Von der Therapieausbildung im Nordirak profitieren Ost und West, sagt Jan Ilhan Kizilhan, der Initiator des neuen Studiengangs für Psychotherapie in Dohuk im Interview.

Stuttgart – - Herr Kizilhan, im Nordirak gibt es bislang keine Ausbildung von Psychotherapeuten. Wie lässt sich eine westliche Therapie in eine andere Kultur übertragen?
Unsere westliche Psychiatrie und Psychotherapie ist natürlich geprägt von westlichen Werten. In Zeiten der Globalisierung werden wir aber auch mit Patienten und Krankheitsbildern konfrontiert, die vor einem anderen kulturellen Hintergrund betrachtet werden müssen. Das Handwerkszeug, das wir in Europa nutzen, ist auch im Irak mit Berücksichtigung kultureller und religiöser Gegebenheiten einsetzbar und sehr effektiv. Denn auch international ist eine Depression eine Depression, und die Symptome sind die gleichen: Antriebslosigkeit, Schlafstörungen, Konzentrationsprobleme.
Was bedeutet das für die Ausbildung?
Generell sind psychische Erkrankungen immer vor dem Hintergrund einer gewachsenen Kultur zu sehen. Was wir fühlen, wie wir denken und handeln, ist geprägt von unseren kulturellen Werten, die seit einigen Tausend Jahren gewachsen sind. Wir gehen den Weg einer Adaption einer kultursensiblen Psychotherapie. Dabei werden auch wir viel von den Studierenden, Patienten und der Kultur lernen, was wir für die Behandlung von Flüchtlingen und Migranten in Deutschland gut nutzen können.
Wo werden die Therapeuten künftig eingesetzt?
Die Schulungen finden in Blöcken statt. In der Zeit dazwischen werden die Studierenden, die ja bereits einen Bachelor in Psychotherapie haben und schon traumatisierte Menschen betreut haben, in Flüchtlingscamps, Krankenhäusern oder Zentren für Überlebende eingesetzt. Zwei Mitarbeiter werden die Studierenden betreuen und beraten. Alle zwei Wochen werden wir über Skype selbst Supervisionen mit ihnen durchführen.
Welche Unterstützung gibt es vonseiten der irakischen Regierung?
Wir erhalten von der kurdischen Regionalregierung, vor allem den Ministerien für Gesundheit und für höhere Schulbildung, Unterstützung. So ist das neue Institut als eine eigenständige Fakultät im Lehrbetrieb anerkannt. Die Universität Dohuk unterstützt uns mit der Infrastruktur, Gebäuden und einigen Dozenten aus der medizinischen Fakultät. Auch das Gesundheitsdirektorat Dohuk beteiligt sich.
Die Studenten gehören verschiedenen Religionen an – eine Fluchtursache ist auch Streit zwischen Religionen. Welche Rolle spielt das im Studium?
Die Studierenden werden sich unter unserer Anleitung mit ihren eigenen Vorurteilen, Ausgrenzungen, innerpsychischen Konflikten auseinandersetzen, damit sie mit schwierigen Erlebnissen ihrer Patienten umgehen können. Und sie werden Menschen unabhängig von ihrem Hintergrund behandeln. Sie werden dann in der Lage sein, ihre Patienten nicht nur psychisch, sondern auch gesellschaftlich zu stabilisieren, damit diese friedlich miteinander leben können. Das ist aus meiner Sicht ein wichtiger Beitrag zum Aufbau der Zivilgesellschaft in einer Nachkriegssituation und zur Toleranzerziehung. Diese Traumahilfe ist unmittelbar Friedensarbeit.
Sie haben in Flüchtlingslagern als Traumatherapeut gearbeitet. Was ist aus Ihrer Erfahrung besonders wichtig für Betroffene?
Die Flüchtlinge brauchen professionelle Therapeuten, die ihnen zuhören, ihre Symptomatik gut einschätzen und ihnen Techniken beibringen, mit ihren Albträumen, Ängsten, Anspannungen, Panikattacken, mit Zukunfts- und Perspektivlosigkeit umzugehen. Hierzu ist eine regelmäßige Betreuung und Behandlung notwendig. Das gilt auch für Kinder, die schlimme Dinge beobachtet oder erlebt haben. Gerade sie brauchen eine neuen Orientierung, Stabilität und Sicherheit, die unter anderem durch traumapädagogische Ansätze erreicht werden.

Das Gespräch führte Maria Wetzel.