Wer hat’s erfunden? Wie kam das Dirndl zu den Schwaben? Ein Besuch dort, wo vor 16 Jahren alles anfing – bei der VIP-Party von Karin Endress, in der Keimzelle des Faschingswasens.

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

Stuttgart - „Ein Dirndl-Typ bin ich nicht“, sagt Kultusministerin Susanne Eisenmann in der Grandl-Loge, und es klingt fast entschuldigend.

 

Karogemustert aber ist auch sie, und ihre Kniebundhose ist aus Leder. Von der 17. Wasenparty des „Top-Magazins“, das im Jahr 2000 mit dem ersten Dirndl-Fest eine Mode-Lawine losgetreten hat, schaut die CDU-Politikerin ins Zeltinnere, wo Schülerscharen reihenweise zu Schlagerhits auf Bänken tanzen. Was sagt die Kultusministerin dazu? Sie antwortet mit einem Spruch ihrer Oma: „Wer feiern kann, kann auch arbeiten.“ Bisher sei ihr aus Schulen nichts über Wasen-Verfehlungen bekannt.

Wer feiern kann, kann auch anderntags in aller Frühe schaffen! Auf die Ministerin trifft dies zu. Einst war sie Referentin von Günther Oettinger, dessen Feierkondition sie sich wohl antrainiert hat. Der frühere Ministerpräsident ließ seine Leibwächter verzweifeln, weil er bei Partys immer als Letzter ging. In der Grandl-Loge (gesehen: SWR-Moderatorin Petra Klein, Bürgermeister Fabian Mayer, MdB Stefan Kaufmann, Impresario Michael Russ, Kunstmuseums-Chefin Ulrike Groos) wird darüber geredet. Dass sich der EU-Kommissar einst nachts an die Blutwäsche anschließen ließ, um den Alkohol rasch loszuwerden, wie kolportiert wird, sei ein böses Gerücht, sagt Südwestbank-Chef Wolfgang Kuhn.

„Kommt bitte in Tracht!“

Blicken wir in die Annalen der Dirndl-Mode: 1999 war Wirt Hans-Peter Grandl aus München gekommen, wo er bei einer Ochsenbraterei auf der Wiesn gearbeitet hatte. Das Volksfest besaß damals keinen guten Ruf. „Eine Brauerei fragte an, ob ich ein Fest organisieren könnte, um das Wasen-Image zu verbessern“, erinnert sich „Top-Magazin“-Chefin Karin Endress. Auf ihrer Einladung für die Grandl-Loge stand: „Kommt bitte in Tracht!“ Die Gäste taten’s zurückhaltend. „Etliche trugen gerade mal ein Halstüchchen“, so die Verlegerin. Hätte sie nur Provisionen mit Dirndl-Läden vereinbart! Denn heute ist Tracht mit und ohne Glitzerkram ein Massentick.

Ist die Spitze der Verrücktheiten überwunden? Die Auswüchse des Alpen-Glams und die überdrehte Tüllisierung des Volksfestes, so hat sich in der „Top“-Nacht gezeigt, lassen langsam nach. Bei den Damen hat sich wohl herumgesprochen, dass ein Dirndl vorn mit Häkchen oder einem Samtband über Ösen verschlossen wird. Hat das Kleid einen Reißverschluss, dürfte es sich um die billige Ausführung eines Party-Kostüms handeln, das Bedürfnisse rasch befriedigen soll: Das Teil lässt sich selbst in Trunkenheit auf dem Klo oder bei einem späteren spontanen Aufeinandertreffen mit einer Lederhose problemlos öffnen.

Wasen ist, wenn sich in den Logen Abend für Abend dieselben Stadtnasen in karnevalesker Freude treffen. Die Kultusministerin ist am Tag nach der „Top“-Party Schirmherrin bei der Premiere der Pressenacht im Zelt von Sonja Merz. Etwa 300 Gäste wollen sich am Dienstagabend das Menü von Sternekoch Franz Feckl schmecken lassen und DJ Ötzi lauschen – der Erlös geht an die Pressestiftung des Landes. Veranstalterin Sandra Vogelmann will daraus eine Tradition machen – eine Tradition des stilvollen, aber dennoch zünftigen Feierns wie beim „Top-Magazin“.

Etliche Stuttgarter sind zum Wasen-Warm-up auf die Wiesn gefahren. Der Unternehmer Uli Endress etwa – er kam mit einem Franz-Josef-Strauß-Abzeichen zurück, verliehen von CSU-Granden. „Die politischen Strippenzieher sind auf dem Oktoberfest viel eifriger“, berichtet er, „dagegen ist harmlos, was hier in den Logen passiert.“ Musicalstar Kevin Tarte hat den Gay-Sunday auf der Wiesn besucht und ist nun textsicher bei den Schlager-Wasen-Hits. Was beiden am Oktoberfest besser gefällt: In München ist – anders als in Cannstatt – das Rauchen in Zelten verboten.

Herrjee! Die Dirndelei haben wir längst aus Bayern übernommen. Jetzt fehlt noch das Rauchverbot! Wär’ echt ein guter Zug!