Die Republikaner treiben in den Vereinigten Staaten ihr politisches Vorzeigeprojekt mit Hochdruck voran. Vor allem die Wirtschaft soll massiv entlastet werden. Jetzt soll das Repräsentantenhaus über die große Steuerreform abstimmen.

Washington – Plötzlich muss alles ganz schnell gehen. Zehn Monate lang hat die Partei von US-Präsident Donald Trump kein einziges wichtiges Gesetz durchs Parlament gebracht. Doch nach den Wahlniederlagen der Republikaner bei den Gouverneurswahlen in New Jersey und Virginia bricht im Regierungslager leise Panik aus. Schon an diesem Donnerstag soll das Repräsentantenhaus über die große Steuerreform abstimmen. Vor Weihnachten soll Trump das Vorzeigeprojekt unterzeichnen. „Meine Geldgeber sagen: Schafft das, oder rufe mich nie mehr an!“, hat der New Yorker Abgeordnete Chris Collins die Stimmung beschrieben.

 

Also herrscht Hektik auf den Gängen des Kongresses. Seit Tagen werden Abgeordnete bearbeitet und die Auswirkungen für einzelne Bezirke berechnet. Fast stündlich sickern neue Varianten durch. Das Gerangel dürfte in den Tagen nach dem Thanksgiving-Fest am 23. November seinen Höhepunkt erreichen, da der Finanzausschuss des Senats ein eigenes Konzept erarbeitet hat und sich beide Häuser einigen müssen. Besondere Sprengkraft birgt die Forderung der republikanischen Senatoren, die Steuerreform mit einer De-facto-Zerschlagung des Gesundheitssystems Obamacare zu verbinden.

Im Kern verfolgt die Steuerreform der Republikaner zwei Gedanken: Zum einen soll das System mit seinen zahlreichen Ausnahmen und Schlupflöchern vereinfacht werden. Zum anderen soll die nominale Belastung von Unternehmen auf ein international wettbewerbsfähiges Niveau gesenkt werden. So soll die Körperschaftssteuer von 35 auf 20 Prozent sinken. Zudem soll der Grundfreibetrag bei der Einkommensteuer auf jährlich 24 000 Dollar für Paare verdoppelt und der Kinderfreibetrag erhöht werden. Das ist unumstritten. Die Republikaner im Repräsentantenhaus wollen zudem die bisher sieben Steuerklassen auf vier (mit zwölf, 25 und 35 Prozent sowie einer Millionärssteuer von 39,6 Prozent) vereinfachen. Der Senat möchte hingegen den Eingangssteuersatz bei zehn Prozent belassen und weiter mit sieben Klassen arbeiten, die aber bei 38,5 Prozent für Top-Verdiener enden.

Die Steuersenkung würde ein riesiges Loch in die öffentlichen Kassen reißen

Die drastische Steuersenkung, die zu knapp zwei Drittel den Unternehmen zugute kommen sollen, würden ein riesiges Loch in die öffentlichen Kassen reißen. Mit ihrem Haushaltsentwurf 2018 haben sich die Republikaner den rechtlichen Spielraum für Einnahmeausfälle von 1,5 Billionen Dollar (1,3 Billiarden Euro) in den nächsten zehn Jahren eingeräumt. Doch die drastische Erhöhung der Verschuldung wird von konservativen Fiskalisten abgelehnt. „Wir sind zuversichtlich, dass das 1,5-Billionen-Loch durch Wachstum gefüllt wird“, verkündet daher Senats-Mehrheitsführer Mitch McConnell tapfer.

Doch nur wenige Experten teilen diesen Optimismus. Die konservative Denkfabrik Tax Foundation kommt selbst bei optimistischen Annahmen noch auf eine Finanzierungslücke von 500 Milliarden Dollar. Um dieses Problem zu lösen, sind die Republikaner im Senat auf eine hochbrisante Idee gekommen: Mit einem Zusatzartikel zum Steuergesetz sollen die Strafen für Personen, die sich nicht gegen das Krankheitsrisiko versichern, abgeschafft werden. Damit würde das Herzstück von Obamacare zerschossen. Die Republikaner setzen darauf, dass dann deutlich weniger Menschen eine Police kaufen und die staatliche Förderung in Anspruch nehmen. Damit könnten in zehn Jahren 338 Milliarden Dollar eingespart werden. Die brutale Kehrseite der Medaille: Viele junge und gesunde Amerikaner dürften auf den Krankheitsschutz verzichten. Durch den höheren Altersdurchschnitt und die schlechtere Risikomischung in den Tarifen würden die Beiträge massiv steigen.

13 Millionen Amerikaner könnten ihren Versicherungsschutz verlieren

Nach Berechnungen des überparteilichen Budget-Büros des Kongresses könnten rund 13 Millionen Amerikaner ihren Versicherungsschutz verlieren. „Die drehen das Steuergesetz kurzerhand in ein Gesundheitsreformgesetz um“, erregte sich nicht nur Ron Wyden, der demokratische Senator von Oregon. Auch Ärzteorganisationen, Krankenhäuser und Versicherer warnten in einem gemeinsamen Brandbrief vor diesem Vorhaben: „Es muss einen Anreiz für alle geben, sich zu versichern.“ Ansonsten drohe das System zu kollabieren.

Die Gegenfinanzierung durch Einschnitte bei Obamacare ist nicht der einzige heikle Punkt des Steuergesetzes. Unabhängige Experten bemängeln vor allem das aberwitzige Tempo, mit dem das komplexe Vorhaben durchs Parlament gepeitscht werden soll. „Der Zeitrahmen ist absurd und steht für schlechtes Regieren“, sagte der Harvard-Professor Stephen E. Lay, der unter den Präsidenten Reagan und Obama im US-Finanzministerium arbeitete, der „New York Times“.