Nach dem Organspende-Skandal in Göttingen gehen Mediziner der Uniklinik Heidelberg in die Offensive und erläutern, wie man es besser machen könnte. Wenn man in großen Teams arbeitet, ist es zum Beispiel viel schwieriger, Patientenakten zu fälschen.

Heidelberg - Die Sorgen der Mediziner wachsen, dass der Göttinger Transplantationsskandal das Vertrauen in diesen wichtigen Zweig der Medizin erschüttern und die ohnehin geringe Bereitschaft zur Organspende in Deutschland weiter verringern könnte. Nach einer Umfrage der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung aus dem Jahr 2010 hatten nur 25 Prozent der Befragten einen Organspendeausweis, obwohl sich 74 Prozent prinzipiell mit einer Organentnahme nach dem Tod einverstanden erklärten.

 

Man frage sich doch: „Wenn in Göttingen manipuliert wird, geschieht das dann überall?“, sagt der Direktor der Chirurgischen Universitätsklinik in Heidelberg, Markus Büchler. Für das Transplantationszentrum dort, das mit etwa 100 Leberverpflanzungen jährlich in Baden-Württemberg an der Spitze steht, verneint er diese Frage ausdrücklich. Er hat Journalisten eingeladen, um in die Offensive zu gehen: „Wir sind sauber“, erklärt Büchler bei dieser Gelegenheit. Man habe nach Bekanntwerden der Göttinger Vorfälle alle internen Abläufe sorgfältig und auch rückwirkend überprüft und sei sich sicher, dass so etwas wie in der dortigen Uniklinik in dem Heidelberger Zentrum nicht möglich wäre. In Göttingen hat ein Arzt, allein oder mit Kollegen, die Daten von Patienten so manipuliert, dass sie in der Dringlichkeitsliste nach oben rückten und bevorzugt ein Spenderorgan zugeteilt bekamen.

Das Vier-Augen-Prinzip sollte Standard sein

Sein Urteil stützt Büchler vor allem darauf, dass in Heidelberg stets mehrere Fachbereiche beteiligt sind, wenn es darum geht, die Dringlichkeit einer Organverpflanzung zu ermitteln. Für die Warteliste und die Zuteilung der Organe durch die Organisation Eurotransplant seien zwei Mitarbeiter verantwortlich. So sei praktisch ausgeschlossen, dass ein Einzelner unentdeckt Akten manipuliere. „Kein Arzt meldet bei uns einen Patienten bei Eurotransplant“, sagt Büchler. Zudem werde streng getrennt zwischen den Chirurgen und den übrigen Medizinern im Team. Für die Entscheidung, ob eine Dialyse notwendig ist, ist in Heidelberg zum Beispiel das Nierenzentrum zuständig. In Göttingen soll ein Leberspezialist darüber befunden und so die Krankendaten seiner Patienten verfälscht haben. „Wir werden bei Leberpatienten häufig gerufen, um eine Dialyse zu vermeiden“, sagt Büchlers Vertreter Christian Morath. „Wir sind daran interessiert, den Patienten anderweitig zu helfen und sie möglichst lange von der Blutwäsche wegzuhalten, weil das Risiko besteht, dass sie daran hängenbleiben.“

„Grundsätzlich werden bei allen zugewiesenen Patienten zunächst die – oft zahlreichen – Nebenerkrankungen von Internisten, Chirurgen und den weiteren Fachdisziplinen abgeklärt“, erläutert der Leiter der Sektion für Leberchirurgie, Peter Schemmer. Danach würden die Patienten mit ihren Krankendaten an Eurotransplant gemeldet und dort nach den geltenden Regeln auf die Warteliste genommen.

Bei der Koordination einer Transplantation sei das Vieraugenprinzip, das jetzt von einigen Politikern gefordert wird, in Heidelberg von jeher gewährleistet gewesen, sagt Büchler. „Wo alles in einer Hand liegt, kann es sein, dass einer alles bestimmt.“ In einem großen Zentrum sei der medizinische Aufwand allerdings so enorm, dass man die nötigen Arbeiten nicht allein bewältigen könne. Dort sei Teamarbeit nötig – „und im Team kann man nicht viel manipulieren“, sagt der Klinikchef. Wenn ein Chirurg wie in Göttingen in einem Jahr die Zahl der Transplantationen von 9 auf 40 steigere, sei es hingegen vorstellbar, „dass einer allein es macht“.

Bonuszahlungen gehören nicht ins Gesundheitssystem

„Man muss sagen: Manipulationen sind möglich“, hält Büchler fest. Die Motive dafür seien offensichtlich die, mehr Geld zu verdienen, mehr Ruhm und Anerkennung zu erlangen – und „positive Schlagzeilen für das eigene Transplantationszentrum zu bekommen“. Auch deshalb sei es sinnvoll, Pflegekräfte stark in das Team einzubinden und sie für die Transplantationskoordination einzusetzen, erläutert der Arzt: „Sie haben wenig von Ruhm und Ehre und sind von daher völlig unverdächtig.“ Schützen könne man sich zudem, indem man – wie es in Heidelberg üblich ist – bei der Anmeldung eines Patienten alle Originaldokumente und Daten kopiert und aufbewahrt. „Diese Unterlagen haben wir immer griffbereit“, versichert Büchler. Bisher wird das Transplantationszentrum allerdings nur stichprobenartig kontrolliert. Grundsätzlich, so fordert es auch der Direktor der Heidelberger Anästhesie, Eike Martin, sollte „sehr viel mehr“ in Kontrollen investiert werden als bisher. Eurotransplant müsse künftig strenger prüfen.

In den Zentren dürfe es „auf keinen Fall Verträge für Ärzte geben, bei denen die Steigerung der Transplantationszahlen zu mehr Einkommen führt“, sagt Büchler. In Heidelberg, versichern die dortigen Chefs, habe es solche Verträge – wie in Göttingen und andernorts offenbar inzwischen durchaus üblich – nie gegeben. „Wir bekommen hier keine Bonuszahlungen für mehr Transplantationen“, sagt Büchler. Leistungsorientierte Verträge könnten sinnvoll sein, „wenn bei VW mehr Autos vom Band rollen“, meint er. „Im Gesundheitswesen sind sie gefährlich und ein Unfug. Solche falschen Anreize müssen raus aus dem System. Da muss es um Qualität gehen, nicht um Quantität“. Der verdächtigte Oberarzt des Uniklinikums Göttingen hatte einen Arbeitsvertrag mit einer Leistungskomponente. Der Klinikvorstand hat als Konsequenz aus der Affäre solche Zahlungen grundsätzlich gestoppt.