Flüchtlinge kommen zum Teil schwer traumatisiert nach Stuttgart. Ein Projekt versucht, die Betroffenen zu stabilisieren. Zwei Teilnehmer erzählen, was sie belastet.

Familie/Bildung/Soziales: Viola Volland (vv)

Stuttgart - Es ist noch gar nicht lange her, da dachte Kazam K., er würde verrückt. Ihn plagten Nervosität und starke Kopfschmerzen. „Ich konnte mich nicht mehr ertragen, und ich konnte andere nicht mehr ertragen“, erzählt der pakistanische Flüchtling, der sich mit zwei anderen Männern ein Zimmer in einer Stuttgarter Flüchtlingsunterkunft teilt.

 

Eine traumatische Gewalterfahrung in seiner Heimat – sie war der Auslöser für seine Flucht – lässt Kazam K. nicht los. Er bekommt einfach die Bilder von Tod und Verderben nicht aus seinem Kopf. Einmal sei es sogar so schlimm gewesen, dass er sich selbst gegen den Schädel schlug – „um diesen Kopf loszuwerden“, so der 31-Jährige. Allah müsse ihn beschützt haben, dass er sich nicht ernsthaft verletzte. Im Herbst 2010 verließ Kazam K. seine Familie in Pakistan. „Ich habe meinen jüngsten Sohn nie gesehen. Das quält mich“, sagt K. leise, der Blick geht ins Leere.

Omid heißt übersetzt Hoffnung

Eine Sozialarbeiterin hat Kazam K. in die Beratung von Norbert Häberlin geschickt, der einmal pro Woche in die Flüchtlingsunterkunft kommt. Seit Oktober 2014 gibt es das Projekt Omid der Caritas, bei dem der auf Psychotraumatologie spezialisierte Lehrer für Pflegeberufe arbeitet. Häberlin betreut zwei von vier Flüchtlingsunterkünften, in denen das Projekt läuft – finanziert über Mittel der Diözese und des Caritasverbands, wissenschaftlich begleitet vom Traumaexperten Jan Ilhan Kizilhan von der Dualen Hochschule Villingen-Schwenningen. Omid heißt auf Persisch Hoffnung. Das Projekt soll frühe Hilfen bieten, indem es dort wirkt, wo die Flüchtlinge leben. Allerdings beschränkt sich das Angebot auf von der Caritas betreute Heime. „Was ich mache, ist keine Therapie, sondern Stabilisierung“, betont Norbert Häberlin den Unterschied zu den psychologischen Beratungsstellen für Flüchtlinge, PBV und Refugio. Weil der Bedarf an Therapieangeboten sehr groß ist, gibt es Wartelisten. Im Schnitt erhalten Flüchtlinge nach neun Monaten einen Therapieplatz.

„Die Flüchtlinge bestimmen, worüber wir sprechen“, sagt Norbert Häberlin. Der 53-Jährige passt mit seiner Biografie perfekt zu seiner Aufgabe: Er hat schon Erdbeben-, Tsunami- und Bürgerkriegsopfer betreut, war unter anderem im Kongo, in Pakistan und in Burundi im Einsatz. Entsprechend gut kann er sich in die traumatisierten Menschen hineinversetzen. In der Unterkunft in der Tunzhoferstraße hat er ein Büro. Befindet er sich nicht im vertraulichen Gespräch, steht die Tür offen. Seit Oktober hat Norbert Häberlin mit 36 Flüchtlingen gesprochen: mit manchen sogar 20-mal, sechs hat er an Psychologen vermittelt, die zu dem Projekt gehören. Sexsklavinnen sind zu ihm gekommen, Folteropfer, Menschen, die ihre Fluchterfahrungen schlimm traumatisiert haben.

Familie in Afghanistan ist vom Tod bedroht

Den Klienten helfen die wöchentlichen Termine, die sie meistens mit einem Dolmetscher bestreiten. „Die Sitzungen bringen mir Erleichterung. Das gute Gefühl hält zwei bis drei Tage an“, sagt Kazam K., der auch mit seinem Fluchterlebnis zu kämpfen hat. Nur sechs Stunden müssten sie durchhalten, hätten die Schlepper gesagt. Stattdessen seien es 60 Stunden gewesen. Dass er in Stuttgart beengt lebt, stört ihn nicht: „Wenn ein Mensch von innen erschöpft ist, macht es nichts, ob er in einem Palast lebt oder in einem Zimmer“, sagt er.

Auch Muhamad R. tun die wöchentlichen Sitzungen mit Häberlin gut. Doch sie änderten nichts an seinem Problem. Sein Name ist geändert, weil seine Familie in Afghanistan vom Tod bedroht ist. Muhamad ist vor zwei Monaten nach Deutschland gekommen. Er teilt sich mit seinen zwei Töchtern ein Zimmer in der Flüchtlingsunterkunft. Im Alltag stellt das eine Belastung dar, ist das doch in seiner Kultur tabu.

Söhne dürfen den Raum nicht verlassen

Doch das ist es nicht, was ihn so stark aus der Bahn wirft, dass er Hilfe benötigt. Muhamad R. hat in seinem Heimatland eine Aufgabe übernommen, die weder er noch Norbert Häberlin genauer benennen wollen. Sie habe aber dazu geführt, dass sein Leben bis heute in Gefahr sei. Der Familienrat habe beschlossen, dass er mit den Töchtern flüchten sollte, die Ehefrau und die beiden Söhne nicht. Für alle hätte das Geld nicht gereicht. Die Zurückgebliebenen lebten versteckt bei Verwandten in Kabul. „Dort dürfen sie das Haus nicht verlassen“, sagt Muhamad R. Falls man sie entdecken würde, wäre das ihr sicherer Tod. Der Gedanke an seine eingeschlossenen Söhne und seine Frau, die psychisch zugrunde gehen, macht den Mann völlig fertig. „Meine Söhne sind gefangen, Tag und Nacht, ich habe solch eine Angst“, seufzt der 43-Jährige. Dass es aber jemanden gebe, der hier für ihn da sei und sich erkundige, sei sehr kostbar für ihn, sagt Muhamad R.