Im Tour Montparnasse dringen krebserregende Fasern durch Lüftungs- und Kabelschächte in sämtliche Etagen. Der Verband der Asbestopfer fordert die Räumung des Gebäudes.

Paris - Die roten Lichtleisten, die nach Einbruch der Dunkelheit die Konturen des Tour Montparnasse hervortreten lassen, mögen als Weihnachtsschmuck gedacht sein. Seit Donnerstag wirken sie wie Warnleuchten. Der höchste Pariser Wolkenkratzer ist asbestverseucht. Die Hoffnung, den Büro- und Aussichtsturm nach und nach sanieren zu können, ohne Beschäftigte oder Besucher Gesundheitsgefahren auszusetzen, hat getrogen.

 

Ein Gutachter hat der Präfektur, der Arbeitsaufsichtsbehörde und den Eigentümern einen Zwischenbericht zur Schadstoffbelastung des Anfang der siebziger Jahre errichteten Gebäudes vorgelegt. Der Befund ist niederschmetternd. Krebserregende Asbestfasern zirkulieren der Expertise zufolge in den Kabel- und Lüftungsschächten des 210 Meter hohen Turms, der 5000 Beschäftigten als Arbeitsplatz und jährlich 1,2 Millionen Touristen als Aussichtspunkt dient. Alle 59 Etagen seien betroffen, heißt es in dem Gutachten. Der Verband der Asbestopfer Andeva hat die Räumung des Gebäudes gefordert.

Man wollte das Gebäude nach und nach sanieren

Die Präfektur schreckt davor zurück. In der umsatzträchtigen Vorweihnachtszeit ein Nervenzentrum der Pariser Geschäftswelt stillzulegen, ist für die dem Innenministerium unterstellten Behörde ein Albtraum. Die 300 Eigentümer der Büroräume scheinen sich zu sagen, dass nicht sein kann, was nicht sein darf, und wiegeln ab. Der Zwischenbericht sei „beruhigend“, versichert die Eigentümergemeinschaft.

In der Vergangenheit war sie stets davon ausgegangen, das in Frankreich seit 1997 verbotene feuerdämmende Material nach und nach entfernen zu können, ohne den Turm ganz schließen zu müssen. Nach der Entdeckung der Asbestbelastung waren Mitte der neunziger Jahre die Sanierer angerückt. Und auch wenn sich die Bauarbeiten in die Länge zogen und der Abschluss des 250 Millionen Euro teuren Vorhabens auf 2017 verschoben werden musste: Der Plan einer Sanierung ohne Evakuierung schien aufzugehen.

Dabei lag die seit 2009 von 200 Messstellen erfasste Schadstoffbelastung in einzelnen Räumen oder Etagen immer wieder deutlich über dem ohnehin großzügig bemessenen Grenzwert von fünf Fasern je Liter Luft. So waren etwa in den Büros der im 48. Stockwerk residierenden Architektenkammer 99 Fasern pro Liter nachgewiesen worden. Im ersten Untergeschoss wurden elf Fasern gemessen Ein paar Firmen quartierten die Mitarbeiter aus.

Der Bürgermeister wollte den Betonturm abreißen lassen

Ein ums andere Mal wurden angeblich nachlässige Bauarbeiter für den Befund verantwortlich gemacht. Sie hätten es bei der Entfernung des Dämmmaterials an der nötigen Abdichtung der Räume fehlen lassen, hieß es. Als im August in gleich fünf Etagen des Turms Asbestalarm ausgelöst wurde, war dies mit ungenügender Isolation der Baustellen allein nicht mehr zu erklären. Die Arbeitsaufsichtsbehörde und die regionale Krankenkasse argwöhnten, Asbestfasern könnten über Lüftungsschächte das gesamte Gebäude verseucht haben. Die Staatsanwaltschaft leitete Ermittlungen ein. Die Präfektur beschloss ebenfalls, der Sache auf den Grund zu gehen, und bestellte ein Gutachten. Dem Zwischenbericht soll im Januar eine endgültige Expertise folgen.

Der Bürgermeister regte vor fünf Jahren an, den vielerorts als Schandfleck erachteten Betonturm abreißen zu lassen. Die Eigentümergemeinschaft wies damals den Vorschlag entrüstet zurück. Gut möglich, dass das Ansinnen des Stadtoberhaupts wieder auf die Tagesordnung kommt.