Der Bezugspreis in Stuttgart liegt um 30 Prozent über dem Landesdurchschnitt, doch ob das Kartellamt eine Senkung durchsetzen kann, ist offen. Die Verfahren sind langwierig, wie die Beispiele Calw und Berlin zeigen.

Stuttgart - Ist das Stuttgarter Trinkwasser teuer? Wenn man rein statistisch an die Sache herangeht, müsste man die Frage eindeutig bejahen. Denn im Durchschnitt aller Kommunen in Baden-Württemberg zahlte 2013 eine vierköpfige Familie, die 150 Kubikmeter Wasser benötigt, exakt 335,10 Euro im Jahr – eine Stuttgarter Familie dagegen 434,82 Euro (ohne Abwasser). Satte 30 Prozent mehr sind das. Insofern scheint die Position der Landeskartellbehörde, wonach die Energie Baden-Württemberg (EnBW) ihr Trinkwasser in Stuttgart um 30 Prozent zu teuer verkauft, plausibel.

 

Doch die EnBW hat nun bereits mehrfach erklärt, dass die besonderen topografischen Bedingungen in Stuttgart den Betrieb des Wassernetzes erheblich verteuern würden und deshalb die höheren Preise gerechtfertigt seien. Inwieweit diese Argumentation stimmig ist, kann die Öffentlichkeit letztlich nicht prüfen – die EnBW legt ihre Kalkulation nicht offen.

Der EnBW-Sprecher Hans-Jörg Groscurth hat am Dienstag aber zumindest eine allgemeine Rechnung vorgestellt. Danach beträgt der Bezugspreis für das Wasser 25 bis 28 Prozent des Wasserpreises; der Aufwand für Infrastruktur und Transport liege bei 40 bis 45 Prozent. Für die Verwaltung setzt die EnBW sechs bis acht Prozent an; die Konzessionsabgabe an die Stadt Stuttgart beträgt 18 Prozent, die Umsatzsteuer sieben Prozent. Ein Gewinn kommt in dieser Rechnung der EnBW nicht vor.

Preise bewegen sich zwischen 90,82 und 768,24 Euro

Tatsächlich gibt es erhebliche Unterschiede bei den Wasserpreisen in Baden-Württemberg. Da die Grundgebühr der Versorger erheblich variiert, darf man beim Vergleich nicht nur den Kubikmeterpreis betrachten – deshalb wurde hier das Beispiel von 150 Kubikmetern Jahresverbrauch gewählt. Zwischen dem günstigsten Anbieter (Guggenhausen bei Ravensburg) und dem teuersten (Roigheim im Landkreis Heilbronn) liegen sagenhafte 677 Euro Unterschied. Die Stuttgarter Preise rangieren so bei weitem nicht am oberen Ende der Skala; aber schon, wenn man nur die großen Städte betrachtet.

Sieht man sich die historische Entwicklung des Preises an, dann steht die EnBW gar nicht so schlecht da. Die Neckarwerke Stuttgart als öffentliches Vorläufer-Unternehmen der EnBW haben zwischen 1993 und 2003 die Preise für das Trinkwasser um 58 Prozent erhöht; dagegen stieg der Preis in der seitherigen EnBW-Phase von 2003 und 2013 „nur“ um 17 Prozent. Allerdings, das darf man nicht unterschätzen, verlief dieser Anstieg bereits von dem hohen NWS-Niveau aus: Vor dem Verkauf der Aktien an die EnBW im Jahr 2003 kostete das Wasser bereits 2,18 Euro pro Kubikmeter; der Landesschnitt lag bei 1,65 Euro.

In Calw ist auch nach Jahren des Rechtsstreits nichts klar

Die entscheidende Frage ist also nicht, ob das Trinkwasser in Stuttgart teuer ist, sondern ob es zu teuer ist. Das Problem bei der Einschätzung ist, dass man erst seit der Liberalisierung des Energie- und Wassermarktes vor 15 Jahren damit begann, Kriterien zu entwickeln – und viele davon sind höchstrichterlich noch gar nicht bewertet. Frank Lorho, der Sprecher des Stuttgarter Umweltministeriums, räumt deshalb ein, dass es um schwierige rechtliche Fragen gehe, bei der mehr als einmal der Bundesgerichtshof eine andere Einschätzung traf als die zuvor urteilenden Oberlandesgerichte.

So war und ist es auch beim Wasserstreit in Calw. Dort kostet das Wasser eine Familie pro Jahr 497,70 Euro, also nochmals 60 Euro mehr als in Stuttgart. Schon 2011 ist die Landeskartellbehörde dagegen vorgegangen, vor einem Jahr hat das Oberlandesgericht Stuttgart aber tendenziell dem Versorger „Energie Calw“ Recht gegeben – die Kalkulation der Kartellbehörde sei in Teilen nicht nachvollziehbar. Der BGH hat aber eine Berufung zugelassen, und zwar „zur Fortbildung des Rechts“, also genau, um diese grundsätzlichen Fragen zu klären.

Man kann am Calwer Streit ersehen, dass die Fragen nicht nur komplex sind, sondern dass das Verfahren auch sehr langwierig ist. Insofern sollten sich die Stuttgarter nicht zu früh freuen: Ob und wann es zu einer Rückzahlung der EnBW kommt, wie die Landeskartellbehörde es fordert, ist völlig offen. Die EnBW wird mit Sicherheit den Rechtsweg bis zum Ende beschreiten. Den nächsten Schritt, eine Beschwerde beim Oberlandesgericht Stuttgart, hat die EnBW am Dienstag bereits gemacht.

In Berlin hat der Versorger den Preis um 17 Prozent gesenkt

Angesichts des aufwendigen und schwierigen Verfahrens wagt sich die Behörde nur selten an ein Missbrauchsverfahren – Stuttgart ist nach Calw erst das zweite überhaupt in Baden-Württemberg. Völlig aussichtslos ist es aber nicht: Das zeigt das Beispiel Berlin. Dort hat der BGH 2012 eine Preissenkung angeordnet, die im Februar dieses Jahres vom Oberlandesgericht in Düsseldorf bestätigt worden ist. Die Berliner Wasserbetriebe (BWB) haben reagiert; an einer Einigung gab es auch ein politisches Interesse, da der Betrieb im gleichen Zeitraum rekommunalisiert worden ist.

Im Frühjahr beschloss der Aufsichtsrat, für die Jahre 2012 und 2013 Gutschriften auszustellen; im Schnitt erhielt jeder Haushalt 13,50 Euro pro Jahr zurück. Riesige Summen waren das nicht. Gleichzeitig wurde der Wasserpreis vom 1. Januar 2014 an um 17 Prozent gesenkt – unsere Musterfamilie spart dadurch 53,40 Euro im Jahr. Zudem haben sich die BWB verpflichtet, den neuen niedrigeren Preis bis 2018 stabil zu halten. Allerdings, das betonte der Aufsichtsrat im März auch: Die Senkung ginge auf Kosten der öffentlichen Kassen – deren Gewinn sei künftig entsprechend niedriger. Ähnliches gälte natürlich auch für Stuttgart, wenn die Stadt das Wassernetz wie geplant zurückkaufen würde.