Wer Touristenmassen aus dem Weg gehen möchte, steuert am besten den tschechischen Teil des Elberadwegs an. Ein fremdes Land, ohne jeden Zweifel.

Decin - So macht das Radeln Spaß! Der Wind bläst so beständig von hinten, dass man das Gefühl hat, auf einem E-Bike zu sitzen und nicht auf einem schwer bepackten Tourenrad. Andererseits herrscht aber auch kräftiger Gegenwind - in Form der zahllosen Pedaltreter, die einem in der breiten Talsohle entgegenkommen. Sie machen das, was man an der Elbe so macht, was bei einer der typischen Westwindlagen aber fatal ist: flussabwärts radeln. Das Gedränge ist keine Überraschung. Die Route an der Elbe ist seit Jahren der mit weitem Abstand beliebteste Fernradweg der Republik. Während der Saison leidet man auf den 800 Kilometern zwischen Bad Schandau und Cuxhaven also sicher nicht an Einsamkeit. Wer nicht lange nach einem Quartier suchen will, sollte frühzeitig buchen oder sich ein Zelt mitnehmen. All das braucht es nicht, wenn man aus dem radtouristischen Mainstream ausschert und das Land auf schnellstem Wege verlässt - dorthin, wo die Elbe Labe heißt und weitere 400 Streckenkilometer ausgewiesen sind: nach Tschechien.

 

Wenige Kilometer nach Bad Schandau hat man die grüne Grenze passiert und ist plötzlich ganz allein. Besteht der Eiserne Vorhang in den Köpfen noch weiter? Haben die Bundesbürger Angst davor, ein Land zu betreten, aus dem drei Millionen Sudetendeutsche vertrieben wurden? Vom pastoralen Idyll des sächsischen Elbtals ist nichts mehr zu sehen. Wo Kühe und Schafe grasten, breiten sich nun Wald und Wildnis aus. Am anderen Ufer taucht dann eine Verladestation mit alten Ladekränen auf. Es folgen Vororte von Decín mit Einfamilienhäusern, zwischen die sich Plattenbauten und architektonische Relikte aus der Habsburger Ära mischen - ein fremdes Land, ohne jeden Zweifel. Der Ausbaustandard des Radwegs kommt einem allerdings bekannt vor.

Die Hotelsuche erweist sich als schwierig

In den vergangenen Jahren haben unsere östlichen Nachbarn alle Register der Aufrüstung gezogen. Es hatte sich nun mal herumgesprochen, dass die Reiseradler an der deutschen Elbe pro Saison 90 Millionen Euro ausgeben! Mit Hilfe von EU-Geldern wurde der einheitlich gelb markierte Weg vielerorts ganz neu angelegt, fast immer direkt am Ufer und vor allem weg von den viel befahrenen Straßen. Das Vorurteil, im ehemaligen Ostblock sei Radfahren ein Risikosport, gehört der Vergangenheit an - zumindest auf dem ersten Abschnitt des tschechischen Elberadwegs, den man mit einem Abstecher nach Prag enden lassen kann. Die Hotelsuche in Decín, dem ehemaligen Tetschen, erweist sich als schwierig - kaum jemand spricht hier Deutsch oder Englisch. Das urbane Zentrum besteht aus einer wilden Mischung von schnörkellosen Zweckbauten und organisch gewachsener Altstadtarchitektur. Den besten Überblick bekommt man vom Rosengarten aus, einer frühbarocken Gartenlandschaft auf dem Schlossberg, deren Faszination man sich nur schwer entziehen kann. Weitere hochkarätige Sehenswürdigkeiten sind das mittelalterliche Schloss, die Belle-Époque-Architektur des Marktplatzes und das bizarre Unikat des Jugendstilbrunnens.

Weniger reizvoll ist Usti nad Labem, 20 Kilometer flussaufwärts. Nach den Bombardierungen im Zweiten Weltkrieg haben die Kommunisten die Reste der historischen Bausubstanz niedergerissen, um ein sichtbares Zeichen des Fortschritts zu setzen. Man kann nicht bestreiten, dass ihnen das gelungen ist. Inzwischen wurden zwar wieder Bäume gepflanzt, die sozialistische Tristesse ist aber unübersehbar geblieben. Im weiteren Wegverlauf scheint es, als sei das Elbtal kaum noch besiedelt. Bei genauerem Hinsehen entpuppt sich dies jedoch als Irrtum.

Bei Naturfreunden ruft das ungewöhnliche Bild Begeisterung hervor

Es fehlt nämlich nur an ausufernden Gewerbegebieten und der großspurigen Neubau-Architektur, die die Flüsse im Westen Europas säumen. Die Menschen leben hier in kleinen bis kleinsten Häuschen, die in die bewaldeten Elbhänge geradezu eingewachsen scheinen. Die Grenze zwischen Datschen und Wohnhäusern ist dabei fließend. Bei Naturfreunden ruft das ungewöhnliche Bild Begeisterung hervor. Schließlich wurden auf den kleinen Grundstücken keine Bäume gefällt, keine Büsche wegrasiert und kein Unkraut mit chemischen Keulen erschlagen. Klar, dass sich Menschen mit teutonischem Ordnungssinn hier weniger zu Hause fühlen. Sie vermissen die Erkennungszeichen der globalisierten Welt: herausgeputzte Fassaden, autogerecht planierte Innenhöfe und den vertrauten Baumarkt-Charme.

An urbanen Preziosen herrscht indes kein Mangel - das Städtchen Litomerice etwa, hoch über dem Fluss auf einem Hügel gelegen. Der Marktplatz hat ein wahrhaft gigantisches Ausmaß und ist mit eindrucksvollen Bürgerhäusern umstanden, die teilweise noch aus der Renaissance stammen. Touristen sind nicht zu sehen, zumindest fallen sie optisch nicht ins Gewicht. Im bezaubernden Melnik verführt die einmündende Moldau dazu, die Reiseroute zu ändern und direkt nach Prag zu radeln. Wer dies tut, wird jedoch über weite Strecken hinter Dämme ins Hinterland verbannt.

Nach zwei Stunden ist man angeödet genug, um einen weiteren steigungsreichen Umweg zu verweigern und am Fluss zu bleiben. Es folgt ein Abenteuer, das sich nicht zur Nachahmung empfiehlt - das Befahren des halbverwachsenen Leinpfads, auf dem in früheren Zeiten voll beladene Kähne von Pferden flussaufwärts gezogen wurden. An den heikelsten Stellen muss man absteigen, um nicht fünf Meter tief in die Uferbefestigung der Moldau zu stürzen. Auch Prag, Ziel der Reise, erweist sich als gewöhnungsbedürftig. Die Karlsbrücke ist voller fotografierender Menschen, so dass man gar nicht erst versucht, die Räder hinaufzuschieben. Da sind sie wieder, die Touristen.

Infos zum Elberadweg

Elberadweg
Infos zum tschechischen Elberadweg unter www.labska-stezka.cz und zum tschechischen Radwegenetz unter www.greenways.cz sowie www.nadacepartnerstvi.cz .

Für das Befahren des tschechischen Elberadwegs braucht man kein Mountainbike, es genügt ein gewöhnliches Trekkingrad. Obwohl die Grenze nicht kontrolliert wird, sollte man seinen Personalausweis mitnehmen. Die Rückreise mit der Bahn von Prag nach Bad Schandau, Dresden oder wohin immer von dort aus weiter ist kein Problem. Auf dieser Linie fahren die Eurocitys im Zweistundentakt.

Vorab frühzeitig Stellplätze für die Räder reservieren!

Unterkunft
Pension Vysehrad, Prag, www.pension-vysehrad.cz ;

Ceska Koruna, Decín, www.hotelceskakoruna.cz/de

Essen und Trinken
Restaurant-Tipp: Vinárna Vikárka, Litomerice, www.Vikarka-Litomerice.cz

Literaturtipp
Bikeline-Führer „Elbe-Radweg Tschechien“, 13,90 Euro; „Zmizelé Sudety - Das verschwundene Sudetenland“, www.antikomplex.cz/de