Nach 25 Jahren hinter der Theke muss Manfred Zöller seine Kulturkneipe womöglich schließen. Dass sie einem Jugendtreff weichen muss, ist mehr als ein Gerücht.

Böblingen: Marc Schieferecke (eck)

Sindelfingen - Den Fehler, der Stammkneipen in tödliches Siechtum stürzt, ist dieser nie unterlaufen: ihren Wirt zu wechseln. Seit 25 Jahren steht Manfred Zöller hinter der Theke des Café Paletti am Sindelfinger Marktplatz. Der Manne – anders nennt ihn hier niemand. Womöglich stirbt das Café trotz seiner Weisheit einen schnellen Tod: den der Zwangsschließung. Denn dass die Kneipe zum Jugendtreff umgewidmet werden soll, ist mehr als ein Gerücht. „Am nächsten Dienstag habe ich ein Gespräch mit meinem Vermieter“, sagt Zöller. Sein Vermieter ist die Stadt.

 

Praktisch jeder, der in Sindelfingen verwurzelt ist, kennt den Manne und seine Kneipe. Kulturbeflissene, Journalisten, vor allem aber Kommunalpolitiker treffen sich hier. Das liegt an Mannes verwirrendem Werdegang. An diesem Nachmittag verteilen sich eine Handvoll Gäste um die runde Theke. Ein junger Mann hockt vor dem Rest-Computer, der die Aufschrift Internet-Café am Fenster rechtfertigt, ein Modell, das mit einer Welle aus der PC-Ursuppe hier gestrandet zu sein scheint. „Früher standen hier zehn Rechner“, sagt Zöller. Aber dann kamen die Smartphones. Mit denen klinken die Gäste sich heute in Mannes WLAN ein. Nach dem Passwort fragen nur gänzlich Fantasielose. Um es zu erraten, muss niemand Stammgast sein.

Der Heinz sitzt als Herr Bix im Gemeinderat

Der Andreas ist da und der Heinz. Der Andreas heißt mit Nachnamen Heßelmann und erklärt einem Lokaljournalisten der „Sindelfinger Zeitung“ die Handlungsstränge seines neuen Krimis „Der Tote unter der Explanada“. Der Heinz sitzt als Herr Bix für die SPD im Gemeinderat. Links in der Ecke politisieren sie über Verfehlungen der Rüstungsindustrie. Auch das hat mit Zöllers Werdegang zu tun.

Bis 1990 schien seine Zukunft die Politik. Er arbeitete als Kreisgeschäftsführer der Grünen. Der Weg nach Bonn, später Berlin, schien hell erleuchtet. Bei der ersten Wahl nach der Wiedervereinigung traten Bündnis 90 Ost und Grüne West noch getrennt an, letztere mit dem Slogan „Alle reden von Deutschland, wir reden vom Wetter“. Womit sie ihre Stimmenzahl erfolgreich halbierten. Die Wähler bewegte eben die Wiedervereinigung, nicht das Wetter. „Wir sind aus dem Bundestag geflogen“, sagt Zöller – und er damit aus seinem Job. So wurde er Wirt.

Deswegen spricht er aber noch immer über Politik und wie ein Politiker. Zöller ist ein lebendiges Nachschlagewerk der Sindelfinger Kommunalpolitik. Redet er über sie, scheint er Jahrzehnte in einen einzigen Satz zwängen zu wollen. „Ich komme vom Hundertsten ins Tausendste“, sagt er, „das sagt auch meine Frau“. Da hat sie recht. Ein Kulturzentrum wollte er aus dem Café Paletti mit dem Schubartsaal nebenan machen. „Zum Teil ist mir das gelungen“, sagt er. Er hatte seine Erfahrungen. Damals, im selbst verwalteten Jugendhaus, war es ihm und seinen Gefährten sogar gelungen, Kraftwerk und Fleetwood Mac zu Konzerten zu locken. Heute hat das Café Paletti lokale Kleinkunst im Programm.

Das Haus war nie für den Kneipenbetrieb vorgesehen

Der Sitz seiner Kneipe ist das Oktogon, das der Architekt Josef Paul Kleihues in den Achtzigern entwarf, als Teil der Pläne für eine runderneuerte städtische Galerie. Vor sechs Wochen hat das Landesdenkmalamt das achteckige Haus für schutzwürdig erklärt. Für den Kneipenbetrieb war es nie vorgesehen. Damit beginnen Zöllers Probleme. Sie enden damit, dass der gesamte Komplex saniert werden muss, nicht nur das Oktogon. Das sind eigentlich die Probleme der Stadt, aber es sind auch seine.

Das versucht er wieder in einem Satz zu erklären. Die Heizung und Lüftung, sagt er, „waren schon immer eine energetische Katastrophe“. Inzwischen ist die Technik so marode, dass sie nur zwei Temperaturen kennt: zu heiß oder zu kalt, und Zwischentöne bei Veranstaltungen rattert sie nieder. Vor allem fressen ihm die Heizkosten das Geld aus der Kasse. Er erzählt von drei Sanierungsgutachten. Nur: saniert wurde nie. Deswegen hat Zöller selbst schon gedroht, den Laden dicht zu machen, wenn nicht für immer, dann wenigstens über den Winter.

Er will nicht darüber nachdenken, was aus ihm wird, wenn auch das Café Paletti zur Stadtgeschichte gehört. Die 60 hat er hinter sich, die Knochen knirschen beim Getränkekistenschleppen. Er denkt trotzdem nach, laut, denn er muss noch ein paar Jahre, der Rente wegen. Eine kleine Whiskybar würde ihm gefallen. Im neuen Treff die Jugend zu bewirten, wäre was für den Übergang. Er hat auch einen Traum. Der führt zurück zu den Anfängen: Für die Gastronomie im neuen Domo Novo erkoren zu werden, das ist er. Nur ist über das Kulturzentrum in dem alten Kaufhaus nicht entschieden. Egal: „Ich bin Optimist“, sagt er. „Irgendwas wird sich ergeben“.