Zweimal im Jahr werden auf dem Pragfriedhof Kinder bestattet, die noch kein Leben hatten. In der letzten Aprilwoche ist die erste Trauerfeier für die Kleinsten der Kleinen in diesem Jahr. Oft sind mehr als 100 Menschen dabei.

Stuttgart - Bunte Windräder drehen sich. Teddybären sitzen auf dem Boden im Gras. Obwohl der Bereich auf dem Pragfriedhof etwas Fröhliches hat, ist er ein Ort der Trauer: Auf Handteller großen Steinen stehen Namen von Kindern, die nie mit Namen gerufen wurden. Die dort bestatteten Jungen und Mädchen sind nicht zum Leben geboren worden. Es sind „Sternenkinder“- fehlgeborene Kinder und solche, deren Eltern die schwere Entscheidung für einem Schwangerschaftsabbruch getroffen haben.

 

Als Erinnerung bleiben Abdrücke von Händen und Füßen

Damit die Eltern einen Ort zum Abschiednehmen haben, wurde auf dem Pragfriedhof 2001 ein Grabfeld angelegt, in dem die Kleinsten der Kleinen beigesetzt werden. Früher wurden die unter 500 Gramm leichten Sternenkinder mit dem Klinikabfall entsorgt. „Das war ein unhaltbarer Zustand“, sagt die evangelische Pfarrerin Annette Keimburg und schüttelt den Kopf. Sie ist Klinikseelsorgerin am Marienhospital und gestaltet mit ihrer katholischen Kollegin Christine Kaier, Pastoralreferentin und Seelsorgerin an der Frauenklinik des städtischen Klinikums, zwei Mal im Jahr die Bestattung der Kleinsten auf dem Pragfriedhof. Zu deren würdiger Beisetzung sind die Kliniken und Praxen gesetzlich verpflichtet. Kinder, die 500 Gramm und mehr wiegen, müssen in Baden-Württemberg von den Eltern bestattet werden. Vielen Müttern und Vätern falle das emotional, aber auch finanziell sehr schwer. Letzteres, weil das mit hohen Kosten verbunden sei, wie die Seelsorgerinnen aus ihren Gesprächen mit Betroffenen wissen.

Am kommenden Mittwoch gestalten Kaier und Keimburg die erste Abschiedsfeier für die Kleinen der Kleinsten in diesem Jahr. In drei bis vier Urnen wird die Asche von etwa 100 Kindern aus den Geburtskliniken in Stuttgart und dem Rems-Murr-Kreis zu Grabe getragen. Wie viele Kinder es genau sein werden, wissen sie nicht. „Allein aus der städtischen Frauenklinik sind es etwa 40“, sagt Kaier.

Die Einladung zu der Abschiedsfeier erhalten die Eltern von den Kliniken und Arztpraxen. Die meisten kommen. „Oft sind mehr als hundert Menschen dabei: Elternpaare, Geschwister, Großeltern, aber auch Mütter ohne Begleitung“, sagt Keimburg. Bei den Bestattungen halten die Trauernden brennende Kerzen in der Hand. Die hellen Tönen der Querflöte, die vom leisesten Luftzug davon getragen werden, untermalen die am Grab gesungen Lieder. Die Trauerfeier auf dem Pragfriedhof ist nur eine von vielen Phasen des Abschiednehmens. Das beginnt bereits mit dem Wissen, dass das Kind nicht lebend auf die Welt kommen wird. In den Kliniken können die Eltern ihr totes Kind sehen. Es werden Abdrücke von Füßen und Händen des kleinen Wesens genommen. „Manche Eltern wollen das zunächst nicht, überlegen es sich Wochen später dann aber anders. Deshalb werden die Abdrücke aufbewahrt“, sagt Keimburg.

Auch Jahre nach dem Verlust liegen Blumen auf den Gräbern

Bis zu dem Zeitpunkt, an dem sie erfahren, dass ihr Kind nicht leben wird, haben die Eltern in Gedanken bereits mit ihm gelebt, sich überlegt, wie es heißen und wie es nach der Geburt betreut werden soll. Sie haben sich auf den Familienzuwachs gefreut. Und plötzlich, von einem Tag auf den anderen, ist alles vorbei. „Das ist für viele ein Schock“, stellt Kaier fest. Im Freundes- und Bekanntenkreis, so ihre Beobachtung, ist oft bereits nach zwei Wochen kein Platz mehr für die Trauer, da das Ungeborene nicht wahrgenommen wurde. „Die Schwangerschaft hat ja noch keiner gesehen“, sagt Keimburg. Nach dem Verlust dauert es oft noch Wochen bis zur Bestattung auf dem Pragfriedhof. „Doch dort bekommt die Trauer nochmals Raum. Die Eltern spüren in der Gemeinschaft, dass sie nicht allein in ihrem Schicksal sind“, ist Kaier überzeugt. Die Trauerphase ist bei den Betroffenen unterschiedlich lang, kann sich über Jahre hinziehen und ganz plötzlich aufbrechen, wenn sie ein Kind sehen, das im einem Alter ist, indem das eigene jetzt wäre.

Wie wichtig der Abschied auf dem Pragfriedhof für die Eltern ist, beweisen die vielen Blumen und Gebinde, die auf den kleinen Gräbern liegen. Selbst Jahre nach dem Verlust liegen frische Blumen auf den Gräbern und werden die Grabstellen von den Angehörigen noch gepflegt. Keimburg: „Die Väter und Mütter wissen auch genau, in welcher Ecke des kleinen Grabes die Urne mit ihrem Kind liegt.“

Die nächste ökumenische Abschiedsfeier von den Kleinsten der Kleinen auf dem Pragfriedhof ist am Mittwoch, 26. April. Sie beginnt um 15 Uhr an der großen Treppe vor der oberen Feierhalle.