Schiedsgerichte sind ein Knackpunkt im Streit um das Freihandelsabkommen TTIP. Die EU hat am Mittwoch Änderungen vorgeschlagen – will den Mechanismus aber grundsätzlich beibehalten.

Brüssel - Weil der öffentliche Aufschrei so groß gewesen ist, verhandeln die Europäische Union und die USA seit gut eineinhalb Jahren nicht mehr über Investorenschutzklauseln im gerade deshalb so umstrittenen Freihandelsabkommen. Nun werden die transatlantischen Gespräche über den kurz ISDS genannten Streitschlichtungsmechanismus bald fortgesetzt, über den Unternehmen Staaten auf Schadenersatz verklagen können. Grundlage dafür ist ein Vorschlag von EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström aus Schweden, den sie am Mittwoch der Öffentlichkeit vorgestellt hat.

 

Malmström geht darin auf viele Punkte der Kritiker ein, wissend, dass es „einen fundamentalen Mangel an Vertrauen gibt“. Die Modernisierung der bereits bestehenden Regeln, die im Zuge der USA-Verhandlungen einem breiten Publikum überhaupt erst bekannt wurden, betrifft zunächst einmal die Zusammensetzung der Schiedsgerichte: Statt teils mit der Industrie verstrickten Wirtschaftsanwälten sollen künftig ausgebildete Richter, die auch für andere internationale Gerichte qualifiziert wären, Urteile sprechen. Sie würden gemeinsam von der EU und den USA an das neue bilaterale Wirtschaftstribunal berufen – je fünf aus Europa, den Staaten und Drittländern.

Das System soll transparenter werden

„Sie dürfen auch nicht als Anwälte an Handelsverfahren arbeiten“, stellte Malmström in Brüssel klar: „Das ist ein öffentliches Rechtssystem und keine Privatjustiz mehr.“ Als erster internationaler Akteur überhaupt schlägt die EU zudem vor, dass gegen eine Entscheidung im Schiedsverfahren – das im Gegensatz zu bisher öffentlich stattfinden soll und alle relevanten Dokumente veröffentlichen wird – Berufung eingelegt werden kann. Sechs Richter sollen die zweite Instanz bilden. Auch diese Bestimmung soll als Vorbild für alle weiteren zukünftigen Handelsverträge der EU wie etwa mit Japan dienen.

Im bereits ausverhandelten Abkommen mit Kanada, das schon eine etwas modernisierte Fassung des Investorenschutzes enthält, sieht die Brüsseler Kommissarin jedoch keinen Platz dafür, allenfalls „geringfügige Änderungen“ seien in diesem Fall noch möglich. Langfristig will sich die EU dafür einsetzen, dass aus den bilateral eingerichteten Schiedsmechanismen ein allgemein zuständiger, multilateraler Weltgerichtshof für Investitionsschutz wird.

Dafür setzt sich auch Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel ein. „Wir haben viele seiner Vorschläge aufgegriffen“, so Malmström. Zu den zentralen Neuerungen, denen die schon zuvor konsultierten Mitgliedstaaten und das Europaparlament vor den nächsten Verhandlungsrunden mit den USA ihren Segen geben sollen, gehört auch der Artikel 2. Ausdrücklich festgeschrieben ist darin, dass Handelsverträge nicht das Recht der Regierungen einschränken, neue Gesetze zu erlassen. „Wir reden ausschließlich von Schadenersatz“, sagte Malmström, „und das deutlich eingeschränkten Klagemöglichkeiten.“ Die Schwedin ist sich im Klaren darüber, dass sehr viele der Kritiker wie die Grünen-Europaabgeordnete Ska Keller am liebsten überhaupt keine ISDS-Klauseln im transatlantischen Freihandelsabkommen sähen.

Malmström hat es aufgegeben, die Kritiker zu überzeugen

Keller spricht von „Etikettenschwindel“, weil Investoren auch mit Malmströms neuen Vorschlag ihre Extraklagerechte behalten, während jedes inländische Unternehmen und jeder Bürger sich an ein normales Gericht wenden muss“. Es werde auch nicht geklärt, in welchem Verhältnis Entscheidungen des neuen Systems zu Urteilen etwa des Europäischen Gerichtshofes oder des Bundesverfassungsgerichts stünden.

Malmström entgegnet, dass sie verpflichtet sei, über den Investorenschutz zu verhandeln, weil keine der 28 EU-Regierungen sie gebeten habe, ihn aus dem Verhandlungsmandat zu nehmen. Zudem gebe es in den USA keinen rechtlichen Schutz vor einer Benachteiligung, auf den sich EU-Firmen bei Klagen vor einem amerikanischen Gericht berufen könnten. Offenbar hat es Malmström aber auch aufgegeben, die Kritiker gegen TTIP zu überzeugen: „Ich könnte gratis Eiscreme für alle vorschlagen und sie wären noch dagegen.“

Zwei prominente Beispiele

Schutz: Es geht darum, Investoren im jeweils anderen Land oder Wirtschaftsraum zu schützen. Wenn der Investitionsschutz im Handelspakt TTIP zwischen der EU und den USA verankert wird, könnte sich beispielsweise ein Mittelständler aus Bayern darauf berufen, wenn er in Kalifornien investiert. Umgekehrt könnte auch ein US-Konzern, der in Deutschland oder einem anderen EU-Land als Investor auftritt, die Klauseln für sich geltend machen.

Klagen: Philip Morris geht momentan mit einer Investitionsschutzklage gegen Australien vor, weil das Land strengere Raucherschutzgesetze erlassen hat. Der Tabakkonzern fordert Millionen an Schadenersatz. Auch Deutschland wird derzeit verklagt. Der schwedische Energiekonzern Vattenfall verlangt wegen des Atomausstiegs der Deutschen Schadenersatz. Womöglich muss der deutsche Steuerzahler bis zu fünf Milliarden Dollar zahlen.