Fast ein Drittel der Hauptschulen in Baden-Württemberg kann keine fünfte Klasse mehr bilden. Die Regierung kündigt für Mai das Konzept zur regionalen Schulentwicklung an. Dann wird klar, welche Schulen eine Zukunft haben.

Stuttgart - Mehr als ein Drittel der Haupt- und Werkrealschulen im Land stehen auf der Kippe. Von 862 Standorten haben 126 in diesem Schuljahr keine Anmeldungen für die fünfte Klasse gehabt, 223 weitere zählen nicht mehr als 15 Fünftklässler. Als Mindestgröße gilt eine Schülerzahl von 16. Im kommenden Schuljahr müssen die Hauptschulen mit einem erneuten Minus von 4,3 Prozentpunkten rechnen. Das sagte der Kultusminister Andreas Stoch (SPD) am Montag bei der Präsentation der Anmeldezahlen für die weiterführenden Schulen. Vor wenigen Jahren gab es im Land noch 1250 Hauptschulen.

 

Die Entwicklung macht nach Stochs Einschätzung ein Konzept zur regionalen Schulentwicklung noch dringender. „Wenn wir nichts tun, wäre der gesamte ländliche Raum der Verlierer“, sagte Stoch. Er kündigte für Mai ein Konzept dazu an, welche Schulen dauerhaft bestehen können und welche nicht. Zunächst verhandelt das Ministerium aber noch mit den Kommunen.

Dabei geht es vor allem um Mindestgrößen für die Schulen. Stoch betonte, unter pädagogischen Gesichtspunkten sei es nicht sinnvoll, kleine Schulen zu erhalten. „Wir wollen Schulen, die stabil zweizügig sind.“ Da seien 40 Schüler pro Jahrgang eine sinnvolle Größe. Dieses Ziel wolle man nicht aus den Augen verlieren, sagte Stoch, auch wenn man die Ausnahmen im Blick habe. Das könnte vor allem die Erreichbarkeit sein.

Mehr Schüler als erwartet

Hochrechnungen auf Schülerzahlen haben allerdings ihre Tücken. So hatte die Statistik für das laufende Schuljahr einen Schülerrückgang um 51 000 vorhergesagt. Tatsächlich besuchen laut Stoch 39 000 Schüler weniger die Schulen des Landes. Das liege auch an neuen Angeboten wie der Aufstockung der Plätze an beruflichen Gymnasien. In den nächsten Wochen will das Statistische Landesamt neue Erhebungen vorlegen. Von den Zahlen hängt der Bedarf an Lehrern ab. Bis 2020 soll das Ministerium 11 600 Lehrerstellen einsparen. Der Kultusminister will die Vorgaben jedes Jahr überprüfen lassen.

Die Gymnasien verzeichnen mit 1,3 Prozent ein leichtes Plus bei den Anmeldungen, für die Realschulen entschieden sich 1,5 Prozent weniger. Positiv kommen die neuen Gemeinschaftsschulen an, findet das Kultusministerium. Die Eltern würden der neuen Schulart großes Vertrauen schenken. Stoch verzeichnet generell eine Tendenz zu höheren Schulabschlüssen. Das sei pädagogisch nicht immer sinnvoll, wird aber auf die neue Form der Grundschulempfehlung zurückgeführt, die den Eltern die Entscheidung über die Schulwahl überlässt. Zahlen über gescheiterte Wechsel gibt es nicht. Stoch führt Einzelfälle an, in denen Schüler auf eine andere Schulart wechselten, ein abgerundetes Bild liege aber noch nicht vor.

GEW mahnt Schulentwicklungsplan an

Der Verband Bildung und Erziehung VBE warnt bereits davor, die Standards abzusenken, sollten zu viele Schüler ihre gewünschte Schullaufbahn abbrechen müssen. Die neue Form der Beratung durch die Lehrer bewerteten die Eltern überwiegend positiv. Das belegt eine Umfrage des Ministeriums unter den Staatlichen Schulämtern. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft GEW erwartet dringend ein Konzept zur regionalen Schulentwicklung. Dazu seien klare Vorgaben und mutige Landtagsabgeordnete nötig, die die Entscheidungen in ihren Wahlkreisen vertreten, erklärte die GEW-Vorsitzende Doro Moritz. Realschulen und Gymnasien bräuchten mehr Unterstützung. Die Hauptschullehrer müssten Klarheit bekommen, was aus ihnen werde, wenn ihre Schulen geschlossen würden.

Für die CDU zieht Thomas Bareiß, der Vorsitzende des Bezirks Württemberg-Hohenzollern eine „fatale“ Bilanz der grün-roten Bildungspolitik. Die Hauptschulen würden ausbluten, Gymnasien und Realschulen stünden im Regen, das Bildungsniveau könne nicht gehalten werden. Für die FDP hält Timm Kern dem Kultusminister vor, Grün-Rot habe das demografische Problem vieler Kommunen durch die Abschaffung der Grundschulempfehlung und durch die Einführung der Gemeinschaftsschule verschärft. Angesichts der hohen Nachfrage nach den Gymnasien verlangt der Industrie- und Handelskammertag, dass über Perspektiven der beruflichen Ausbildung besser informiert wird.

Anmeldungen im Einzelnen

Die Mehrheit der Kinder sollen nach dem Willen ihrer Eltern auf das Gymnasium. 38 338 Viertklässler wurden auf einem der 378 Gymnasien angemeldet. Das sind 44,5 Prozent des Jahrgangs (Vorjahr: 43,2 Prozent).

Die 429 Realschulen können im kommenden Schuljahr mit 31 629 Neulingen rechnen. Damit wechseln 36,7 Prozent der Viertklässler auf eine Realschule (Vorjahr: 38,2).

5738 Schüler werden im Herbst eine Gemeinschaftsschule besuchen. Das sind 6,7 Prozent des Jahrgangs. Im aktuellen Schuljahr gibt es 1956 Gemeinschaftsschüler an 42 Schulen. Im Herbst gehen 87 Schulen neu an den Start.

12,1 Prozent der Viertklässler oder 10 455 Schüler wurden an einer der 862 Hauptschulen angemeldet. 2011, als es noch die verbindliche Grundschulempfehlung und keine Gemeinschaftsschule gab, waren es 23, 7 Prozent.