Der 48-jährige Trottwar-Verkäufer will in die Festanstellung. Dafür muss er aber jeden Monat mindestens 500 Straßenzeitungen verkaufen.

Obertürkheim - Der kalte Wind treibt ihm die Tränen in die Augen. Immer wieder zieht er das Taschentuch aus der Hosentasche und schnäuzt sich die Nase.

 

„Sind sie auch mal wieder da?“, freut sich eine ältere Dame, als sie den Mann mit dem Schnauzbart und dem freundlichen, rundlichen Gesicht vor dem Supermarkt entdeckt. Sie kauft eine Straßenzeitung, wechselt ein paar Worte mit dem Verkäufer und eilt davon. Denn zum Verweilen lädt der kleine Platz vor dem CAP-Markt in Obertürkheim an diesem Morgen wirklich nicht ein. Es ist schattig und ein kräftiger Wind pfeift um die Häuserecken.

Doch obwohl ihm die letzte Erkältung noch in den Knochen steckt, steht Franz Mayer auch an diesem Dienstagmorgen vor dem Supermarkt und verkauft Straßenzeitungen. Über seiner Winterjacke trägt er das typische Erkennungszeichen der Trottwar-Verkäufer: den roten Latz.

Sie bekommen ein festes Gehalt und sind sozialversichert

Kaum hat er das erste Exemplar verkauft, eilt der 48-Jährige auch schon zu seiner schwarzen Sporttasche, die er am Rand des Platzes abgestellt hat. Er zieht eine neue Zeitung heraus und legt sie zu den anderen auf den Stapel. Denn Franz Mayer arbeitet mit System. Immer genau fünf Zeitungen hält er in der Hand – nicht mehr und nicht weniger. Eine Wäscheklammer verhindert, dass sich der Wind zu sehr an ihnen zu schaffen macht. Er ist eben ein echter Profi auf seinem Gebiet, und deshalb will er jetzt auch befördert werden.

Denn was viele nicht wissen, es gibt Trottwar-Verkäufer, die fest angestellt sind. 16 gibt es bislang im Verbreitungsgebiet von Trottwar, und bald könnte es einer mehr sein. Im Gegensatz zu ihren freiberuflichen Kollegen bekommen sie ein festes Gehalt, sind sozialversichert, haben Anspruch auf Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und auf 30 Tage Urlaub pro Jahr. Das Wichtigste ist aber, dass sie endlich ein Leben ohne Hartz IV führen.

500 Straßenzeitungen muss er dafür jeden Monat verkaufen

Und genau diesen Sprung möchte Franz Mayer in den kommenden Wochen schaffen – vom freiberuflichen Trottwar-Verkäufer zum Festangestellten. 500 Straßenzeitungen muss er dafür jeden Monat verkaufen – mindestens bis Anfang April, denn dann endet quasi seine Probezeit. „Das ist verdammt schwer“, sagt der 48-Jährige, der sich ausgerechnet im kalten Januar dazu entschied, die 500er-Marke zu knacken. „Es ist die schwierigste Zeit“, erklärt auch Joachim Hempel. Trotzdem ist der Chefredakteur der Straßenzeitschrift Trottwar zuversichtlich, dass Franz Mayer es schaffen könnte: „Der Mann ist gut.“

Doch warum hat überhaupt jemand das Ziel, festangestellter Trottwar-Verkäufer zu werden? Mindestens 500 Euro würde Franz Mayer pro Monat verdienen, wenn er die magische Grenze von 500 Exemplaren tatsächlich überwindet. Für einen monatlichen Lohn von 825 Euro müsste er aber schon jeden Monat 750 Straßenzeitungen an den Mann bringen. Und der monatliche Spitzenverdienst von mehr als 1200 Euro steht nur denjenigen zu, die mindestens 1000 Straßenzeitungen verkaufen. Es gibt sicherlich viele Branchen, in denen sich auf leichtere Art und Weise deutlich mehr Geld verdienen lässt.

Doch für Franz Mayer stellt sich diese Wahl zurzeit gar nicht. Die Arbeit als Trottwar-Verkäufer ist für ihn die einzige Chance, überhaupt wieder in eine Festanstellung zu kommen. „Ich komme nicht weiter mit meinen Bewerbungen“, erzählt der Vater einer erwachsenen Tochter. Denn mit knapp 50 nimmt ihn kein Unternehmen mehr so schnell. Hinzu kommt, dass Franz Mayer vor einigen Jahren einen schweren Unfall hatte. Die Spätfolgen des komplizierten Schien- und Wadenbeinbruchs machen die Arbeitssuche nicht unbedingt leichter. Zehn Bewerbungen schreibt der gelernte Maschinenbauer jeden Monat in einem Wangener Internetcafé – bislang jedoch ohne Erfolg.

Und das, obwohl Franz Mayer keine dieser typischen Hartz-IV-Biografien hat. Sein beruflicher Absturz begann erst vor wenigen Jahren. „Bis ich 43 Jahre alt war, habe ich für eine Cannstatter Firma gearbeitet“, erzählt der 48-Jährige. „Als die den Bach runter ging, wurden wir alle entlassen.“ Einige Zeit konnte er sich noch als Leiharbeiter über Wasser halten, dann erst folgte Hartz IV. „Das reicht von hinten bis vorne nicht“, klagt Franz Mayer, der sich endlich wieder ein geregeltes Einkommen wünscht.

Deshalb soll es jetzt die Festanstellung bei Trottwar sein. Und dass er seine Arbeit als Zeitungsverkäufer mit dem nötigen Ernst betreibt, ist nicht zu übersehen. Gerade noch ins Gespräch vertieft, ruft er plötzlich „Kundschaft“ und wendet sich der Passantin zu, die gerade den Platz vor dem CAP-Markt betreten hat. „Hier ist es aber zugig“, meint die Frau, dann kauft sie dem Straßenverkäufer eine seiner Zeitungen ab. Wieder ein kleiner Schritt auf dem Weg zum sicheren Arbeitsplatz.

Bis 13 Uhr wird Franz Mayer an diesem Dienstag noch vor dem Supermarkt in Obertürkheim Trottwar-Zeitungen verkaufen, dann geht es mit Bus weiter nach Heumaden.