"Diese Hilfe aus Stuttgart ist für uns sehr wichtig", sagt Irina Romaschewskaja, die Chefärztin der Kinderleukämiestation. Ein Vierteljahrhundert nach der atomaren Explosion im 120 Kilometer Luftlinie von Gomel entfernten Tschernobyl ist die Leukämierate bei Kindern zwar nicht so stark wie befürchtet gestiegen, aber höher als früher. Inzwischen gebe es fünf Leukämiefälle im Jahr je 100.000 Einwohner; vor Tschernobyl waren es 4,3 Fälle. Die Heilungsrate liege inzwischen bei fast 80 Prozent. "Seit zwei Jahren haben wir gar kein Kind mehr verloren", freut sich Romaschewskaja.

 

Für das Überleben gibt es jetzt nicht nur die notwendigen Medikamente, sondern auch das große Spielzimmer mit Plüschtieren, Hüpfbällen und Baukästen. Dort basteln die kleinen Patienten Tiere aus Papier sowie Grußkarten für Eltern und Verwandte. Geschwächten Kindern, die wegen der harten Krebstherapie im Bett bleiben müssen, liest die Psychologin Victoria Khoukhlantsewa Märchen vor: "Aber nur solche mit gutem Ende."

Das Monatsgehalt reicht kaum zum Leben

"Ohne Victorias Hilfe hätte ich die schwere Zeit nicht ertragen", sagt Natalja Sawochina, Mutter des zweijährigen Wladimir. "Sie hat mir geholfen, meine Angst zu überwinden und meinem kranken Kind Mut und Kraft zu geben, statt immer wieder vor ihm in Tränen auszubrechen."

Die junge Psychologin muss auf der Station die hundertprozentige Optimistin geben. "Ich darf vor den Kindern nicht traurig sein, ganz egal, was mich privat gerade belastet", sagt sie. Dabei hat die 1986 - im Jahr der Rektorexplosion - geborene Frau selbst Probleme mit ihrer Gesundheit, "die meine Mutter mit Tschernobyl in Verbindung bringt". Und das Monatsgehalt von 500.000 weißrussischen Rubeln, knapp 110 Euro, reicht kaum zum Leben. Dennoch, sagt Victoria Khoukhlantsewa, habe sie einen Traumjob: "Es ist schön, mit dazu beizutragen, dass der Lebensmut wieder in unsere Kinder zurückkehrt. Das ist unser Medikament."

Die Zeit der großen Konvois ist vorbei

Geschlafen und gegessen wird unterwegs im Lastwagen. Esbitkocher erwärmen die Notfallrationen aus Bundeswehrbeständen - etwa das "italienische Nudelgericht Nummer vier". In Retschiza sind drei Tage später alle Strapazen vergessen. Bei der Übergabe der Pakete in Waisenhäusern und Kindergärten haben alle - Helfer und Empfänger - Tränen in den Augen. Am 23. Dezember 1990 empfangen Familien und Freunde die "Retschizafahrer" auf dem Wasen, das Polizeimusikkorps spielt weihnachtliche Melodien. Bis Ende März 1991 bringen weitere Hilfskonvois mehr als 20.000 Lebensmittelpakete in die Tschernobyl-Zone. Zuvor haben viele freiwillige Helfer die Rationen in den Messehallen auf dem Killesberg verpackt. Die StZ-Leser spenden unermüdlich - bis Ende 1992 mehr als vier Millionen Mark.

Die nächsten Konvois liefern weißrussischen Kliniken dringend benötigte medizinische Geräte und Medikamente. Zudem bringen die Helfer mehr als 200 Tonnen Milchpulver in den nordöstlich von Gomel gelegenen Landkreis Wetka. Die Trockenware wird direkt an Schulen und Kindergärten verteilt. In dem stark verstrahlten Landkreis gibt es keine unbelastete Milch mehr. Als die Helfer die Säcke abgeladen haben, bringen ihnen die Einheimischen Blumen. Es ist für alle ein bewegender Moment.

Heute ist die Zeit der großen Konvois vorbei. Der aus den Reihen der "Retschizafahrer" hervorgegangene Verein Freunde der Kinder von Tschernobyl leistet seit 1993 vor allem medizinische Unterstützung und setzt auf die Hilfe zur Selbsthilfe. Viele Kirchengemeinden im Land unterstützen den Verein, die regelmäßigen Spenden von mehr als 2000 Bürgern ermöglichen auch 25 Jahre nach dem GAU eine wirksame Hilfe. Seit 1993 hat die private Aktion mehr als 3,6 Millionen Euro an Geld- und Sachspenden erhalten und 35weitere Transporte in die Region Gomel auf die Räder gestellt - trotz immer höherer bürokratischer Hürden des autoritären weißrussischen Staatsapparates.

Die junge Psyhologin muss ständig optimistisch bleiben

"Diese Hilfe aus Stuttgart ist für uns sehr wichtig", sagt Irina Romaschewskaja, die Chefärztin der Kinderleukämiestation. Ein Vierteljahrhundert nach der atomaren Explosion im 120 Kilometer Luftlinie von Gomel entfernten Tschernobyl ist die Leukämierate bei Kindern zwar nicht so stark wie befürchtet gestiegen, aber höher als früher. Inzwischen gebe es fünf Leukämiefälle im Jahr je 100.000 Einwohner; vor Tschernobyl waren es 4,3 Fälle. Die Heilungsrate liege inzwischen bei fast 80 Prozent. "Seit zwei Jahren haben wir gar kein Kind mehr verloren", freut sich Romaschewskaja.

Für das Überleben gibt es jetzt nicht nur die notwendigen Medikamente, sondern auch das große Spielzimmer mit Plüschtieren, Hüpfbällen und Baukästen. Dort basteln die kleinen Patienten Tiere aus Papier sowie Grußkarten für Eltern und Verwandte. Geschwächten Kindern, die wegen der harten Krebstherapie im Bett bleiben müssen, liest die Psychologin Victoria Khoukhlantsewa Märchen vor: "Aber nur solche mit gutem Ende."

Das Monatsgehalt reicht kaum zum Leben

"Ohne Victorias Hilfe hätte ich die schwere Zeit nicht ertragen", sagt Natalja Sawochina, Mutter des zweijährigen Wladimir. "Sie hat mir geholfen, meine Angst zu überwinden und meinem kranken Kind Mut und Kraft zu geben, statt immer wieder vor ihm in Tränen auszubrechen."

Die junge Psychologin muss auf der Station die hundertprozentige Optimistin geben. "Ich darf vor den Kindern nicht traurig sein, ganz egal, was mich privat gerade belastet", sagt sie. Dabei hat die 1986 - im Jahr der Rektorexplosion - geborene Frau selbst Probleme mit ihrer Gesundheit, "die meine Mutter mit Tschernobyl in Verbindung bringt". Und das Monatsgehalt von 500.000 weißrussischen Rubeln, knapp 110 Euro, reicht kaum zum Leben. Dennoch, sagt Victoria Khoukhlantsewa, habe sie einen Traumjob: "Es ist schön, mit dazu beizutragen, dass der Lebensmut wieder in unsere Kinder zurückkehrt. Das ist unser Medikament."

In Wetka herrscht Aufbruchstimmung

Mit Nastja, die noch gegen den tödlichen Feind in ihrem Körper kämpft, spricht sie oft unter vier Augen. Die Elfjährige trägt eine Baumwollmütze, die ihren kahlen Kopf verdeckt, am rechten Handgelenk steckt die Kanüle für die Infusionen. Nastja blickt zu Boden, die Arme hat sie fest an den zarten Körper gepresst. "Bis vor kurzem ist sie im Bett geblieben, jetzt kommt sie immer öfter ins Spielzimmer", erzählt Khoukhlantsewa. Als ein blauer Luftballon heranschwebt, blickt Nastja auf. Sie hebt eine Hand, gibt dem langsam herabsinkenden Ballon einen Stoß, schaut zu, wie er wieder aufsteigt, und lächelt zaghaft. "Sie gewinnt von Tag zu Tag mehr Lebensmut", sagt Khoukhlantsewa. "Sie wird es schaffen."

Auch Sascha will es schaffen. Der körperbehinderte junge Mann möchte unbedingt nähen lernen. Der 25-Jährige presst die Lippen zusammen, schiebt den Stoff unter die Nadel der Nähmaschine und drückt den Fußschalter. "Er übt viel, um saubere Nähte hinzukriegen", sagt Julia Schapomalowa, eine der drei Betreuerinnen für die 22 jungen Behinderten im Sozialen Zentrum von Wetka, der 30 Kilometer nordöstlich von Gomel gelegenen Kleinstadt.

Das Zentrum hat von den Freunden der Kinder von Tschernobyl drei Industrienähmaschinen erhalten. Das ist - nach westlichen Maßstäben - fast nichts. Doch den Menschen im Armenhaus Wetka bedeutet diese Unterstützung sehr viel. Mehrere Behinderte nähen jetzt Bettlaken, Kissen- und Bettbezüge für ein Altenheim des Landkreises. "Wir haben bereits 390 Bettwäschesets hergestellt", sagt Victoria Nikolajenko, die Leiterin des Zentrums. Statt 100.000 Rubel koste jedes Set den Landkreis nur noch die Hälfte. Außerdem erhielten die Beschäftigten einen Monatslohn, was ihr Selbstwertgefühl steigere. "Inzwischen haben wir weitere Aufträge von Kindergärten und Schulen erhalten." In Wetka herrscht Aufbruchstimmung. Auch hier ist die Hilfe zur Selbsthilfe angekommen. Aus dem Kleinen kann Größeres entstehen.

Spendenkonto: Freunde der Kinder von Tschernobyl, Evangelische Kreditgenossenschaft Kassel, Kontonummer 415910, BLZ 52060410, Stichwort Gomel