Der Finanzminister wird weder in diesem noch im nächsten Jahr neue Schulden aufnehmen – trotz der rasant gestiegenen Zahl der Flüchtlinge. Ob die Nullverschuldung aber auf Dauer zu halten sein wird, ist ungewiss.

Stuttgart - Die Flüchtlingskrise schlägt auf den Landeshaushalt durch: Finanzminister Nils Schmid (SPD) muss in diesem Jahr 200 Millionen Euro und im kommenden Jahr 1,5 Milliarden Euro nachschießen, um die anwachsenden Kosten aufzufangen. Dennoch bleibt es dabei: Im Doppelhaushalt für die Jahr 2015 und 2016 wird die Landesregierung keine zusätzlichen Schulden aufnehmen. Nach 2011 und 2012 kann Finanzminister Schmid also mit der vierten Nettonullverschuldung aufwarten. Der Sozialdemokrat sprach nach der Kabinettssitzung am Dienstag von einem Kraftakt. Ministerpräsident Winfried Kretschmann sagte: „Wir haben gezeigt, dass wir mit dem Steuergeld vernünftig umgehen.“

 

Steuerquellen sprudeln

Tatsächlich aber spielt der Landesregierung die fortlaufend gute Konjunktur in die Hände. Die erfreulichen Steuereinnahmen machen nicht nur die steigenden Kosten für die Unterbringung und Versorgung der Flüchtlinge wett. Sie überdecken auch den erlahmenden Sparwillen von Grün-Rot. Dazu kommt, dass der Finanzminister auf erhebliche Überschüsse und Finanzenreserven aus den Vorjahren zurückgreifen kann. Zudem beteiligt sich künftig der Bund an den Flüchtlingskosten. Er stellt auch 40 Millionen Euro für den sozialen Wohnungsbau zur Verfügung.

Mit dem jetzt beschlossenen zweiten Nachtragshaushalt steigt das Haushaltsvolumen des Landes 2015 auf insgesamt knapp 44 Milliarden Euro. 2016 werden es 46 Milliarden Euro sein. Der Nachtrag enthält eine Reihe von Mehrausgaben. Für die Digitalisierung sind 30 Millionen Euro vorgesehen. Unter anderem fördert das Land Projekte der digital-gestützten Mobilität, zum Beispiel ein Testfeld zum vernetzten und autonomen Fahren. Die Privatschulen erhalten zusätzliches Geld, die Polizei bekommt im kommenden Jahr 200 Anwärter zusätzlich, insgesamt werden 1100 statt 900 junge Polizeibeamte eingestellt. Allerdings ist Innenminister Reinhold Gall (SPD) mit seiner Forderung nach mehr Stellen im Nichtvollzugsdienst noch nicht endgültig durchgedrungen.

Galls Plan: Er will Polizisten von Schreibtischarbeit entlasten, um schnell zusätzliche Kapazitäten für die eigentliche, durch den Flüchtlingszustrom zusätzlich erweiterte Polizeiarbeit zu gewinnen. Am Schreibtisch sollen die Beamten durch Verwaltungskräfte ersetzt werden, die auf dem Arbeitsmarkt – anders als Polizeibeamte – verfügbar sind. 216 Neustellen hat Gall angefordert, doch Regierungschef Kretschmann will erst noch prüfen lassen, ob es so viele sein müssen. Finanzminister Schmid sagte, im Grundsatz sei die Sache beschlossen, ob Gall 216 Stellen bekomme oder 204 oder 180 werde man noch sehen.

Der zweite Nachtragshaushalt soll laut Finanzminister Schmid noch vor Weihnachten vom Landtag beschlossen werden. Regierungschef Kretschmann zeigte sich auf Nachfrage skeptisch, ob die Bundesländer angesichts des Flüchtlingszustroms die vom Grundgesetz geforderte Schuldenbremse einhalten könnten. Er verwies darauf, dass die vom Jahr 2020 an verbindlich geltende Nullverschuldung in Notlagen außer Kraft gesetzt werden dürfe. Klar sei allerdings, dass es für Steuersenkungen keinen Spielraum gebe. „Den Solidaritätszuschlag zurückführen, das geht nicht“, sagte Kretschmann.

Das Kabinett beschloss auch die bereits seit Monaten bekannten Reform der Lebensarbeitszeit der Beamten. Landesbeamte können künftig freiwillig bis 70 arbeiten, wenn der Dienstherr mitmacht. Bisher mussten sie spätestens mit 68 in Pension gehen. Polizisten, die regulär mit 62 in Pension gehen, dürfen bis 65 arbeiten, sofern der Dienstherr zustimmt. Für Feuerwehrleute wiederum endet das Berufsleben wieder mit 60 Jahren – so wie das vor der allgemeinen Anhebung der Altersgrenze schon einmal war. Die Belastungen in dem Beruf seien einfach zu hoch, um länger zu arbeiten, findet Innenminister Gall, der bei der freiwilligen Feuerwehr aktiv ist.