Pilsen ist, neben dem belgischen Mons, Kulturhauptstadt Europas 2015. Ein Besuch in der tschechischen Stadt lohnt auch, wenn man kein Bier mag.

Pilsen - Mittwochabend, 17 Uhr. Sechs junge Frauen und Männer in Outdoor-Klamotten packen ihre Angelausrüstung aus. Sie stecken die Ruten zusammen und werfen schweigend die Schnur ins Wasser. Die Posen zucken gelegentlich, aber kein Fisch geht an den Haken. Das wäre freilich auch etwas verwunderlich - die sechs angeln stillvergnügt im vergoldeten „Windhundbrunnen“ mitten auf dem Marktplatz von Pilsen. Ein Happening? Nie gehört, das Wort, sagt Roman, einer von ihnen.

 

Sie hätten sich einfach mal per Handy verabredet. Also das, was man einen „Flashmob“ nennt? Bitte was? Ein bisschen Spaß wollten sie haben, die Leute irritieren, weiter nichts. Ideen wie diese kann Pilsen gebrauchen. 2015 ist die Stadt in Westböhmen Kulturmetropole Europas. Kultur aber lebt auch von Aktionen spontaner Kreativität. Und der Platz der Republik gäbe immer wieder eine wunderbare Bühne dafür ab. 139 mal 193 Meter groß ist er, eine weite Ebene inmitten der Häuserhügel. Keine Eisbuden, keine Souvenirstände - ein einziges Café ist zugelassen. Auf der Nordseite erhebt sich die gotische St.-Bartholomäus-Kathedrale. Sie ist hoch und mächtig, und alles, was an und in ihr ist, strebt nach oben: die Pfeiler, der Turm, die Säulen, die Spitzen des Altars. Nur der Engel an der Rückseite, der gehört denen hier unten. Fast jeder, der vorbeigeht, fasst ihn kurz an und erhofft sich davon Glück für den Tag. Ganz abgegriffen sind seine Züge schon - bald wird man ihn wieder auswechseln müssen. Ansonsten ist der Platz spärlich möbliert.

301 Stufen führen auf den Turm der Kathedrale

Die drei Brunnen in schimmerndem Gold stellen angeblich Hund, Kamel und Engel aus dem Stadtwappen dar. Eher aber erinnern sie an überdimensionierte Buchstaben eines unbekannten Alphabets. Die Fassaden rundum laden geradezu zu einem kleinen Stilquiz ein: das Rathaus mit seinen Sgraffiti von böhmischen Königen? Eindeutig Renaissance. Das Bischofsgebäude mit seinen geschwungenen Giebeln dagegen? Barock, kein Zweifel. Ein geschlossenes Ensemble beigefarbener, weißer, grauer und ockerfarbener Häuserfronten umschließt den Platz. Gegen Abend dunkelt der Himmel ins Schwarzblaue und lässt die Kulisse davor hell erstrahlen. Genau 301 Stufen führen auf den Turm der Kathedrale. Überschaubar breitet die Stadt mit den 170 000 Einwohnern sich zwischen Hügeln aus. Um den Marktplatz gruppieren sich die Straßen wie auf einem Mühlebrett. Die Fabrikhallen mit den vielen Schornsteinen am Horizont, das sind die berühmten Škoda-Werke, heute ein Konglomerat verschiedener Firmen.

Unten zeigt Pilsen sich als höchst entspannte Stadt. Ein schmaler Grüngürtel zieht sich um das Zentrum. Springbrunnen plätschern zwischen Kastanien und Linden, die bunten Bänke unter dem Denkmal des Komponisten Friedrich Smetana werden jedes Jahr von Kunststudenten neu gestaltet. In den Straßencafés sitzen den ganzen Tag Menschen beim Bier, und am kleinsten der vier Flüsse ist ein Angler zugange - ein wirklicher diesmal, in ehrlicher Absicht. Viel Prächtiges ist in den Straßen verteilt. Das Bürgerliche Vereinshaus, das alte Theater und das Versammlungshaus des Turnvereins Sokol stehen sich in ihrer Cremetorten-Architektur in nichts nach. Die alte Synagoge mit ihren beiden Zwiebeltürmen und den maurischen Bögen dient seit ihrer Restaurierung für Konzerte. Sie wurde 1892 erbaut, zu jener Zeit, als Pilsen reich war und auch jüdisches Leben florierte. 50 Jahre später wurden 2805 Juden nach Theresienstadt deportiert. Gerade mal 204 kehrten nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs zurück.

Aus den goldenen Zeiten im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts stammen auch die Wohnungen, die der Wiener Architektur-Star Adolf Loos eingerichtet hat. 15 sind es, einige davon sollen 2015 zugänglich gemacht werden. In der verkehrsreichen Klatovská tridá, die damals zur besten Wohnlage der Stadt zählte, entwarf er für den Zahnarzt Josef Vogel einen Salon mit angeschlossenem Speisezimmer. Die Wände sind mit Kirschholz und Travertin verkleidet, schwarzgrauer Marmor umfasst den Backsteinkamin, verspiegelte Einbauschränke vergrößern den Raum. Loos liebte edle Materialien und strenge Formen, „Ornament ist Verbrechen“, hieß sein Credo.

Die kitschigen Lampen in Schwanenform an der Wand müssen ihm demnach von einem seiner Schüler untergeschoben worden sein. Man hielt auf sich, damals. Man hatte Geld. Und man zeigte es. Der Triumphbogen am Eingang der Pilsner-Urquell-Brauerei wurde 1892 erbaut und war ein selbstbewusster Gruß an die Welt: Genau hier wurde das helle, untergärige Bier erfunden, das ein für alle Mal Schluss machte mit den spülwasserbraunen Brühen von ehedem. Heute hat die Pilsner-Brauerei 800 Angestellte und schickt pro Jahr zehn Millionen Hektoliter Urquell und Gambrinus hinaus in alle Welt. Auch ein Stück Pilsner Kultur, flüssiger Art sozusagen.

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Infos zu Pilsen

Anreise
Mit dem Auto via Nürnberg auf der deutschen Autobahn A 6, die nach der Grenze in die tschechische A 5 übergeht. Zugverbindungen mit Umsteigen zum Beispiel in München nach Pilsen ( www.bahn.de ). Der nächstgelegene Flughafen für Fernreisende ist der Flughafen Prag (ca. 60 Autominuten entfernt).

Unterkunft
Hotel Roudná: Zehn Minuten zu Fuß in die Stadt, aber die hübschen Zimmer und das angenehme Frühstücksbüfett machen den Spaziergang mehr als wett. Außerdem liegen in der Straße mehrere Restaurants und Kneipen. DZ ab 60 Euro, www.hotelroudna.cz/de/

Hotel Slovan: Altehrwürdig ist das 1893 eröffnete Haus. Es liegt als malerischer, großer Kasten am Grüngürtel und hat sich im Restaurant, im Treppenhaus und in den Zimmern etwas vom staubigen Charme jener Jahre bewahrt. DZ ab 50 Euro, mit Etagendusche ab 38 Euro, www.hotelslovan.pilsen.cz

Hotel Angelo: Das Vier-Sterne-Haus bietet noch bis zum 28. Dezember 2014 eine Pilsen-Pauschale: 2 Übernachtungen mit Frühstück, 2 Abendessen, dazu Besuch der Brauerei und der Sektmanufaktur Bohemia: 109,50 Euro im DZ. www.vi-hotels.com/en/angelo-pilsen

Essen und Trinken
Café Regner: „Für dieses Café entschuldige ich, dass Pilsen Kulturhauptstadt geworden ist, und nicht Ostrava“, schrieb eine Besucherin aus Ostrava großmütig ins Gästebuch. Alte Möbel, frischer Kuchen, Veilchen- und Gurkenlimonade. Dazu junge Menschen, die auf Laptops starren.

U Salzmannu: Das älteste Restaurant der Stadt wird nicht nur von Touristen stark frequentiert. Gulaschsuppe mit Brot (2,30 Euro), Hermelin (eingelegter Camembert) und marinierte Schweinerippchen (6,40 Euro) schmecken auch den Pilsnern, www.usalzmannu.com .

Pilsner Urquell Brauerei, www.prazdrojvisit.cz

Kulturhauptstadt 2015
Pilsen ist gemeinsam mit dem belgischen Mons Kulturhauptstadt Europas 2015. Feierlicher Start einer Reihe von Veranstaltungen wird am 17. Januar 2015 sein. weitere besondere Ereignisse sind das Lichterfestival am 20./21. Februar, das Freiheitsfest vom 1. bis zum 6. Mai. Der „Neue Zirkus“ und die tschechische Puppenspielertradition bilden einen der Schwerpunkte des Programms: acht internationale Ensembles treten das ganze Jahr über an unterschiedlichen Stellen auf.

Weitere ausgewählte Höhepunkte des Programms: Die Maori-Porträts des aus Pilsen ausgewanderten Künstlers Bohumír Lindauer werden das erste Mal außerhalb Neuseelands gezeigt. Im Juli und August bringen Konzerte und Tanz neun Wochen lang neues Leben in neun barocke Kulturdenkmäler. Eine einstige Papierfabrik und die ehemalige Brauerei Svetovar werden umgebaut für alternative Tanz-, Design- und Theaterprojekte. Daneben sollen Fluss-Freibäder wiederbelebt werden, 7 digitale Stadtrundgänge führen an „Versteckte Plätze“, und an jedem Wochenende verbindet ein „Kulturzug“ Pilsen und Regensburg.

Alle Infos unter: www.plzen2015.eu .

Veranstalter
Das Regensburger Unternehmen Begegnung mit Böhmen veranstaltet 2015 ganz unterschiedliche Reisen nach Pilsen. „In Pilsen ist was Loos“: 25. April bis 2. Mai, 31. Oktober bis 7. November 790 Euro (ohne Anreise). Radtour durch den Böhmerwald in die Kulturhauptstadt: 23. bis 30. Mai, 1. bis 8. August, 29. August bis 5. September 590 Euro. Telefon 09 41 / 2 60 80, www.boehmen-reisen.de .

Allgemeine Informationen
Stadtinformation Pilsen, www.visitpilsen.eu