Exotische Krankheiten breiten sich in Europa und Deutschland aus, weil sich Stechmücken aus warmen Ländern mittlerweile hier heimisch fühlen. Ärzte müssen auch über Tropenkrankheiten Bescheid wissen, wurde auf dem diesjährigen Stuttgarter Ärztekongress deutlich.

Stuttgart - Vor einigen Jahren konnte man diese Erkrankung noch nicht einmal aussprechen. Bis auf einige wenige Spezialisten kannte kaum jemand die Tropenkrankheit Chikungunya“, sagte Johannes Schäfer, Leiter der tropenmedizinischen Ambulanz des Paul-Lechler-Krankenhauses in Tübingen beim diesjährigen Stuttgarter Ärztekongress auf der Messe. Er sollte für die Besucher in dem gut besuchten Seminar über Infektionskrankheiten einen Blick in die Zukunft wagen: mit welchen Erkrankungen muss man in Zeiten der Globalisierung in Zukunft rechnen? Er sei eigentlich kein Hellseher, merkte der Tropenmediziner an und nannte dennoch einige Erkrankungen, die aus den warmen Ländern der Erde auch nach Europa und Deutschland überschwappen könnten. Sie heißen Dengue-Fieber, West-Nil-Virus-Fieber und eben Chikungunya.

 

„Wir leben im Zeitalter des Anthropozän, im Erdzeitalter des Menschen“, erklärte der Tropenmediziner. Es gebe immer mehr Menschen auf der Welt, Tendenz steigend. Zudem seien noch nie so viele Menschen unterwegs gewesen, sei es auf der Flucht vor Kriegen oder Naturkatastrophen, sei es auf der Suche nach einem besseren Leben. Dabei würden sowohl die noch unbewohnten Winkel der Erde besiedelt, als auch die Millionenstädte immer größer. „Innerhalb weniger Stunden gelangen Menschen und Güter vom einen Ende der Welt an das andere“, so Schäfer. Dabei würden nicht nur Krankheitserreger übertragen, sondern auch deren sogenannte Vektoren, wie etwa Stechmücken. Und aufgrund der Klimaerwärmung fühlen sich beispielsweise Tigermücken auch in Deutschland recht wohl.

Exotische Mücken leben in Pfützen

Exotische Mücken rücken dem Menschen besonders nah auf die Pelle: Sie leben in den Städten, gehen auch tagsüber auf Nahrungssuche. Und zur Eiablage reicht das Wasser in einem Blumenuntersetzer oder in Steckvasen auf dem Friedhof. Sie sind überaus robust und überdauern sowohl Kälte als auch Trockenheit. So konnten die Mücken in Europa eingeschleppt werden und sich vermehren. Hier kommt der globale Handel ins Spiel. Vor allem der interkontinentale Handel mit Altreifen spielt eine große Rolle, erklärte der Stuttgarter Mediziner Markus Müller. „In die Reifen legen Mückenweibchen ihre Eier. Wenn sie dann mit Schiffen irgendwohin transportiert, die Container geöffnet werden, es regnet und Wasserpfützen entstehen, entwickeln sich Mücken zuhauf. So kommen die Mücken nach Italien und werden bei der Rückkehr aus dem Urlaub in Deutschland eingeschleppt“. Auch der Handel mit Zierpflanzen spiele eine Rolle: Über den „Lucky Bamboo“ , den spiralförmig gezüchteten Bambus gelange die Mücke nach Deutschland. „Die Tigermücke ist ein echter Glaobalisierungsgewinner“, fasst Tropenmediziner Schäfer zusammen.

Tigermücken können mehr als zwanzig teilweise tückische Viren auf den Menschen übertragen. Dazu zählt beispielsweise das Virus, das Chikungunya verursacht. Chikungunya heißt der gekrümmt Gehende: Betroffene haben nicht nur hohes Fieber, sondern auch extrem starke Gelenkschmerzen, so dass sie sich kaum noch aufrecht halten können. Hinzu kommen Probleme mit den Augen und Hauterkrankungen, die oft monatelang andauern können. Erstmals registrierte man Ausbrüche der Krankheit in Indien im Jahr 2006. Bereits ein Jahr später trat die Erkrankung in Italien auf, in Frankreich 2010. Drei Jahre später registrierte man erste Fälle in der Karibik und mittlerweile hat sich das Tropenfieber in Mittel- und Südamerika ausgebreitet.

„Auch das Dengue-Fieber breitet sich aufgrund der Globalisierung weiter aus“, berichtete Schäfer. Es werde die Mediziner auch in Europa und Deutschland in Zukunft beschäftigen. Man rechne weltweit mit ähnlich hohen Zahlen wie beispielsweise bei der Malaria. Dengue-Fieber äußert sich ähnlich wie Chikungunya mit dem Unterschied, dass sich die Schmerzen nicht in den Gelenken, sondern in den Muskeln bemerkbar machen. Für beide Erkrankung gibt es weder eine Impfung noch spezifische Medikamente. Normalerweise sind diese Erkrankungen nicht lebensgefährlich, oft jedoch von chronischen Schmerzen geprägt. Allerdings kann eine zweite Infektion mit einem anderen Virenstamm zu einer Überreaktion des Immunsystems führen, die tödlich enden kann.

Exotische Viren breiten sich schnell aus

Auch das West-Nil-Virus wird mittlerweile auf fünf Kontinenten nachgewiesen. In Deutschland tritt das durch dieses Virus ausgelöste West-Nil-Fieber allerdings eher selten auf. Das Virus wird von der hierzulande heimischen Stechmücke Culex übertragen. Doch vermutlich ist aufgrund der klimatischen Bedingungen ein Überleben des Virus in heimischen Mücken noch nicht möglich, da es zur Vermehrung eine höhere durchschnittliche Tagestemperatur benötigt. Bei entsprechenden klimatischen Veränderungen ist jedoch das Auftreten des West-Nil-Virus auch in Deutschland denkbar.

Wie schnell sich derartige Erkrankungen ausbreiten können, zeigte der Tübinger Tropenmediziner Schäfer am Beispiel des Schmallenbergvirus. Dies sei zwar eine Tiererkrankung, doch die rasante Verbreitung sei beispielhaft für Tropenkrankheiten. An diesem Virus erkranken Rinder, Schafe und Ziegen. Es verursacht Fehlgeburten und Missbildungen bei Jungtieren. Das Virus wird durch Mücken übertragen, durch die Gritzen. Im November 2011 ist der Erreger in einem Betrieb im sauerländischen Ort Schmallenberg aufgetreten. Innerhalb eines Jahres hat er sich massenhaft über die gesamte Bundesrepublik ausgebreitet – gestreut durch die Mücken.