Unter einer Trennung leiden Jungen mehr als Mädchen. Mehr männliche Vorbilder in Schulen und bessere Beratungsangebote für Väter könnten Trennungsprobleme lindern, meinen Wissenschaftler.

Stuttgart - Was bedeutet eine Scheidung oder Trennung für Väter und Kinder? Sind Jungen verletzlicher als Mädchen? Wie geht es den vielen vaterlos aufwachsenden Söhnen, wie ihren oft unfreiwillig kinderlos gewordenen Vätern? Zur Beantwortung dieser Fragen trafen sich Wissenschaftler am Wochenende zum dritten „Männerkongress“ an der Universität Düsseldorf. Das Klinische Institut für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie des Uniklinikums hatte die Veranstaltung vor drei Jahren aus der Taufe gehoben und damit erstmals in Deutschland einen sichtbaren Kontrapunkt zur bis dato feministisch geprägten Debatte gesetzt.

 

Die gesellschaftliche Relevanz des diesjährigen Themas führte der Historiker Martin Dinges, stellvertretender Leiter des Instituts für Geschichte der Medizin der Robert-Bosch-Stiftung in Stuttgart, vor Augen: „1970 wurden 15 Prozent der Ehen geschieden. Heute wird jede zweite Ehe geschieden, und zur Hälfte sind Kinder betroffen.“ Negativ wirke sich eine Trennung vor allem auf Jungen aus, weil sie später reifen als Mädchen und der Großteil von ihnen vaterlos bei den Müttern aufwächst.

Dies bestätigte der Düsseldorfer Psychotherapeut Matthias Franz: „Trennungsbedingte Risiken scheinen für Jungen besonders hoch zu sein. Die Abwesenheit des Vaters hat lebenslange Folgen für die Gesundheit und den sozialen Erfolg der Kinder.“ Jungen hätten in den ersten sechs Lebensjahren eine komplexere, störanfälligere Identitätsentwicklung mit schwierigerer Sozialisation. Franz nannte eine Reihe Studien, die in diese Richtung deuteten. So zeigte die Düsseldorfer Alleinerziehendenstudie an gut 5000 Kindern bei der Schuleingangsuntersuchung, dass mehr als 20 Prozent der Jungen aus Einelternfamilien ein Problemverhalten aufwiesen, bei den Mädchen waren es „nur“ 17 Prozent.

In der Basler Kindergartenstudie an 111 Jungen agierten die Scheidungskinder im Alter von fünf Jahren eher hyperaktiv, hatten ein negatives Elternbild.

Eine kanadische Studie ermittelte für Scheidungskinder, vor allem Jungen, eine doppelt so hohe Verschreibungsrate von Methylphenidat wie für Kinder aus intakten Familien. Dieses Mittel bekommen Kinder, die an einer Aufmerksamkeitsdefizitstörung leiden. Eine erst im August veröffentlichte niederländische Studie an über 1000 Scheidungskindern unter elf Jahren nährt zudem den Verdacht, es gibt bei manchen Jungen offenbar eine besondere genetische Disposition, bedingt durch einen bestimmten Dopaminrezeptor, der sie auf die Trennung der Eltern besonders heftig reagieren lässt.

Die meisten Kinder bleiben bei der Mutter

Da zwei Drittel der Trennungskinder Einzelkinder sind und obendrein mit der Mutter allein aufwachsen, fehlen hier nicht nur Geschwister „zur Abpufferung der Probleme“, sondern auch „die geschlechtliche Identität des Vaters“, erklärte der Historiker Dinges. Die Folge: Jungen orientieren sich stärker an der Werbung und seien markenbewusster als Mädchen.

Es sei aber auch Vorsicht geboten bei Anprangerung der modernen „vaterlosen Gesellschaft“, warnte Dinges. Schließlich seien Väter in früheren Zeiten berufsbedingt auch oft nicht präsent gewesen. Analysen zeigten, dass sowohl Mädchen wie Jungen Vertrautes lieber mit den Müttern besprächen, auch in intakten Familien. Während sich Jugendliche zwischen 1950 bis 1995 aber „weniger Vorbilder“ gewünscht hätten, sei heute der Ruf nach „mehr Vorbildern“ da. „Vor allem Jungen suchen Vorbilder, und sie finden sie meist nur im Sport“, sagt Dinges. Der Sport sei für Jungen die Hauptquelle für Jungenfreundschaften, bei Mädchen die Schule.

Letztere mache Jungen sogar zu Verlierern, beklagte der Bremer Geschlechterforscher Gerhard Amendt, weil Jungen dort „diskriminiert werden aufgrund der Feminisierung“. Gerade Jungen, die allein bei ihren Müttern lebten, entbehrten damit doppelt männliche Vorbilder: daheim und in der Schule. Tatsächlich unterrichteten an Deutschlands Schulen laut jüngstem Nationalem Bildungsbericht im Jahr 2010 gut 500 000 weibliche Lehrkräfte – und damit doppelt so viele wie männliche. Nicht nur Kitas und Grundschulen sind fest in Frauenhand, auch bei den Gymnasien hat sich das Blatt im vergangenen Jahrzehnt gewandelt: 80 000 Lehrer stehen dort 100 000 Lehrerinnen gegenüber. „Die Feminisierung schlägt auch auf die pädagogischen Inhalte durch. Die Schule ist Kommunikations- statt Bolzplatz geworden“, kritisierte Amendt. „Natürlichen, männlichen Verhaltensweisen wird dort vorgebeugt. Man zwingt die Jungen zu Verhaltensänderungen, die ihnen schaden.“ Dass deutlich mehr Jungen Methylphenidat gegen Verhaltensstörungen verschrieben bekommen als Mädchen, sei deshalb auch kein Wunder.

Und noch etwas monierte der Geschlechterforscher: Sozial schlechtergestellte Väter hätten häufig keine Möglichkeit, sich nach einer Trennung professionelle Hilfe zu holen. Dabei überstehe nur jeder fünfte Geschiedene die Trennung schadlos hinsichtlich seiner körperlichen und seelischen Gesundheit. Höheren Einkommensgruppen gelinge dies besser, weil sie sich Hilfe organisieren können bei Psychologen, Therapeuten oder Anwälten. Väter aus unteren Einkommensgruppen sähen für sich dagegen oft nur den Weg zum Jugendamt, doch dort würden Mütter und Väter „nicht gleich professionell beraten“. Eigene Untersuchungen zeigten, dass Jugendämter vor allem Frauen im Blick hätten. „Gerade in städtischen Gebieten herrscht auffällig oft die Mentalität: Wir sind für Männer nicht zuständig“, berichtete Amendt und forderte deshalb ein flächendeckendes Beratungssystem für Deutschland, das Frauen und Männern in Trennungssituationen gleichermaßen zur Verfügung stehe. „Damals haben wir ja auch ein solches System eingeführt im Rahmen des Paragrafen 218.“ Dabei sei die gesellschaftliche Relevanz des Themas längst nicht so groß wie die der heutigen Trennungsproblematik.

Auch der Düsseldorfer Psychoanalytiker André Karger warnte vor einer „Trennungsverleugnung“ und plädierte für eine angemessene „Trennungskultur“ samt „Trennungsarbeit“. Dazu benötige man „einen Rahmen, in dem alles durchlebt und durchlitten“ werden könne. Denn nur wer sich intensiv mit dem Trennungspartner auseinandersetze und von den „Trennungsgiften“ befreie, könne auch wieder eine neue Beziehung eingehen. Geschehe dies nicht, setze sich der Trennungspartner „wie ein psychischer Fremdkörper“ in einem fest mit der Folge, dass sich Melancholie und Depression ausbreiten. „Das geliebte oder gehasste Objekt lebt wie ein Geist weiter, wenn man sich nicht ernsthaft mit ihm auseinandersetzt.“