Seit 1618 wird die Turmbläserei in Stuttgart gepflegt – dank einer Spende jetzt noch ein paar Jahre länger.

Stuttgart - Das Gotteslob darf auch ein bisschen später erklingen. "Auf zwei Minuten kommt es nicht an", versichert Helmut Dusch, dienstältester Turmbläser in der Stuttgarter Stiftskirche. Seit 35 Jahren ächzt der Trompeter mehrmals die Woche die 243 Stufen im Westturm der Stiftskirche hinauf, um aus 55 Metern Höhe Kirchenchoräle auf die Stadt hinabzuschmettern. Um 8.45 Uhr setzen die Musiker ihre Instrumente an die Lippen, manchmal eben auch einen Tick später.

Heute meint es der Himmel gut mit den Herren: über ihnen strahlt ein azurnes Blau, unter ihnen leuchten die Marktstände im Sonnenlicht. Geradezu schwermütig wirkt da der Choral, den die fünf Blechbläser an diesem Morgen in das weite Blau schicken: Oh Ewigkeit, du Donnerwort. Weder die schöne Aussicht noch die vielen musikalischen Heilsversprechen aber schaffen es, die Musiker abheben zu lassen. "Wir spielen Choräle wie es die Tradition verlangt, nicht mehr und nicht weniger", sagt Dusch, der für große Worte und überbordende Gefühle nichts übrig hat.

Seit 1618 blasen Männer vom Kirchturm der Stiftskirche, seit dem 8. April 1659 tun sie dies mit einer gewissen Regelmäßigkeit. Die Tradition hat sich erhalten über Kriege hinweg, hat sich von Hungersnöten und Seuchenzeiten nicht bremsen lassen. Und auch nicht von kirchlichen Sparbeschlüssen. 2003 war es, als nach der Stadt auch die evangelische Gesamtkirchengemeinde die Zahlungen für die Turmbläser einstellte und das Fortleben des jahrhundertealten Rituals auf der Kippe stand.

Dank einer Spende wird die Tradition fortgeführt


Seither aber haben sich immer wieder Sponsoren gefunden, zunächst die Brüder Hofmeister, als Musikliebhaber und Möbelhausinhaber, und jetzt ein Ehepaar aus Bietigheim-Bissingen, das mit 60.000 Euro die Turmbläserei auf der Stiftskirche bis 2020 finanziert. "Wir verlangen ohnehin nur eine kleine Aufwandsentschädigung. Auch uns ist schließlich daran gelegen, die Tradition fortzuführen", sagt der Trompeter Siegfried Steiger. Dafür nimmt er in Kauf, dass er alle paar Wochen seine Aufwandsentschädigung gleich wieder in Strafzettel umsetzt, die ihm sein Aufenthalt auf dem Kirchturm einbringt.