Lange haben Berlin und Ankara um das Besuchsrecht der Bundestagsabgeordneten in Incirlik gestritten. Weil es keine Einigung gibt, zieht die Bundesregierung jetzt die Konsequenzen und verlegt die deutschen Soldaten und ihrer Aufklärungstornados vermutlich nach Jordanien.

Politik/Baden-Württemberg : Bärbel Krauß (luß)

Berlin - Bundeskanzlerin Angela Merkel und Außenminister Sigmar Gabriel haben die Türkei nicht umstimmen können: Es bleibt beim Besuchsverbot für deutsche Abgeordnete in Incirlik. Damit steht die Luftwaffe dort kurz vor der Verlegung an einen alternativen Standort.

 

Was passiert als nächstes?

Nachdem die türkische Regierung Besuche von deutschen Parlamentsabgeordneten bei den auf dem Luftwaffenstützpunkt von Incirlik stationierten Bundeswehrsoldaten weiterhin ablehnt, entscheidet die Bundesregierung an diesem Mittwoch über die Truppenverlegung. Wenn die türkische Regierung sich nicht noch bewegt, was nahezu ausgeschlossen ist, führt an einer Verlegung der sechs Aufklärungstornados und eines Tankflugzeugs samt 250 Soldaten wohl kein Weg vorbei.
„Sollen sie machen, wie sie wollen“, sagte der türkische Ministerpräsident Binali Yildirim im Blick auf die deutschen Abzugspläne laut türkischen Medien. In Berlin sind sich Kanzlerin, Außenminister, Verteidigungsministerin sowie die Koalitionsfraktionen und die Opposition einig: Ohne volles Besuchsrecht für Abgeordnete können die Soldaten nicht in Incirlik bleiben.

Muss der Bundestag dieser Truppenverlegung zustimmen?

Nach allem, was in Berliner Regierungskreisen zu hören ist, benötigt die Verlegung dieser Luftwaffeneinheiten aus Incirlik an einen anderen Standort keine Zustimmung des Parlaments. Von welchem Standort aus die Bundeswehr im Auslandseinsatz operiert, wird in den Parlamentsmandaten in der Regel nicht festgelegt. Das trifft auch auf die Stationierung in Incirlik zu. Auf der anderen Seite hat die Verlegung der Aufklärungstornados an einen anderen Ort eine hohe symbolische Bedeutung für den Bundestag. Deshalb kann es sein, dass der Bundestag zwar nicht zustimmen muss, die Entscheidung aber trotzdem treffen will. Für die Linke hat die Fraktionschefin Sahra Wagenknecht gefordert, dass die Bundeswehr nicht umziehen, sondern nach Deutschland zurückkehrt. Grünen-Chef Cem Özdemir plädiert für eine Parlamentsbefassung und will das Mandat prüfen.

Wo werden die Soldaten und ihre Flugzeuge dann stationiert?

Acht Standorte in Jordanien, Kuwait und Zypern wurden von der Bundeswehr unter die Lupe genommen. Alles spricht dafür, dass die Aufklärungsstaffel auf den Flugplatz Al Azraq in Jordanien verlegt wird. Im Vorfeld hat Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen mit dem Königshaus über die Bedingungen gesprochen. Für den Standort spricht, dass die deutschen Soldaten – und besuchswillige Parlamentarier – im Land willkommen wären, und dass mehrere Partner der Counter-Daesh-Operation dort schon vertreten sind.
Außerdem erfordern Aufklärungsflüge über Syrien (so wie auch von Incirlik aus) keine Überflüge über andere Hoheitsgebiete, kommen ohne zusätzliche Überfluggenehmigungen aus. Das Ministerium spricht von einer „guten Option“, verhehlt aber nicht, dass die Einsatzbedingungen in Incirlik besser sind. Der wichtigste Unterschied ist, dass die Türkei Nato-Mitglied ist, Jordanien nicht. Unter Nato-Partnern gelten das Truppenstatut und standardisierte Verfahren, in der Regel sind Schutzmaßnahmen und Infrastruktur auf hohem Niveau. Das Verteidigungsministerium ist sich sicher, in Jordanien „sicherlich einiges aufbauen und investieren“ zu müssen.

Wie kompliziert ist die Verlegung

Im Zuge der vielen Auslandseinsätze hat das Einsatzführungskommando in Potsdam Übung mit derart komplexen Logistikoperationen gewonnen. Die sieben Flugzeuge können selbst nach Jordanien fliegen. Die zusätzlichen 10 000 Tonnen Material müssen laut Verteidigungsministerium in 200 Container verpackt und nach Jordanien geflogen werden. Fest steht, dass die Luftwaffe dazu auch Großraumflugzeuge vom Typ Antonow nutzen wird, über die die Bundeswehr und einige EU- und Nato-Staaten einen langfristigen Leasingvertrag abgeschlossen haben.
Ob diese Kapazitäten reichen, ist derzeit noch nicht zu erfahren. Offiziell heißt es in Potsdam und Berlin, dass die detaillierten Planungen erst beginnen, wenn die politische Entscheidung über die Verlegung getroffen ist. Inoffiziell darf man unterstellen, dass die Vorbereitungen schon sehr weit gediehen sind.

Wie lange dauert es, bis die Einheit wieder voll einsatzfähig ist?

Es wird auf jeden Fall zu einer Unterbrechung der deutschen Aufklärungsflüge kommen. Insgesamt haben die deutschen Flieger von Incirlik aus bisher 950 Aufklärungs- und 430 Tankflüge absolviert. Die Verlegung des Tankflugzeugs wird nach Einschätzung des Verteidigungsministeriums in zwei bis drei Wochen abzuwickeln sein. Bei den Tornados, an deren Einsatz sehr viel Aufklärungs- und Auswertungstechnik hängt, ist von „plus/minus zwei Monaten“ die Rede.
Solange die deutschen Tornados nicht fliegen, müssen andere Partner einspringen. Das ist ein einmaliger Vorgang. Zwar ist es normal, dass Staaten ihre Einsatzverpflichtungen auslaufen lassen. Nur wird das normalerweise von langer Hand geplant, sodass auch der Anschlussbetrieb sorgfältig organisiert werden kann.