt „Salam-Shalom-Pace“.

 

Die Bar 1/1 macht Sommerpause. Doch ein Blick durchs Fenster lohnt trotzdem, kann man sie doch in ihrem vollen Glanz bewundern, die babyblaue 125er Lambretta, Baujahr 1965, genannt „Spirit of Arabica“. Sie ist neben Abdul Karim die Hauptakteurin des Projekts, denn mit ihr will er auf große Fahrt gehen: rund 26 000 Kilometer von Stuttgart bis nach Beirut, mit Zwischenstationen unter anderem in Nordafrika und Israel. Sein Ziel: viele kleine Zeichen zu setzen gegen Angst, Terror und Misstrauen in Krisenregionen. „Vielleicht halten mich die Menschen für einen Spinner. Aber das musst du wohl auch sein“, sagt der 45-Jährige.

Kinder an der Kalaschnikow

Die Irrationalität eines Bürgerkriegs hat Issam Abdul Karim am eigenen Leib erfahren. Der sunnitische Muslim wuchs in seiner Heimat Libanon im christlichen Teil Beiruts auf. „Meine Eltern haben meine Geschwistern und mich Liebe und Respekt gelehrt und dass alle Menschen zusammengehören. Davon zehre ich bis heute.“ Umso unverständlicher muss für den jungen Issam der Beginn des religionsmotivierten Bürgerkriegs gewesen sein, durch den seine Familie gezwungen war, in den muslimischen Teil der Stadt zu flüchten. „Auf einmal waren wir heimatlos“, erinnert er sich. Milizen hätten schon Kinder zum Waffendienst an Kalaschnikow und Handgranate verführen wollen, die Familie floh weiter, erst in die Türkei und nach Syrien, später über Ungarn in die DDR, und schließlich nach Stuttgart, wo ein Onkel Abdul Karims lebte.

Das Wohngebiet Seedamm in Zuffenhausen wurde sein neues Zuhause, nicht gerade ein Hort der Glückseligkeit. Nach dem Krieg ein Lager für Bessarabiendeutsche, tummelten sich Ende der Siebziger dort die Ausgegrenzten und sozial Schwachen. „Du warst sofort stigmatisiert. Mich haben alle nur Seedamm-Schlampe gerufen“, sagt Abdul Karim, der aber, im Gegensatz zu einigen seiner Freunde, den Absprung schaffte und davon überzeugt ist: „Alles, was mir passierte, passierte aus einem Grund und führte mich dorthin, wo ich heute bin.“

Anfällig für radikale Gedanken

Abdul Karim ist jemand, der nicht hinnehmen will, was er als ungerecht empfindet. Der anhaltende Hass zwischen den Gruppen im Nahen Osten treibt ihn um. Seine Heimat Libanon mit ihren 4,5 Millionen Einwohnern habe zwei Millionen Flüchtlinge aus Syrien und Palästina aufgenommen, darunter 400 000 Kinder ohne Bindung und Bildung, „eine verlorene Generation“, anfällig für radikale Gedanken. Vor allem an sie richtet sich „Salam-Shalom-Pace“, das er als Kunstprojekt bezeichnet, weil Kunst frei sei, viel freier als die häufig nur zur Symbolik fähige Politik.

Wer ist dieser geheimnisvolle Patrick?

Film, Musik, Malerei sind Elemente des Projekts, er will auf der Reise ein Drehbuch schreiben, Ausstellungen organisieren mit Bildern, Texten und Gemälden aus der von ihm entwickelten Stilform „Urban Coffee Art“. Deren Werke haben keinen Titel, weil das den Dialog zwischen Künstler und Betrachter beeinflusse. Er will Stars, Persönlichkeiten und Aktivisten wie den Musiker Max Herre, den Dirigenten Daniel Barenboim und den Israel-Aktivisten Miko Peled für sein Projekt gewinnen.

Kontakte zum Obersten Richter Marokkos, dem Kulturministerium des Bahrains und Stellen in Israel bestünden schon, allein von den deutschen Behörden fühlt er sich eher ausgebremst als unterstützt. Und dann ist da noch dieser geheimnisvolle Patrick, der ihn über zwei Jahre hinweg immer wieder aufgesucht habe, der sich ihm gegenüber als NSA-Agent ausgewiesen, ihn sogar einmal nach Ramstein mitgenommen habe. „I’m your friend“ – ich bin dein Freund, habe Patrick betont. „Ich dachte zuerst, er wolle mich anwerben“, sagt Abdul Karim. Stattdessen habe Patrick versucht, ihn von seiner Mission abzubringen.

Issam Abdul Karim hat nicht vor, klein bei zu geben. Die Organisatoren des Festivals „Schlager im Park“ an diesem Samstag haben ihn nach Bad Oeynhausen eingeladen, damit er von sich erzählt. Ob er wie zuletzt gehofft im September oder Oktober mit seiner Lambretta starten kann oder sich alles noch ein wenig verzögert, ist offen. Sicher sei dagegen: „Wenn ich einmal in Bewegung bin, gibt es keinen Stopp mehr.“