Sklaverei, Radikalismus, Computerkriminalität – die Konferenz „Falling Walls“ sucht nach Lösungen für die großen Menschheitsprobleme. Dabei gibt es auch viel Raum für unkonventionelle Denkansätze.

Berlin - Wo liegt die Grenze zwischen Mensch und Mikrobe, wo die zwischen Gesellschaft und Terrorismus und wo die zwischen der analogen und der digitalen Welt? Welche Mauern müssen als Nächstes fallen für weitere wissenschaftliche Durchbrüche? Darüber haben sich am Jahrestag des Mauerfalls in Berlin Wissenschaftler aus aller Welt bei der achten Auflage der „Falling Walls“- Konferenz ausgetauscht. Wir präsentieren die Höhepunkte einer Konferenz, die als Sammelbecken für wissenschaftliche Ideen aus allen Bereichen gilt.

 

Der Name des Haustiers als Passwort

Saddie Creese begrüßt ihre Zuhörer auf ungewöhnliche Weise: „Stellen Sie sich Ihren Nachbarn vor. Sagen Sie ihm den Namen Ihres ersten Haustieres, dann den Ihrer ersten großen Liebe.“ Es ist nicht schwer zu erraten, worauf das hinausläuft: Menschen nutzen unsichere Passwörter – nicht selten die Namen von Haustieren oder Verlobten. Aber die Expertin für Cybersicherheit von der University of Oxford hält sich nicht mit Ratschlägen auf. „Menschen haben Schwächen, wir müssen damit leben“, sagt sie.

Wir können unser digitales Leben aus ihrer Sicht nicht komplett absichern. Hacker und Kriminelle kennen diese Schwächen – und sie sind kreativ, diese auszunutzen. „Cyberkriminalität erreicht den Wert der internationalen Drogengeschäfte“, sagt Creese: ein lukrativer Markt mit Protagonisten, die keine Mühe scheuen für das große Geld. „Die Bürger sollten sich darüber bewusst sein, was mit ihren Daten geschieht, wo sie lagern und was Kriminelle damit machen können.“ Deutlich mehr Energie als bislang sollte die Gesellschaft in den Schutz kritischer Infrastrukturen wie das Energienetz stecken, sagt sie.

Roboter zupfen Unkraut

Es ist eine große Herausforderung für Computer, Bilder und Gegenstände zweifelsfrei zu erkennen. Welche großen Fortschritte das maschinelle Lernen in den vergangenen Jahren gemacht hat, zeigt der Vortrag von Salah Sukkarieh von der University of Sydney: Seine Roboter fahren über landwirtschaftliche Felder und erkennen mittels verschiedenster Sensoren Pflanzen aller Art, zählen automatisch die daran wachsenden Blüten oder Früchte, sie jäten Unkraut und lockern den Boden auf – sachte um die kleinen Salat-Setzlinge herum. „Die Landwirtschaft muss sich jetzt schneller entwickeln als je zuvor, denn es ist eine große Herausforderung, die wachsende Zahl der Menschen weltweit zu ernähren“, sagt Salah. Die Arbeit müsse effizienter werden. Der Landwirt habe dann einen permanenten Echtzeit-Überblick über seine Pflanzen und kann beispielsweise sich anbahnende Krankheiten rechtzeitig erkennen. Ein weiterer Vorteil: Der Agrar-Roboter kann auch in überschwemmten Gebieten arbeiten, in denen ein normaler Traktor aufgrund seines Gewichts im Matsch stecken bleiben würde. Und: Die Technik ist viel günstiger als klassische landwirtschaftliche Fahrzeuge.

Die Mauer der Radikalisierung

Wieso wird ein Mensch zum Terroristen? Wie verläuft Radikalisierung? Mit dieser Frage beschäftigt sich Peter Neumann vom Londoner Kings College. „Terroristen sind nicht verrückt“, rückt er gleich eine beliebte Fehlannahme zurecht. „Und keiner wird über Nacht Terrorist.“

Wie verläuft also der Weg und aus welchen Gründen werden Menschen radikal? Immerhin rund 30 000 Menschen aus aller Welt sind in den Krieg nach Syrien gezogen, darunter 5000 Westeuropäer. „Sie kommen aus der Mitte unserer Gesellschaft“, sagt Neumann. Der Professor für Sicherheitsstudien hat sich mit 750 dieser Europäer näher befasst, Daten aller Art aus dem Netz über sie gesammelt und ausgewertet. Er und sein Team haben mit 150 von ihnen im Fronteinsatz kommuniziert – über Telefonate und Chats sowie in Form persönlicher Besuche. Die Antworten, die er bekommen hat, zeigen vor allem eines: Neben einer entsprechenden Ideologie, die Hassprediger emotional vermitteln, spielen die Gruppenzugehörigkeit und das soziale Umfeld eine Rolle. Viele Kämpfer äußerten, sie hätten sich in der Gesellschaft nicht zu Hause gefühlt oder seien mit Freunden mitgegangen. „Wir müssen die sozialen Verbindungen stärken“, sagt Neumann, „Menschen dürfen sich nicht ausgeschlossen fühlen.“

Wir und unsere Mikroben

Was macht einen Menschen aus? Wer Rob Knight von der University of California zuhört, stellt sich automatisch diese Frage. „In einem Menschen sind 20 000 menschliche Gene“, erklärt er, „und zwei Millionen bis 20 Millionen Gene von Mikroben.“ Demnach besteht der Mensch genetisch bestenfalls zu einem Prozent aus Mensch. 30 Trillionen menschliche Zellen sind in unserem Körper, 39 Trillionen Zellen von Mikroben. Über die Rolle dieser winzigen Einzeller ist noch erstaunlich wenig bekannt. Dabei haben sie einen enormen Einfluss auf unsere Gesundheit. Knight und seine Kollegen untersuchen diese. Für die Auswertung der Datenmassen haben sie sich mit Informatikern zusammengetan. Knight erhofft sich, neue Behandlungsmethoden etwa gegen Allergien oder Asthma zu finden. Denn die Forscher finden teils erstaunliche Zusammenhänge: Etwa eine starke Korrelation zwischen der Häufigkeit von Antibiotika-Verordnungen in einer Region und des dortigen Vorkommens von Übergewicht. Was die Frage aufwirft: Töten Antibiotika Mikroben, die wir für einen gesunden Stoffwechsel brauchen? Einfach sind solche Fragen nicht zu beantworten: „Jeder Mensch hat seine eigene Zusammensetzung an Mikroben.“ Was dem einen hilft, hilft dem Nächsten noch lange nicht.

Moderne Sklaverei

Wer glaubt, die Sklaverei gehöre der Vergangenheit an, irrt nach Ansicht von Kevin Bales von der University of Nottingham: 46 Millionen Sklaven macht der Professor für zeitgenössische Sklaverei weltweit aus – von Kindern, die ihren Eltern für wenig Geld abgekauft werden, bis zu afrikanischen Minenarbeitern, die dort nicht freiwillig sind. „Sklaven sind billig geworden“, sagt Bales. Deshalb zählt ihr Leben wenig: „Wenn sie verletzt sind oder nicht gut genug arbeiten, wirft man sie weg wie Müll.“

Neben moralischen gibt es aber auch ökonomische Gründe, diese Zustände zu ändern: „Bei diesen illegalen Aktivitäten wird häufig die Umwelt zerstört“, so Bales. Er zeigt Fotos von einem Wald in Bangladesch, den Sklaven roden mussten, um dort eine Fischtrocknung aufzubauen, und von gerodeten Regenwäldern, deren Holz zu Kohle für die brasilianische Stahlindustrie verarbeitet wurde. „Wäre die Sklaverei ein Land, wäre es der drittgrößte CO2-Produzent der Welt“, rechnet Bales vor. Würde die Befreiung jedes Sklaven 500 Dollar kosten, könnte man alle Sklaven der Welt für 23 Milliarden Dollar befreien. „Das ist keine enorme Summe für ein globales Projekt“, sagt Bales. Würden diese Sklaven dann den Wald wieder aufforsten, den sie gezwungen wurden zu zerstören, könnte das 48,5 Milliarden Dollar in Form von Klimazertifikaten einbringen, die weiterverkauft werden könnten.

Preisgekrönte Ideen junger Forscher

Wettbewerb Im Vorfeld der Konferenz fand das „Falling Walls Lab“ statt, bei dem junge Wissenschaftler ihre Visionen präsentierten. 100 Finalisten aus 55 Ländern bekamen je drei Minuten Zeit, um ihre Ideen vorzustellen. Die Vortragenden waren aus 2400 Vorschlägen ausgewählt worden. Es gab drei Gewinner:

Energie Nouf Al Jabri aus Saudi-Arabien präsentierte eine Methode, mit der aus Plastikmüll Treibstoff hergestellt werden kann. Der Clou: Es wird nur wenig Hitze dafür benötigt, was dem Verfahren eine sehr gute CO2-Bilanz beschert.

Nano-Roboter Maxim Nikitin vom Moscow Institute of Physics zeigte, dass es in Zukunft möglich sein wird, Roboter derart zu verkleinern, dass sie ein Tausendstel des Durchmessers eines menschlichen Haares haben. Solche Roboter könnten Medikamente im Körper an die richtige Stelle transportieren.

Kaffee Dang Huyen Chau von der Universität Dresden hat sich mit Kaffee beschäftigt – ihr Heimatland Vietnam ist einer der größten Kaffeeproduzenten. Für ihre Methode, mit der sie alten Kaffeesatz zu Brennstoffpellets presst, die mehr Energie enthalten als klassische Holzkohle, erhielt sie den ersten Preis.